Essen. In Streikwoche drei kamen Auszubildende aller Unikliniken in NRW zur Demo nach Essen. Dort wirkt sich der Streik schon auf andere Kliniken aus.
Die Musik ist laut, die Wut ist groß – die Stimmung trotzdem gut: Rund 300 Auszubildende der sechs Unikliniken in NRW trafen sich am Donnerstag (19. Mai) vor dem Essener Uniklinikum zu einer Kundgebung. Jene, die noch am Anfang ihres Berufslebens stehen, machen hier deutlich, dass sie sich den Dienst am Menschen so nicht vorgestellt haben. „Das ist teils wie eine Maschinenabfertigung“, sagt Vincent, 19 Jahre alt und angehende Pflegekraft im zweiten Ausbildungsjahr. „Die Patienten wollen mit mir sprechen, aber dafür habe ich keine Zeit, muss weiter zum nächsten.“
Dass man so den Patienten nicht gerecht werden kann und das Personal verschleißt, sagt nicht nur Verdi. Die Gewerkschaft aber fordert mehr als Applaus und Lippenbekenntnisse, sie will für die Beschäftigten an den Unikliniken im Land einen Tarifvertrag „Entlastung“ erkämpfen, in dem feste Personalschlüssel für jeden Arbeitsbereich festgeschrieben werden sollen. Dafür wird an den Unikliniken im Land seit Anfang Mai gestreikt. Eins der Ziele: Für Auszubildende im praktischen Einsatz soll der Zeitanteil für eine qualifizierte Anleitung bei mindestens 25 Prozent liegen.
Azubi der Uniklinik Essen fühlt sich oft allein gelassen
Jetzt liege er offiziell bei zehn Prozent – und in der Praxis eher bei drei, sagt Vincent. Sprich: Es gebe zwar eine Mentorin, doch die sei meist mit anderen Aufgaben belastet. „Ich fühle mich da oft allein gelassen.“ Vincent – einer von aktuell 548 Azubis an der Uniklinik – kommt aus einer Familie, in der „alle in der Pflege sind“, er wusste also, worauf er sich einließ. Aber erstens „muss ich ja meine Brötchen verdienen“, sagt er lächelnd, und zweitens „könnte das ja ein supertoller, anspruchsvoller, sozialer Beruf sein“.
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Dass aus diesem Konjunktiv endlich Realität wird, dafür streikt auch die 23 Jahre alte Sarah Kaiser, die seit 2018 am Uniklinikum Essen ist und in der Knochenmarktransplantation arbeitet. „Zum Dienst zu kommen, schon zu wissen, dass wir für den Pflegeaufwand nicht gut genug ausgestattet sind, und dann acht Stunden vor sich zu haben, oft ohne Pause – das ist heftig.“ Das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben, Patienten nicht gerecht worden zu sein, nehme man mit nach Hause.
Um klarzumachen, was an den Krankenhäusern schiefläuft, nehmen die Streikenden in Kauf, dass an der Uniklinik aktuell nur ein Minimalprogramm gefahren werden kann: Eine Notdienstvereinbarung soll zumindest sicherstellen, dass auch während des Streiks die Notfallversorgung funktioniert. Wie gut das umgesetzt wird, beurteilen beide Seiten unterschiedlich: „Dringende Operationen finden statt, elektive [zeitlich wählbare] Eingriffe müssen verschoben werden. Aktuell sind knapp zwei Drittel unserer OP-Säle geschlossen“, sagt das Klinikum. 500 Betten im Haus bleiben leer. Die Lage sei „medizinisch gesehen angespannt“ und verschärfe sich bei im Schnitt 250 Streikenden pro Tag weiter. Auch bei der Notfallversorgung gebe es teilweise „massive Einschränkungen bei den Kapazitäten“.
Katharina Schwabedissen beurteilt die Situation anders: „Wir schicken reihenweise Leute wieder ins Haus, um Notdienste zu machen“, sagt die Verdi-Gewerkschaftssekretärin. Selbstverständlich müssten Kinder operiert, Tumorpatienten und Notfälle behandelt werden. „Aber das Herzkatheter-Labor muss endlich die Untersuchungen runterfahren. Und in der HNO wie in der Hautklinik wird gerade sehr viel operiert.“ Nicht zwei Drittel, sondern nur die Hälfte der OP-Säle im Uniklinikum sei geschlossen. Eingriffe, die zwar notwendig, aber nicht dringend sind, „müssen jetzt an anderen Häusern gemacht werden“, fordert Schwabedissen.
Andere Essener Krankenhäuser spüren eine Mehrbelastung
Allerdings hätten sich in Essen und der Region schon andere Kliniken von der Notfallversorgung abgemeldet, sagt die Uniklinik. „Wir sind so weit, dass auch die anderen Krankenhäuser auf Notdienst fahren müssen“, verkündet auch eine Streikteilnehmerin vom Truck, der den Demozug am Donnerstag Richtung Innenstadt begleitet. Für die Teilnehmer ist das ein Indiz, wie wirksam ihr Arbeitskampf ist.
Tatsächlich spüre man eine Mehrbelastung in der Notaufnahme, bestätigen die Evangelischen Kliniken Essen Mitte (KEM). Von Notbetrieb könne indes keine Rede sein. In den beiden Krupp-Krankenhäusern laufe noch „alles nach Plan“, sagt eine Sprecherin. Und die Contilia erklärt, der Streik sei an ihren Kliniken unterschiedlich stark spürbar. Aber: „Durch die abgestimmte Zusammenarbeit in unserem Klinikverbund ist die Versorgung der Bürger in unseren Einrichtungen auch in der aktuellen Situation gesichert.“