Duisburg. Duisburg wurde vor 40 Jahren um Rheinhausen, Homberg und Walsum erweitert. Der Blick in die jüngere Stadtgeschichte ist spannend.
„Walsum hatte damals eine der modernsten Kehrmaschinen“, raunt der ältere Herr auf den Nachbarsitz im NRW-Landesarchiv, „ab dem 2. Januar 1975 hat sie nur noch in Duisburg gefegt.“ Viele Anekdoten und Legenden ranken sich um die kommunale Neuordnung von 1975. Wie präsent die Eingemeindung der westlichen und nördlichen Ortsteile vor 40 Jahren noch ist, zeigt die große Resonanz auf einen Vortrag von Dr. Astrid Küntzel.
Die Planung für eine Neuordnung der damals 214 NRW-Gemeinden begannen schon in den 1960er Jahren auf Landesebene. „Sie entsprangen der Vorstellung, gesellschaftliche Prozesse am Reißbrett planen zu können“, erklärt die Historikerin. Ein Experten-Gutachten von 1968 sah vor, aus 18 Ruhrgebietsstädten sechs zu machen. Dieses Städte-Verbandsmodell – das auch den Anschluss von Mülheim und Oberhausen an Duisburg vorsah – favorisierte auch der Duisburger Rat. „Bald zeigte sich, dass es politisch ebenso wenig durchsetzbar war wie ein Regierungsbezirk Ruhr“, so Küntzel.
„Aktion Bürgerwille“ blieb auf eigene Stadt begrenzt
So kam es zum „Städte-Kreis-Modell“, das die Landesregierung 1972 vorgeschlagen hatte. Im Vergleich zum Verbandsmodell konnte Duisburg „dabei nur verlieren“. Der Antritt, neben Wittlaer und Angermund im Süden auch noch Neukirchen-Vluyn und Kamp-Lintfort für Duisburg zu vereinnahmen, scheiterte.
Der Widerstand in Rheinhausen, Homberg und Walsum sei letztlich auch deshalb nicht erfolgreich, weil die linksrheinischen und nördlichen Anrainergemeinden an ihrer eigenen Uneinigkeit scheiterten, interpretiert die Landesarchivarin die Quellen. Die Rheinhauser fanden mit ihrer „Aktion Bürgerwille“ zwar breite Unterstützung, die aber auf die eigene Stadt begrenzt blieb. Der Moerser Vorschlag für eine „Südstadt“ (mit Rheinhausen, Homberg, Rumeln-Kaldenhausen) sei auch deshalb nur eine Idee geblieben, weil sich die Oberhäupter der Gemeinden schon über die Verteilung der Pfründen uneins waren.
Wirtschaft und Verkehr waren stets die Argumente
Der heftige Walsumer Protest verpuffte vor dem Landesverfassungsgericht in Münster. „Die Eingemeindung nach Duisburg hat nicht mehr Nachteile als die nach Dinslaken“, urteilten die Richter im März 1975 über eine mit Gutachten unterfütterte Beschwerde.
Dr. Astrid Küntzel erkennt in der 1975er Kommunalreform eine Reihe von Parallelen zu den Eingemeindungen von 1902 (Wanheim-Angerhausen), 1905 (Meiderich und Ruhrort) und 1929 (Hamborn). Wirtschaft und Verkehr waren stets die Argumente – auf beiden Seiten. Ohne Gebietszuwächse könne sich Duisburg nicht entwickeln, hieß es auf der einen Seite, als Teil der Stadt werde der eigene Ort unter die Räder kommen, auf der anderen.
Duisburg im Zentrum einer „Ruhr-Mündungsstadt“
Schon der Oberbürgermeister Karl Jarres träumte von einer großräumigen Umgestaltung des Ruhrgebietes mit Duisburg im Zentrum einer „Ruhr-Mündungsstadt“ der neben Homberg, Rheinhausen und Walsum auch Bottrop und Oberhausen angehören sollten.
So gebe es eine Konstante der vier Eingemeindungen seit 1902: „Duisburg verfolgte stets große Ziele, umgesetzt wurde die kleinste, durchsetzbare Lösung.“ So seien schließlich mit der 1975er Reform „nur Pläne umgesetzt worden, die seit 50 Jahren in der Schublade lagen.“
Franz-Josef Antwerpes
Der Anruf überrascht Franz-Josef Antwerpes nicht. „Es leben ja nicht mehr viele, die damals schon im Amt waren“, sagt der 80-Jährige. Von 1962 bis 1978 (da wurde er Regierungspräsident in Köln) war er im Duisburger Rathaus tätig, als Leiter des Planungsstabes und Sprecher der SPD maßgeblich beteiligt an der Vorbereitung der kommunalen Neuordnung.
Seine Rolle dementiert der heute 80-jährige, der in Köln lebt, nicht. „Viele sagen, es wäre nicht passiert, wenn ich nicht in Duisburg gewesen wäre“, bemerkt er. Der Wunsch sei damals über das 1975 erreichte hinausgegangen, erinnert er: „Wer für Duisburg was haben wollte, musste in Neukirchen-Vluyn anfangen.“ Er selbst habe einen Städteverbund favorisiert, in dem zentrale Aufgaben gemeinsam organsiert werden. Viele linksrheinische Freunde hat sich der gebürtige Viersener damit nicht gemacht: „In Scherpenberg drohte man, mich in einen Brunnen zu werfen.“
„Wer ein Amt hatte, musste fürchten, es zu verlieren“
Doch erstens hat das einen wie Franz-Josef Antwerpes noch nie geschreckt, zweitens , sagt er, waren gute Argumente rar. „Das konnte man doch niemandem erklären, warum so viele eingemeindet werden sollten.“
Das eigentliche Problem, sagt er, sei die mit der Neuordnung verbundene Verschlankung der Verwaltung und der Polit-Posten gewesen: „Wer ein Amt hatte, musste fürchten, es zu verlieren.“ Deshalb sei auch ein linksrheinischer Städteverbund „eine Fata Morgana“ geblieben.
„Duisburg musste sich zum Niederrhein ausdehnen, es war unser Einflussgebiet“, sagt Anwerpes heute. Auf die Bildung der Bezirke habe er gedrungen, „um alte mit neuen Teilen zusammen zu binden“. Dass dabei der Rhein überschritten wurde – kein Problem. „Das ist eine Grenze in den Köpfen, eine Einbildung der Leute“, findet er. Schließlich fließe der Strom mitten durch die Stadt. Und wenn Franz-Josef Antwerpes über eine Klammer nachdenkt, die das Stadtgebilde an beiden Ufern zusammenhalten könnte, dann fragt er: „Warum nicht der Rhein.“
Josef Krings
Als erster Oberbürgermeister der erweiterten Stadt wurde Josef Krings 1975 gewählt. Die Erweiterung gen Westen hält er 40 Jahre danach für richtig: „Duisburg war nicht auf den Niederrhein fokussiert“, erinnert er. „Über Grenzen gehen zu können, nach Holland, das war für mich eine Vision. Holland denkt international.“
Die Duisburger, sagt Krings , „haben schon immer leidenschaftlich für ihren Stadtteil gestritten.“ Die Rathäusern in den neuen Bezirken ebenso zu erhalten wie die Bürgermeister, das sei deshalb eine kluge Entscheidung gewesen, die Franz-Josef Antwerpes als „Schlüsselfigur“ vorbereitet habe. Als OB sei ihm nie Feindseligkeit entgegengeschlagen, betont der heute 88-Jährige. Dass sich Rheinhauser, Homberger und Walsumer noch immer nicht so sehr mit der Gesamtstadt identifizieren, erstaunt ihn nicht: „Das braucht zwei Generationen.“ Letztlich sei die Öffnung zum Niederrhein richtig: „Daher kommen viele Studenten, Theaterbesucher und MSV-Fans nach Duisburg.“
Interessante Quellen im Stadtarchiv
Eine Neuordnung erfuhr auch das Stadtarchiv nach 1975. Weil die Rheinhauser Bestände und Archivar Klaus Ebbers über den Rhein ins Rathaus wanderten, wurde der Umzug an den Innenhafen unausweichlich. Stadtarchivar Dr. Andreas Pilger, der auch die Akten zur Stadterweiterungg von 1975 verwahrt, hat ein internes Papier entdeckt, dass eine „Arbeitsgruppe Kommunale Neugliederung“ im Duisburger Rathaus schon 1968 verfasste. „Eine Provokation“ lautet der Untertitel der Schrift, die sich wie eine Argumentationshilfe liest.
Durch die Schwerindustrie herrsche ein „unerquickliches Wohn- und Lebensklima“ im Stadtgebiet, heißt es da. Der „langgestreckte Stadtkörper“ sei eingeschnürt durch Rhein, Kanäle, Schienen und Straßen, allesamt „Hemmnisse für eine gesunde Entwicklung“. Das führe neben einem mangelnden Angebot an Arbeitsplätzen zu Abwanderung, zwischen 1961 und ‘68 allein 8,2 %. Die Bürger, vermuteten die Autoren, finden sich fortan „in angenehmeren Wohnlagen am linken Niederrhein“. Duisburg solle deshalb, so ihr Vorschlag, „als vergrößerte Gebiets- und Verwaltungseinheit seine Einwohnerzahl durch gesteuerte Abwanderung in die anzuschließenden Gebiete soweit verringern, dass die Entwicklung eines optimal funktionsfähigen Gesamtorganismus durch eine systematische Stadterneurung gewährleistet ist“.