Duisburg. 50 Jahre nach der umstrittenen Eingemeindung: Wie denken junge Duisburger übers Streitthema? Fühlen sie sich im Westen vernachlässigt? Überraschende Sätze.

Wollen sie „in die Innenstadt”, fahren sie zum Rheinhauser Markt oder zur Augustastraße nach Homberg. Wird der Rhein überquert, geht’s „nach Duisburg”. Diese Redewendung ist im Westen der Stadt noch heute geläufig, obwohl die Eigenständigkeit der einzelnen Gemeinden schon viele Jahre her ist. 

Seit 50 Jahren wohnen Menschen aus Rheinhausen, Homberg, Rumeln-Kaldenhausen, Baerl und Walsum offiziell in Duisburg. Die Gebietsreform zum 1. Januar 1975 hat starke Gegenwehr ausgelöst und verärgert manche Neu-Duisburger bis heute.

Doch wie blicken junge Menschen auf die umstrittene Eingemeindung? Und was haben sie noch mit den einst eigenständigen Städten und Gemeinden zu tun, die sie nur aus Erzählungen kennen? Zwei Beispiele. 

Elena Rentzsch (21): „Ich wohne gerne in Duisburg“

Elena Rentzsch, 21 Jahre alt, kommt aus Duisburg. So beschreibt sie ihren Wohnort gegenüber Menschen, die nicht aus der Stadt kommen und ihren Heimatstadtteil Rumeln-Kaldenhausen wohl nicht verorten können.

Elena Rentzsch (21) vor dem Haus ihrer Eltern, an der Wand das Wappen von Rumeln-Kaldenhausen, das ihr Großvater geschmiedet hat.
Elena Rentzsch (21) vor dem Haus ihrer Eltern, an der Wand das Wappen von Rumeln-Kaldenhausen, das ihr Großvater geschmiedet hat. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Einen Satz, den manche Menschen im Stadtwesten schwer über die Lippen bringen, spricht sie ganz locker aus: „Ich bin Duisburgerin.” Mehr noch: „Ich wohne gerne in Duisburg und freue mich, wieder hier zu sein, wenn ich aus dem Urlaub zurückkomme.” So liebt sie an der Stadt zum Beispiel das große Zentrum, die Lage am Rhein und die Bekanntheit durch die Industrie. 

Junge Duisburgerin kennt Streit um Eingemeindung von den Eltern

Konkreter wird Elena Rentzsch, wenn sie mit anderen Duisburgern spricht – dann nennt auch die 21-Jährige ihren Stadtteil zuerst. „Das hat aber weniger mit der Eingemeindung vor 50 Jahren zu tun, sondern mehr mit den Vorurteilen, die man mit anderen Stadtteilen oder der ganzen Stadt verbindet”, erklärt sie.

Müll, Kriminalität, Armut – solche Probleme kennt Rentzsch aus ihrem Teil der Stadt kaum. „Gegenüber anderen Duisburgern sage ich deswegen lieber, dass ich aus dem schönen, ländlichen Rumeln komme.” Die Gebietsreform vor 50 Jahren sei dabei aber nie ein Thema, auch nicht in Gesprächen im Freundeskreis.

Dass das in älteren Generationen teils anders war und heute noch ist, weiß Elena Rentzsch von ihren Eltern. Ihre Mutter kommt aus Wedau, ihr Vater aus Rumeln. Sie hätten den Widerstand gegen die Eingemeindung miterlebt. Und ihr Großvater könne sogar noch davon erzählen, welchen Streit es einst zwischen den früheren Einzelgemeinden Rumeln und Kaldenhausen gab, die 1934 zusammengeschlossen wurden.

21-Jährige: „Rumeln gehört einfach zu Duisburg”

Elena Rentzsch versteht, dass einige Menschen im Stadtwesten wenig Bezug zur anderen Rheinseite haben. Sie selbst fährt in ihrer Freizeit häufiger nach Krefeld und Moers statt in die Innenstadt und kann ihre Freunde, die im rechtsrheinischen Duisburg wohnen, an einer Hand abzählen. „Es fehlen einfach die Gemeinschaftsevents, bei denen sich die ganze Stadt im Westen trifft”, findet sie.

„Es fehlen einfach die Gemeinschaftsevents, bei denen sich die ganze Stadt im Westen trifft.“

Elena Rentzsch

Trotzdem glaubt die 21-Jährige, dass das Heimatgefühl zur Großstadt immer mehr zunimmt. Das erlebt sie zumindest in ihrer Generation. Würde über die Eingemeindung neu entschieden, würde sich Rentzsch für die heutige Lösung aussprechen: „Rumeln gehört einfach zu Duisburg.”

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Tom Janssen (22): „Homberg liegt zwischen Duisburg und Moers“

Ganz anders spricht Tom Janssen, 22 Jahre alt, über seine Heimat. Vor kurzem ist der Student von einer Dozentin aus Münster nach seinem Wohnort gefragt worden. Er antwortete nicht etwa mit Duisburg, sondern mit Homberg. „Sie konnte damit nichts anfangen. Deswegen habe ich ihr erklärt, dass Homberg zwischen Duisburg und Moers liegt.” Seine Gesprächspartner müssten weit außerhalb von NRW kommen, erst dann nenne er Duisburg zuerst.

Tom Janssen (22) auf der Augustastraße in Homberg.
Tom Janssen (22) auf der Augustastraße in Homberg. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Die Verbundenheit zu seinem Heimatstadtteil beschreibt er so: „Man ist hier unter sich und kennt die meisten Leute. Im Supermarkt trifft man seinen Lehrer, am Grillstand beim Sommerfest steht die Mutter eines Schulfreundes.” Homberg und Hochheide mit zusammen rund 30.000 Einwohnern seien wie eine eigene Mittelstadt, die viel zu bieten habe.

Warum sich Bewohner im Stadtwesten „vergessen“ fühlen

Der Rhein ist für Tom Janssen eine „physische und mentale Grenze”. Bis zur Duisburger Innenstadt brauche er eine halbe Stunde mit dem Bus, in Moers sei er in zehn Minuten. „Viele fahren lieber nach Moers und fühlen sich mit der Stadt auch mehr verbunden. Das war schon immer so.”

Bemerkenswert: Die Haltung zum Stadtteil und zur Stadt wurde dem 22-Jährigen nicht anerzogen. Seine Mutter kommt aus Spellen im Kreis Wesel. Auch sein Vater ist nach Homberg „zugezogen” – aus Meiderich. Trotzdem werde der Streit rund um die Eingemeindung vor 50 Jahren in seinem Bekanntenkreis regelmäßig angesprochen.

„Eine Straßenbahn über den Rhein würde den Zusammenhalt bestimmt stärken. Aber niemand weiß, wann und ob sie überhaupt kommt.“

Tom Janssen

„Manche haben das Gefühl, Homberg wird von Duisburg vergessen”, meint er. Sichtbar werde das an Nebenzentren wie der Homberger Augustastraße und Hochheider Ladenstadt, die mehr und mehr eingingen. Auch die schlechte ÖPNV-Anbindung trage zu diesem Gefühl bei: „Eine Straßenbahn über den Rhein würde den Zusammenhalt bestimmt stärken. Aber niemand weiß, wann und ob sie überhaupt kommt.”

22-Jähriger: „Heimatgefühl zur Stadt Duisburg wird weiter wachsen“

Trotzdem betont Tom Janssen, dass er und einige andere in seinem Alter die Großstadt nicht ablehnen, nur weil sie sich mit ihrem Stadtteil identifizieren. Im Gegenteil: „Das Heimatgefühl zur Stadt Duisburg wird weiter wachsen, auch wenn es bestimmt in 20 Jahren noch Menschen geben wird, die sich zu Homberg verbundener fühlen.”

Würde darüber abgestimmt, ob Homberg und Duisburg getrennte Wege gehen, wäre der 22-Jährige unentschieden. Eine eigene Stadt zu werden, könne sich Homberg nicht leisten. Dafür sei zu viel Industrie weggebrochen. Und würde Homberg nach Moers eingemeindet, sei wenig gewonnen. Er findet: „Man hat sich daran gewöhnt, dass Homberg nun mal zu Duisburg gehört.”

>> Bürgerbefragung: Geringe Verbundenheit mit der Stadt in West-Bezirken 

  • Nirgendwo identifizieren sich Duisburger so wenig mit der Stadt wie in den beiden Westbezirken. Das zeigt die Duisburger Bürgerbefragung 2023, an der 1654 Menschen aus Rheinhausen und Homberg/Ruhrort/Baerl teilgenommen haben. 
  • Nicht mal ein Drittel der Befragten aus Rheinhausen und Homberg/Ruhrort/Baerl haben angegeben, sich mit der Stadt Duisburg stark oder sehr stark verbunden zu fühlen.  
  • Zusammengerechnet liegt der Wert in Rheinhausen bei 29,8 Prozent, in Homberg/Ruhrort/Baerl bei 32,6 Prozent. 
  • In Walsum gaben 36 Prozent an, sich stark oder sehr stark mit Duisburg verbunden zu fühlen – der drittniedrigste Wert. 
  • Insgesamt gaben 40,6 Prozent der befragten Duisburger an, sich mit der Stadt sehr stark oder stark verbunden zu fühlen. Am stärksten ist das Identifikationsgefühl demnach in der Stadtmitte (49,2 Prozent).