Duisburg. Bagger haben 100 Jahre alte Häuser in Duisburg abgerissen – weitere Immobilien folgen. Wie die Siedlung umgebaut wird und was Mieter wissen müssen.
Zwischen Garagen und Reihenhäusern in einem alten Duisburger Quartier klafft plötzlich eine Lücke. Fast 100 Jahre lang standen dort typische Siedlungshäuser mit Ziegelmauerwerk, Satteldach, kleinen Räumen und großen Gärten. Heute liegt an ihrer Stelle nur noch ein leeres Baufeld.
Gemeint ist die Saarstraße in Friemersheim, eine schmale Gasse in der Borgschenhof-Siedlung im Westen Duisburgs. Im Herbst haben sich Handwerker und Abrissbagger an einer Altbaureihe zu schaffen gemacht. Bilder von eingerissenen Hauswänden machten in den sozialen Medien schnell die Runde, ebenso die Frage: Muss der Abriss dieses Stücks „Rheinhauser Geschichte”, wie ein „Facebook”-Nutzer schrieb, wirklich sein?
Alte Siedlung in Duisburg wird komplett erneuert – aus zwei Gründen
Verantwortlich für die Häuser und die Bauarbeiten ist der Spar- und Bauverein Friemersheim. Die Genossenschaft hat die Siedlung zwischen 1925 und 1939 selbst bauen lassen. Heute gehören ihr dort 35 Gebäude mit fast 300 Wohnungen.
„Wir wissen um ihre Bedeutung für die Anwohner und den Lokalpatriotismus in Rheinhausen”, erklärt Hendrik Brendgen, Vorstandsvorsitzender des Bauvereins. „Trotzdem müssen manche Gebäude weichen.” Dafür nennt er zwei Hauptgründe.
Erstens hätten sich die Ansprüche der Mieter verändert. In den 20ern und 30ern seien die Häuser mit einfachen Mitteln gebaut worden. Die Wohnfläche ist knapp, die Räume sind eng. Dafür sind die Gärten relativ groß. „Früher war das sinnvoll, um Gemüse im Garten anzubauen und sich selbst versorgen zu können, aber das ist nicht mehr nötig. Die meisten wollen heute lieber mehr Platz zum Wohnen“, meint Brendgen.
Zweitens sind viele Gebäude energetisch auf einem alten Stand. Die Altbauten sind schlecht gedämmt, verbrauchen viel Heizenergie und besitzen oft noch alte Heizsysteme. Der Vorstandsvorsitzende ist sich sicher: „Wenn wir hier nichts verändern, werden die Nebenkosten immer weiter steigen.“ Bis 2045 müssen die Gebäude ohnehin klimaneutral sein.
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Genossenschaft saniert Altbauten und legt kleine Wohnungen zusammen
Auf die veränderten Wohnansprüche reagiert der Bauverein Friemersheim zum Beispiel, indem er nachträglich Balkons zum Garten hin anbauen lässt. Zudem legt er Wohnungen zusammen, verbindet beispielsweise eine Wohnung im ersten Stock mit dem Dachgeschoss. „Das Problem der schlechten Grundrisse bekommt man so aber nicht behoben”, sagt Brendgen.
Um die Bestandsgebäude energetisch zu sanieren, setzt die Genossenschaft auf zwei Ansätze. Einerseits werden Gebäude mit Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) ausgestattet. Diese Systeme aus Dämmstoffplatten und Putzschichten werden außen an die Fassade angebracht.
Die Technik hat sich bewährt und schützt die Bausubstanz. Der Backstein-Charme von außen geht jedoch verloren. „Auch energetisch sind die Systeme nicht optimal, weil immer noch Heizenergie verloren geht“, erklärt Hendrik Brendgen.
Andererseits werden Altbauten modernisiert, ohne die Gebäudehülle zu verändern. Zum Beispiel werden das Dach neu gedeckt und die alten Fenster durch neue mit Mehrfachverglasung ausgetauscht. Das Problem: Die Wände bleiben meist unsaniert. „Eine Innendämmung macht wenig Sinn, dann wird der Raum noch kleiner.“
Warum manchen Altbauten nur noch der Abriss bleibt
Gebäude abzureißen und mit moderner Planung neu zu bauen, biete hingegen Vorteile für beide Ausgangsprobleme in der Siedlung. Neue Häuser würden hohe Energiestandards erfüllen, dadurch sinken die Nebenkosten. Außerdem werden sie mit modernen Grundrissen geplant – mehr Wohnfläche, kleinerer Garten.
Dafür kommen andere Nachteile ins Spiel: „Die Umsetzung von Neubaumaßnahmen ist im Moment aufgrund der Zinslage und der hohen Baukosten schwer realisierbar“, erklärt das Vorstandsmitglied des Bauvereins. Zu teuer dürfe ein Neubau nicht werden. „Wir wollen ja keine Kaltmiete von 17 Euro pro Quadratmeter verlangen, müssen aber auch die schwarze Null halten.“
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Umbau der Siedlung: „Strategie für die nächsten 20 Jahre“
Einen Ansatz, der alle Probleme ohne Nachteile löst, sieht Hendrik Brendgen also nicht. Deswegen setzt der Bauverein im Quartier auf eine „gemischte Strategie“. Manche Häuser werden energetisch verbessert – mit WDVS oder ohne –, andere werden räumlich verändert, wieder andere werden abgerissen und neu gebaut.
„Das ist eine Strategie für die nächsten 20 Jahre, bei der wir niemandem Druck machen”, meint er. Der Verein suche stets die Gespräche mit den Bewohnern. Aus Eigenbedarf darf die Genossenschaft ihren Mitgliedern sowieso nicht kündigen. „Auch anderweitig wird niemand aus seiner Wohnung vertrieben.“
Gebäude mit insgesamt 44 Wohnungen werden noch abgerissen
Klar ist aber: Weitere Altbauten der Borgschenhof-Siedlung sollen abgerissen werden. Das gilt für die Häuser mit den Adressen Saarstraße 1-4. Dort sind 20 Wohnungen betroffen, von denen zurzeit noch zehn bewohnt sind. Auch die Gebäude Metzer Straße 17-29 sollen zurückgebaut werden. Dazu gehören 24 Wohnungen, von denen noch acht belegt sind.
„Das ist eine Strategie für die nächsten 20 Jahre, bei der wir niemandem Druck machen.“
Erst mal ist mit den Bauarbeiten rund um die Saarstraße jedoch Schluss. Freie Wohnungen in den Gebäuden, die weichen sollen, werden nicht mehr vermietet. Abgerissen würden die nächsten Objekte erst, wenn auch der letzte Mieter freiwillig ausgezogen ist.
Auch auf den Abrissflächen der Hausreihe Saarstraße 5-7 kehrt Ruhe ein. Neue Häuser würden erst gebaut, wenn das ganze Grundstück frei ist, damit die Fläche optimal ausgenutzt werden kann, versichert Hendrik Brendgen. Das gelte für die ganze Siedlung. „Auf der Fläche werden wir zunächst erst mal eine Wildblumenwiese pflanzen und anschließend schauen, wann wir mit der Neubauplanung beginnen können.”
>> Umbau der Borgschenhof-Siedlung: Viele Bewohner wissen Bescheid
- Für viele Bewohner der Borgschenhof-Siedlung dürften die Pläne des Bauvereins nicht neu sein. Im Sommer 2018 hat die Genossenschaft ihre Mitglieder über die Erneuerung des Quartiers informiert.
- Bei einer Infoveranstaltung konnten Bewohner einen Fragebogen ausfüllen. Sie schilderten Probleme und Vorzüge der Wohnungen im Ist-Zustand und erklärten, welche Anforderungen sie zukünftig erfüllen sollten.
- Die Wohnungen der abgerissenen Hausreihe Saarstraße 5-7 wurden laut Vorstand Hendrik Brendgen bereits seit acht Jahren nicht neu vermietet. Der letzte Bewohner ist zum 31. Dezember 2022 ausgezogen. Demnach standen die Häuser über eineinhalb Jahre leer.