Duisburg. Alte Bauanträge und Bauzeichnungen offenbaren: Duisburg war früher eine Hochburg der Keks- und Zwiebackindustrie. Das ist über die Fabriken bekannt.

Was öde Bauakten alles offenbaren: Duisburg, vielen wirtschaftlich vor allem als „Stadt Montan“ ein Begriff, hatte früher eine florierende Keks- und Zwieback-Industrie. Dr. Marius Lange, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stadtarchiv, hat sich in alte Bauanträge vertieft und historische Zeichnungen studiert. Als „Beifang“ gibt’s neue Erkenntnisse über einen vergessenen Wirtschaftszweig.

Die gesammelten Verwaltungsunterlagen geben nicht nur Aufschluss über ehemalige Standorte der Gebäck-Fabriken, sondern auch darüber, wie groß die Betriebe waren, wie sich die wirtschaftliche Lage nach dem Ersten Weltkrieg auf das Geschäft auswirkte und wer die Kunden von Spekulatius und Co. waren.

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„Früh hatten sich im Deutschen Reich regionale, auf die Herstellung bestimmter Waren spezialisierte Industriezentren herausgebildet. Zwischen 1900 und 1965 avancierte Duisburg zu einem nicht unbedeutenden Standort der westdeutschen Keks- und Zwiebackindustrie“, weiß Lange. In Duisburg lebten um 1925 etwa 270.000 Personen, die Kleidung, Nahrung und anderes benötigten. Vom Stahlträger über Fahrräder und eben Zwieback wurde all das hier produziert.

In Duisburg existierten zwischen 1900 und den 1960er Jahren zwei Dutzend Fabriken

Dr. Marius Lange arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stadtarchiv. Beim Studieren der Bauakten bekam er viele Hinweise zur Alltagsgeschichte.
Dr. Marius Lange arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stadtarchiv. Beim Studieren der Bauakten bekam er viele Hinweise zur Alltagsgeschichte. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

In Alt-Duisburg, Meiderich, Beeck und Hamborn existierten rund zwei Dutzend Keks- und Zwieback-Firmen. Trotz der nennenswerten Größe dieser Wirtschaftsgeschichte war dies bisher aber kaum dokumentiert. Lange, bekennender Plätzchenliebhaber, stieg also tiefer in die süße Materie ein. Aus den unterschiedlichen Informationen, die die Bauakten, Adressverzeichnisse, Briefköpfe und beispielsweise Zeitungsannoncen boten, puzzelte er 24 Firmenchroniken zusammen.

Die „Kutscher“ der Unternehmen hatten früher eine immense Bedeutung. Sie waren nicht nur Fahrer, sondern auch Handelsvertreter. Abnehmer für Zwieback waren beispielsweise Krankenhäuser.
Die „Kutscher“ der Unternehmen hatten früher eine immense Bedeutung. Sie waren nicht nur Fahrer, sondern auch Handelsvertreter. Abnehmer für Zwieback waren beispielsweise Krankenhäuser. © Robin Possberg | Robin Possberg

Der überwiegende Teil der Fabriken hatte nur wenige Mitarbeiter. Vieles war Handarbeit, es wurden Massen hergestellt und über Kolonialwarenläden vertrieben. Das unterschied die Fabriken von Bäckereien, die eigene Geschäfte hatten. „Sowohl in Bezug auf die Anzahl der Backöfen als auch der Beschäftigtenzahl, standen diese aber immer im Schatten der Brotfabriken.“ Die „Marxloh-Hamborner Brotfabrik Ernst im Brahm“ war 1933 Arbeitgeber für 92 Personen. Der Duisserner Zwieback-Betrieb der Gebrüder Possberg zählte rund 30 Angestellte.

Die ersten Unternehmen gründeten sich um 1900 – Hugo Possberg beispielsweise machte sich 1901 mit einer Bäckerei selbstständig. Drei Jahre später eröffnete er mit seinem Bruder Eugen eine Fabrik an der Werthauser Straße in Hochfeld. Doch ein Jahr später stieg Eugen wieder aus, Hugo führte den Betrieb alleine und zog 1910 mit dem Betrieb zur Heckenstraße in Duissern. Das Geschäft lief gut.

Alte Stellenanzeigen lassen tief blicken: „Nüchterne“ Kutscher gesucht

Zwieback-Abnehmer waren unter anderem Krankenhäuser. In Kriegszeiten ließ sich das Gebäck zudem per Feldpost an die Soldaten schicken. Zeitungsannoncen richteten sich außerdem an „sorgsame Mütter“, die ihre Kinder gesund ernähren sollten. Damit der Absatz florierte, gehörten auch Handelsvertreter zum Fabrik-Personal. Ein Job mit Verantwortung, sie waren nämlich Kutscher und Vertreter zugleich. Zudem wurde ihnen Bargeld anvertraut.

Alte Stellenanzeigen lassen tief blicken: In einer Ausschreibung hieß es ausdrücklich, dass der Kutscher nüchtern bleiben müsse. „Die Firma hatte offensichtlich schlechte Erfahrungen gemacht. In einem anderen Fall wurde einem Kutscher 1907 Geld mitgegeben. An seinem Ziel kam er nie an, und war danach nicht mehr gesehen“, hat Lange einige Anekdoten auf Lager.

Possberg wollte 1922 gerne expandieren, ist den Bauakten zu entnehmen. Allerdings war nach dem Krieg das Geld knapp. Die Pläne wurden erst einmal auf Eis gelegt, stattdessen wurde der Fuhrpark motorisiert, der bis dato aus Pferdefuhrwerken bestand. 1931 verlobte sich Hugo Possberg junior mit der Tochter des Duisburger Zwieback- und Keks-Fabrikanten Bergmann.

Die Duisserner Firma Possberg hatte zahlreiche Zwieback- und Keksvarianten im Angebot. Teilweise sind die Rezepte noch überliefert. 
Die Duisserner Firma Possberg hatte zahlreiche Zwieback- und Keksvarianten im Angebot. Teilweise sind die Rezepte noch überliefert.  © Robin Possberg | Robin Possberg

„Viele Firmen schlossen kurz vor oder nach der Wirtschaftskrise. Sie waren zu jung, um sie überstehen. Und die Leute gaben kein Geld für Luxus-Artikel wie Kekse aus“, beschreibt Lange. Im Falle der Firma Possberg geben Rekonstruktionen alter Tüten-Designs und Rezepte Aufschluss darüber, was alles hergestellt wurde: Neben Haushaltszwieback und solchen mit Anis-Überzug, gab es auch Gewürz-Spekulatius und die „Feine Gebäckmischung Rheingold, teilweise mit Schokolade überzogen.“ Die Basis für den Spekulatius bildeten etwa 35 Kilo Mehl, Typ 550, und 15 Kilo Mehl, Typ 1050. Außerdem 16 Kilo Zucker, 11 Kilo Margarine, 6 Kilo Sirup und 4 Liter Wasser. Außerdem noch Gewürze und Salz.

Für wie viele Kekse das Rezept reichte, ist nicht überliefert. Für seinen Vortrag im Rahmen von „Stadtgeschichte donnerstags“ am 19. Dezember, hat Fachmann Lange tatsächlich Detlev Grütjen von der Bäckerei „Omma Paula“ gewinnen können. Er stellt extra nach alten Rezepten frische Kekse für die Veranstaltung her. Ab 18.15 Uhr erfahren die Besucher des Stadtarchivs (Karmelplatz 5) auch, wo sich heute noch bauliche Spuren alter Keks- und Zwieback-Fabriken in Duisburg finden lassen. Die letzten Unternehmen schlossen nämlich in den 1960er Jahren, als die Konkurrenz von Brandt und Bahlsen zu groß wurde.

>> Zeitzeugen gesucht

Dr. Marius Lange hält nicht nur am kommenden Donnerstag, 19. Dezember, einen Vortrag. Er ist auch interessiert an Zeitzeugen-Berichten, alten Fotografien und Unterlagen. Personen, die in einer der Zwieback- und Keksfabriken gearbeitet haben, jemanden kennen, der dort beschäftigt war, oder noch alte Materialien besitzen, können sich gerne bei ihm melden.

Nähere Informationen gibt es per Mail: m.lange@stadt-duisburg.de oder telefonisch unter der Rufnummer 0203/2834026.