Duisburg. Der Abriss ist bereits beschlossen. Doch Duisburger wollen für ihr Zuhause kämpfen und treten in den Hungerstreik. Ein Blick in die Geschichte.
In der „DenkStätte“ des Stadtarchivs wird sich schon angeregt ausgetauscht. Es geht um die Geschichte der Rheinpreußensiedlung in Hochheide: „Wann war das nochmal mit den Hungerstreiks, 1975?“ „Nein, das war doch später. 1979, glaube ich.“ Samanta Kaczykowski wird die Verwirrung gleich lösen. Sie ist Diplomarchivarin und erzählt im Rahmen der Vortragsreihe „Stadtgeschichte donnerstags“ über Hombergs Arbeitersiedlung.
Vortrag im Duisburger Stadtarchiv beleuchtet die bewegte Geschichte der Rheinpreußensiedlung
Um die bewegte Geschichte der Siedlung zu verstehen, müsse man am Anfang beginnen, erklärt Samanta Kaczykowski. Die Rheinpreußensiedlung entsteht aus der gleichnamigen Zeche. In den 1800 Wohnungen darf nur leben, wer hier auch arbeitet. Als Folge der Kohlekrise Ende der 1950er wird die Siedlung aber an die Kun & Höltgen KG Firmengruppe verkauft.
Es folgt der erste Abriss. Zwei Drittel der Siedlung werden plattgemacht. Erstaunlicherweise gibt es zu dieser Zeit kaum Widerstand. Die ehemaligen Bewohner bekommen Umzugsgeld und eine neue Bürgerinitiative kümmert sich lediglich um finanziellen Ausgleich. Auf der freien Fläche werden schließlich die bekannten „Weißen Riesen“ gebaut.
Die Weißen Riesen in Duisburg-Hochheide gelten anfangs als Prestigeobjekt
Einst als Prestigeprojekt gestartet, gelten die Hochhäuser als Aushängeschild gemäß dem Motto: „Von der Zechensiedlung zum modernen Wohnpark“. Die Siedlung soll nicht nur als Wohn-, sondern auch als Lebensort dienen. Mit Einkaufsläden und Parks in der nächsten Nähe. Nur 80 Jahre später ist davon nicht mehr viel übrig. Zwei Hochhäuser sind bereits gesprengt, der nächste Weiße Riese soll vermutlich 2025 fallen. Die Siedlung in Hochheide gilt seit längerem als sozialer Brennpunkt und Problemviertel.
Die Kun & Höltgen KG Firmengruppe geht schließlich 1973 insolvent. Die verbliebenen Wohnungen sind nun im Besitz einer Frankfurter Bank und die will den Abriss. Als Reaktion gründet sich schließlich die „Bürgerinitiative Rheinpreußen“. In Ihren Augen ist die Rheinpreußensiedlung ein „Dorf in der Stadt“ mit viel Natur, einer guten Nachbarschaft und niedrigen Mieten.
Um die Siedlung zu retten, treten 15 bis 20 Duisburger sogar in den Hungerstreik
Um ihr Zuhause zu erhalten, setzen sie auf verschiedene Protestformen. Fast täglich schicken sie Briefe und Anfragen an Politiker, Ämter und Banken. Sie verteilen Flugblätter, organisieren Informationsstände und veranstalten Demonstrationen. Dadurch wird die Initiative schnell auch außerhalb Duisburgs bekannt. Besonders Haus- und Baggerbesetzungen sowie Mahnwachen vor der Bank polarisieren im ganzen Land. Am meisten Aufmerksamkeit erreicht die Bürgerinitiative aber schließlich mit ihrem extremsten Protest, dem Hungerstreik.
Am 5. Februar 1979 treten 15 bis 20 Menschen in den Hungerstreik. Die Stadt hat mittlerweile ein Vorkaufsrecht an den Wohnungen, will dieses aber nicht nutzen. Die Häuser werden währenddessen zwangsversteigert, die Fronten verhärten sich. Nun will die Bürgerinitiative die Stadt über den Hungerstreik zur Nutzung des Vorkaufsrechts zwingen. Die Protestierenden werden täglich ärztlich untersucht. Ihnen wird zum Abbruch geraten. Die Mehrheit entscheidet sich aber dagegen. Ein Bewohner soll gesagt haben: „Wir haben nicht Jahre dafür gekämpft, dass hier jetzt andere einziehen. Wir wollen bleiben!“
Ein erboster Bürger schickt dem Oberstadtdirektor eine Dose Kaviar
Samanta Kaczykowski vermutet, dass die Meinungen über den Streik damals unterschiedlich ausgefallen seien. In den Überlieferungen dominieren allerdings Zustimmung und Unterstützung. So soll ein Bürger dem Oberstadtdirektor eine Dose Kaviar geschickt haben, der Kommentar dazu: „Ich nehme an, dass sie Kaviar essen, während vor ihrem Rathaus gehungert wird. Daher hier ihre heutige Ration.“
Schließlich zeigt der Hungerstreik nach 18 Tagen Erfolg: Am 22. Februar werden die verbliebenden Wohnungen für 27 Millionen D-Mark gekauft. Diese Entscheidung entwickelt sich zur politischen Debatte in ganz Deutschland. Der damalige Innenminister stellt klar, dass die Entscheidung kein Präzedenzfall sei. Oberbürgermeister Josef Krings kritisiert, dass solche Aktionen „die repräsentative Demokratie kaputt machen“.
- Die WAZ Duisburg informiert Sie auch hier: zum WhatsApp-Kanal +++ bei Instagram folgen +++ jetzt Duisburg-Newsletter ins E-Mail-Postfach schicken lassen +++ WAZ Duisburg bei Facebook abonnieren +++
1984 wird entschieden, dass die Siedlung als Wohnungsgenossenschaft weitergeführt werden soll. Diese Genossenschaft soll sich auch um die Instandhaltung und Sanierung der Häuser kümmern. Dazu wird eine sogenannte „Muskelhypothek“ ins Leben gerufen. Jede arbeitsfähige Familie sollt mit 150 Arbeitsstunden in der Siedlung helfen. Die bis heute bestehende Wohnungsgenossenschaft ist in Kaczykowskis Einschätzung eine Weiterführung der Bürgerinitiative. Sie müsse sich nur nicht mehr gegen den Abriss der Wohnungen stellen, sondern fokussiert sich nun aufs soziale Leben in der Rheinpreußensiedlung.
>> „Stadtgeschichte donnerstags“ – das sind die nächsten Termine
- 22. Februar: „Das Speditionsunternehmen Lehnkering – ein Beispiel für den wirtschaftlichen Ausbau des Duisburger Innenhafens zum Ersten Weltkrieg“ mit Thorsten Fischer von der Eberhard Karls Universität Tübingen und Michael Voth.
- 7. März: „Frauenarbeit im Ersten Weltkrieg, Beispiele aus Duisburg und dem Ruhrgebiet“ mit Prof. Dr. Manfred Rasch von der Ruhr-Universität Bochum
- Die Vorträge beginnen jeweils um 18.15 in der Denkstätte im Stadtarchiv Duisburg, Karmelplatz 5