Essen-Altenessen. Seit September mischen die Grünen mit einer Doppelspitze im Essener Norden mit. Im Interview sprechen sie über Wohnen, Krawall und Zusammenhalt.
Die Grünen sind im Aufwind, nicht nur bundesweit, sondern auch im Essener Norden. Dort hatten sie ihr Ergebnis bei den Kommunalwahlen zuletzt verdoppelt. Mit Stephanie Kemper (44) als Fraktionsvorsitzende und Markus Spitzer-Pachel (49) als zweiter stellvertretender Bezirksbürgermeister sitzen zwei neue Charaktere in der Bezirksvertretung. Im Interview ziehen sie eine erste Bilanz und erklären, dass man Krawalle und Tumultlagen in Altenessen nicht mithilfe von Bodycams, sondern durch gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Griff bekommt.
Die Grünen sind bundesweit im Aufwind. Ist die Parteizugehörigkeit denn auf Bezirksebene überhaupt entscheidend?
Stephanie Kemper: Uns war schon klar, dass wir uns gemeinsam mit den anderen Parteien gegen die AfD stellen müssen. Abgesehen davon würden wir aber gerne einfach für den Stadtteil arbeiten und weniger Parteipolitik machen. Diese ewige Parteipolitik hat bei mir nämlich früher zu sehr viel Politikverdrossenheit geführt. Bis jetzt funktioniert das gut. Man nimmt uns ernst, bezieht uns mit ein und auch die Bürger sprechen uns direkt an.
Markus Spitzer-Pachel: : Wir Grüne verstehen uns als Vollsortimenter und finden es daher gerade wichtig, dass auch im Essener Norden ein Grünes Licht leuchtet.
Zwei Sitzungen haben bisher stattgefunden, zwei sind coronabedingt ausgefallen. Was ist ihr erster Eindruck, was fehlt ihnen noch in der Bezirksvertretung?
Kemper: Wir werden noch einen Antrag für die Benennung eines Mobilitätsbeauftragten stellen und würden uns auch freuen, wenn es eine Inklusionsbeauftragte geben würde, so wie im Bezirk III. Die Energie würden wir jedoch gerne auf mehrere Schultern verteilen und nicht alles selbst übernehmen. Noch sind wir auf der Suche nach geeigneten Personen.
Kommen wir zum Inhaltlichen: Wie kann verhindert werden, dass es in Altenessen immer wieder zu Krawallen und Tumultlagen kommt?
Spitzer-Pachel: In meinen Augen ist das ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Gewalt gegen Polizisten, Ordnungskräfte, Sanitäter und Lehrer hat Dimensionen angenommen, die wir bisher nicht kannten. Das beobachte ich nicht nur in Altenessen, sondern zuletzt beispielsweise auch auf Schalke, als Fans gegenüber Spielern nach dem Abstieg gewalttätig wurden.
Kemper: Das Problem ist oft, dass junge Männer - vielleicht auch wegen Corona - sich nicht auspowern können. So entsteht ein verschärftes Gewaltpotenzial, dass sich in solchen Exzessen herauskatapultiert.
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Was kann man gegen diese Gewalt tun?
Spitzer-Pachel: Alles, was auf der rechtlichen Ebene machbar ist, muss angewendet werden. Die von Oberbürgermeister Thomas Kufen vorgeschlagenen Bodycams sind schön, sie werden das Problem aber nicht lösen. Diejenigen, die sich von solchen Vorfällen distanzieren, müssen an einem Strang ziehen, der Stadtteil muss „Nein“ sagen und zeigen, dass er sich durch solche Vorfälle nicht auseinander treiben lässt. Wir müssen außerdem Stadtteilarbeit machen.
Was bedeutet Stadtteilarbeit für Sie?
Kemper: Die verschiedenen Gruppen müssen miteinander ins Gespräch kommen. Bei einer Tasse Tee merkt die Hausfrau mit türkischen Wuzeln, dass sie ganz ähnliche Probleme hat, wie die Hausfrau mit deutschen Wurzeln. Institutionen wie das KD 11/13 - Zentrum für Kooperation und Inklusion - sowie die Zeche Carl bieten genau dafür Angebote. Die kann man gar nicht genug fördern.
Sitzung am Montag
Die nächste Sitzung der Bezirksvertretung V - zuständig für Altenessen, Vogelheim und Karnap - findet am Montag, 26. April, um 14 Uhr im Rathaus am Porscheplatz statt. Auf der Tagesordnung steht unter anderem eine Einwohnerfragestunde, zu der alle Interessierten eingeladen sind.
Spitzer-Pachel: Übereile Aktionen sind auf jeden Fall nicht zielführend. Wir brauchen mehr Streetworker im Essener Norden und eine neue Milieustudie, um ein aktuelles Bild von der Stimmungslage zu bekommen und daraus gilt es dann, Maßnahmen zu entwickeln.
Ein anderes umstrittenes Thema ist die Wohnbebauung im Essener Norden. Wo sollte der Weg hinführen?
Kemper: Wir brauchen eine gute Durchmischung. Die Leute, die nicht so viel Geld haben, müssen auch irgendwo wohnen. Es gibt ja nicht nur jene, die sozial geförderten Wohnungsbau brauchen und jene, die Eigentum kaufen, sondern auch die, die normal zur Miete wohnen. Da müssten die Wohnungsbaugesellschaften hier mehr investieren. Am besten wäre außerdem, wenn im Süden der Stadt mehr sozialer Wohnraum geschaffen werden würde.
Spitzer-Pachel: Wir müssen auch darauf achten, dass nach Möglichkeiten dort gebaut wird, wo Flächen bereits versiegelt sind und es müssen immer Frischluftschneisen erhalten bleiben, da müssen wir im Sinne des Klimawandels stärker drauf achten.
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Wie sehen Sie die Entwicklung am Altenessener Bahnhof?
Spitzer-Pachel: Dort entsteht städtebaulich ganz viel und dabei darf das Gebiet auch als Knotenpunkt für Radfahrer und den Fußverkehr nicht vergessen werden. Man sollte auch auf Fassaden- und Dachbegrünung achten und eine Reparaturwerkstatt für Radfahrer fehlt dort auch komplett. Außerdem muss die alte Ruine endlich weg. Die Stadt wird wahrscheinlich darauf sitzen bleiben. Insofern sollte sie das Gebäude jetzt so schnell wie möglich abreißen und das Gelände neu bebauen.
Zu guter Letzt kommen wir um das Thema Gesundheitsversorgung nicht drumherum. Was halten Sie von dem geplanten Gesundheitskiosk?
Kemper: Ich sehe das als wichtigen Baustein für die Gesundheitsversorgung, das auf jeden Fall Potenzial hat. Das sieht man schon alleine daran, dass diverse Internetforen voll mit Gesundheitsfragen sind und das sind nicht nur Fragen von Zugewanderten. Ich habe selbst mal eine Geflüchtete zum Krankenhaus begleitet und gemerkt, der Bedarf ist da und die Arbeit anspruchsvoll.
Spitzer-Pachel: Es sollte klar kommuniziert werden, dass der Gesundheitskiosk ein überfälliges, zusätzliches Beratungsangebot ist. Das alleine wird die Gesundheitsversorgung im Norden aber nicht retten.