Essen. Der Uniklinik Essen drohen Streiks: Die Beschäftigten fordern im Tarifvertrag Entlastung. Sie haben den Arbeitgebern ein Ultimatum gestellt.
Nach zwei Jahren Pandemie drohen der Uniklinik Essen ab Anfang Mai unbefristete Streiks: Die Gewerkschaft Verdi will damit ihre Forderung nach einem Tarifvertrag Entlastung unterstreichen, bevor ein entsprechendes Ultimatum an Landesregierung und Arbeitgeberverband am 1. Mai ausläuft. Mobilisierungsgrad und Streik-Wille seien groß, sagt Katharina Wesenick, Landesfachbereichsleiterin für den Bereich Gesundheit bei Verdi: „Der Leidensdruck der Beschäftigten ist groß.“
Den Pflegekräften und den vielen anderen Krankenhausbeschäftigten gehe es um konkrete Entlastungsmaßnahmen, die in dem Tarifvertrag festgeschrieben werden sollen. So solle es feste Personalschlüssel für jeden Arbeitsbereich geben, die über aktuelle gesetzliche Standards hinausgehen: Sonst sei das Klinikpersonal permanent überlastet und könne Patienten häufig nicht angemessen versorgen: „Ich wundere mich, dass die Menschen überhaupt in dem Beruf bleiben“, sagt Wesenick.
Das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ hatte jüngst erschütternde, anonyme Protokolle aus deutschen Krankenhäusern veröffentlicht. Da las man von zwei Hebammen, die sieben gebärende Frauen mehr abfertigten, als betreuen mussten, oder von einem Pfleger, der Patienten mit massiver Luftnot in Todesangst zurücklassen musste, um zum Nächsten zu eilen. Von vermeidbaren Todesfällen, Selbstvorwürfen, stiller Verzweiflung und tiefer Erschöpfung. In vertraulichen Gesprächen hätten sich hiesige Beschäftigte ähnlich geäußert, sagt Wesenick. Sie quälten sich mit dem Gefühl, dass Patienten gestorben seien, weil sie sie nicht adäquat betreuen konnten. „Eine Kollegin konnte nicht aufhören zu weinen.“
Auf die Frage, ob es auch an der Uniklinik Essen, gefährliche – wie die vom „Spiegel“ protokollierten – Engpässe gebe, antwortet der ärztliche Direktor der Uniklinik, Prof. Dr. Jochen A. Werner: „Ich habe den Beitrag gelesen und war wie viele andere Leser ebenfalls sehr betroffen. Natürlich gibt es auch bei uns Überlastungsanzeigen, die wir intensiv aufarbeiten. Auch wir erleben enge personelle Besetzungen.“ Sein Haus habe durch eine nach Streiks im Jahr 2018 abgeschlossene „schuldrechtliche Vereinbarung“ bereits einen deutlich besseren Personalschlüssel als zahlreiche andere Kliniken. „Dennoch müssen auch wir mit Blick auf zu knappes Personal immer wieder Betten sperren.“
Arbeitskampf statt Kamingespräch
Werner hatte schon vor Wochen darauf hingewiesen, dass die durch die Vereinbarung entstandene Finanzierungslücke bis heute nicht geschlossen sei. Es liege nicht in der Macht der Unikliniken, die chronische Unterfinanzierung und die Überlastung des Personals allein zu verändern: „Dies liegt im Verantwortungsbereich der Politik.“ Auf die will nun Verdi mit Blick auf die Landtagswahl am 15. Mai den Druck erhöhen. Die schuldrechtliche Vereinbarung sei anders als der geforderte Tarifvertrag eben nicht einklagbar, die neuen Stellen nicht verlässlich finanziert – und viele Fachkräfte seien abgewandert.
Gesundheitsminister Laumann geht auf Pflegekräfte zu
Am 21. Januar 2022 hatten Beschäftigte der sechs Unikliniken in NRW der Landesregierung und dem Arbeitgeberverband NRW ein 100-Tage-Ultimatum für einen „Tarifvertrag Entlastung“ für die Unikliniken im Land gestellt. Im März übergaben Pflegekräfte und andere Klinikbeschäftigte eine Petition mit fast 12.000 Unterschriften an die sechs Klinikvorstände, die teils viel Sympathie für die Forderungen zeigten. Heinz Rech, Leiter der Abteilung Tarifpolitik der Gewerkschaft Verdi in NRW, folgerte: „Jetzt liegt der Ball beim Arbeitgeberverband des Landes.“ Bisher hatte der auf die Forderungen nicht reagiert: Er sei der falsche Ansprechpartner. Beim Wahlkampfauftakt der Landes-CDU am Samstag (23.4.) signalisierte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann nun ein Umdenken: „Wir werden Lösungen als Landesregierung wollen.“ Es solle Tarifverhandlungen für NRW mit den Unikliniken und Verdi geben. Am Flächentarifvertrag halte das Land aber fest: „Wir müssen es hinkriegen, dass wir trotzdem in der Tarifgemeinschaft der Länder bleiben.“ Verdi hatte zuvor mit Warnstreiks an den Unikliniken den Druck auf das Land erhöht. Eine Urabstimmung soll die Weichen für unbefristete Streiks noch vor der Landtagswahl am 15. Mai stellen.
Auch hatte man vor vier Jahren neben Essen nur für Düsseldorf Verbesserungen erkämpft, diesmal soll es um alle sechs Unikliniken in NRW gehen, sagt Wesenick. Vorbild ist ein Vertrag, der seit 2021 bessere Arbeitsbedingungen an der Berliner Uniklinik Charité sichert. Rund 2000 neue Verdi-Mitglieder habe man in den vergangenen anderthalb Jahren an den Unikliniken des Landes geworben. Auch das unterstreiche den Unmut der Beschäftigten. Derweil habe der Politik „selbst die Pandemie nicht gereicht, um eine vernünftige Personalbemessung umzusetzen. Einen solchen Paradigmenwechsel erreicht man leider wohl nicht im Kamingespräch, sondern nur im Arbeitskampf“.
Beim Streik müssten OP-Säle geschlossen werden
Die Uniklinik Essen als „Supramaximalversorger der Region“ werde durch Arbeitsniederlegungen wie 2018 und 2021 stets „spürbar beeinträchtigt“, sagt Prof. Werner. „Wir müssten bei weiteren Streiks in relevantem Maße Operationssäle schließen. Für die davon betroffenen Patienten bräuchten wir Ausweichtermine, was in bestimmten Disziplinen nicht einfach ist, weil es zum Teil lange Wartelisten gibt.“ Immerhin sei der coronabedingte Krankenstand aktuell nicht mehr so hoch wie noch vor zwei Wochen: Da standen 100 der insgesamt 10.000 Beschäftigten unter Quarantäne, jetzt seien es noch 60.
Den denkbaren Vorwurf, durch einen Arbeitskampf den Patienten zu schaden, weist Verdi-Gesundheitsexpertin Katharina Wesenick zurück: „Die Menschen werden nicht unterversorgt, weil wir streiken, sondern wir streiken, weil Menschen unterversorgt werden.“ Wenn der Tarifvertrag Entlastung nicht komme, sei das „unterlassene Hilfeleistung seitens der Politik“.