Duisburg. In Duisburg treffen sich regelmäßig taubblinde Menschen. Sie haben ganz eigene Strategien entwickelt, um miteinander zu kommunizieren. Ein Besuch.
Zwei Gebärdensprachdolmetscherinnen, fünf Taubblindenassistenten und einige Hörgeräte: Es braucht viel, damit sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Selbsthilfegruppe für taubblinde Menschen unterhalten können. Hier tauschen sich Betroffene alle zwei Wochen über ihre Rechte, über Angebote für taubblinde Menschen und Persönliches aus. Wir haben sie besucht.
Für das taktile Gebärden passen Taubblinde die DGS leicht an
Die Selbsthilfegruppe trifft sich im Gebäude der AWO an der Friedrich-Wilhelm-Straße. Auf dem langen Tisch in der Mitte des Raums sind Brezeln, Kekse, Tee und Kuchen angerichtet. Die Stimmung ist herzlich: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüßen sich wie alte Bekannte. Der enge Körperkontakt mag auch daher rühren, dass sie auf diese Weise kommunizieren. Hier kommen Menschen zusammen, die mithilfe eines Hörgeräts lautsprachlich orientiert sind, solche, die mithilfe ihrer verbleibenden Sehstärke gebärdensprachlich und andere, die wegen mangelnder Sehstärke taktil orientiert sind.

Damit Franco Kratzenstein sein Gegenüber versteht, das nicht spricht, ist er auf taktiles Gebärden angewiesen. Während sein Gesprächspartner gebärdet, umfasst der 60-Jährige dessen Hände. Mit den Fingern versucht er, die Gebärden zu ertasten und zu verstehen. „Im taktilen Gebärden macht man ein paar Anpassungen, damit man die Bedeutung leichter erkennt“, erklärt der Gründer der Selbsthilfegruppe.
Anstatt den Daumen etwa beim Buchstaben A eng neben der Faust zu halten, spreizt man ihn etwas ab. „Sonst könnte man es schnell für ein S halten.“ Eigentlich gibt es fürs Buchstabieren aber auch noch eine andere Möglichkeit: Lormen, das taktile Alphabet. Die Finger eines Mitglieds tanzen über die Handinnenfläche eines anderen – sie streichen und tippen verschiedene Fingerspitzen an, die für unterschiedliche Buchstaben stehen.
Lachen, Zustimmung und Gefahr kommunizieren taubblinde Menschen auf der Schulter des Gegenübers
Zwischendurch geht es schneller: Eine Kollegin streicht mit ihrer Faust mehrmals über Kratzensteins Schulter, um ihn zu fragen, ob er Kaffee möchte. Seine Taubblindenassistenz malt ihm ein X auf den Arm, wenn sie für eine Pause wegtritt oder wieder zurück ist.
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Um Zustimmung auszudrücken, klopft der Kursleiter seinem Freund mit der flachen Hand auf die Schulter. Zum Lachen zieht der andere seine Finger mehrmals über Kratzensteins Arm. Der 60-Jährige fühlt sich sichtlich wohl: Hier scheint er ohne größere Mühe kommunizieren zu können, seine Taubblindenassistenz immer an seiner Seite. Wenn er doch mal stockt, hilft sie ihm weiter.
Selbsthilfegruppe für Taubblinde: „Die Kommunikation dauert länger“
Das Zusammenführen von gebärden- und lautsprachlich orientierten Menschen schien für ihn lange unmöglich. Im März 2023 gründete er gemeinsam mit Marion Hauke dann die Selbsthilfegruppe. „Anfangs war es schwierig“, sagt er. Einige lautsprachlich orientierte Teilnehmer hatten nie gelernt zu gebärden.
„Heute bieten wir neben der Selbsthilfegruppe auch einen Gebärdensprachkurs an“, sagt Kratzenstein. Sowieso: Die Gruppe biete den Mitgliedern Orientierung. Hier hätten viele gelernt, am Blindenstock zu gehen, zu lormen und Braille zu lesen. „Ich fühle mich sehr wohl hier“, gebärdet Dietmar Soremba, der nur noch sehr beschränkt sieht.

Inzwischen hat sich die Gruppe eingespielt, die Kommunikation klappt beinahe reibungslos: Wenn Kratzenstein oder Hauke am Kopf des Tisches lautsprachlich etwas sagen, übersetzen zwei Gebärdensprachdolmetscherinnen. So können all jene im Kurs, die nicht vollblind sind, sich an den Gebärden orientieren. Die Dolmetscherinnen tragen schwarze Kleidung, damit ihre Gebärden auch für stark sehbehinderte Mitglieder besser zu erkennen sind.
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Auch einige Taubblindenassistenten sind gehörlos. Sie sitzen während der drei Stunden Selbsthilfegruppe jeweils einer gebärdensprachlich orientierten, taubblinden Person gegenüber und halten sie an den Händen. Was die beiden Dolmetscherinnen gebärden, wiederholen sie noch einmal für ihr Gegenüber. Das ertastet, was Kratzenstein, Hauke oder ein anderes Mitglied gesagt haben. Bis eine Frage und die Antwort von allen im Raum verstanden sind, vergehen auch mal zwei Minuten.
„Für lautsprachlich orientierte Menschen ist es erstmal neu, wie lang alles dauert“, sagt Kratzenstein. Während die Kommunikation mit Stimme unmittelbar sei, sei das (taktile) Gebärden leicht zeitversetzt – besonders wenn die Lautsprache zunächst durch Dolmetscherinnen übersetzt werden muss. Zugleich ist es vielfältig. Zwischendurch unterhalten sich zwei Menschen über den Tisch hinweg mit Gebärden, andere streichen sich kurz über die Schulter und das Gegenüber weiß Bescheid: Sie möchte Tee, er geht auf die Toilette, sie stimmt mir zu.
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