Duisburg. Mit Schockanrufen erbeuten Betrüger viel Geld, oft von Senioren. Ein Duisburger Experte erklärt, mit welchen einfachen Tricks man sich schützen kann.
Marlene nimmt den Hörer ab – und erschrickt. Am anderen Ende spricht ihre Tochter Marie, in Tränen aufgelöst, vor lauter Schluchzen kaum zu verstehen. Nur so viel kommt rüber: Sie hat eine Frau totgefahren – und hatte Schuld – jetzt sitzt sie bei der Polizei und muss in Untersuchungshaft.
Da stellen sich einem die Nackenhaare auf, selbst als Zuhörer. Dann ist auch schon ein Polizist am Apparat, stellt mit professioneller Kühle seine Fragen und malt das Schreckensszenario noch weiter aus. Dann aber ein Silberstreif: Wenn Marlene eine Kaution zahlt, bleiben ihrer Tochter mehrere Monate Untersuchungshaft erspart.
„Und das ist der Punkt, das Signal, das Sie kennen müssen, um sich zu schützen“, sagt Ralf Schäfer und stoppt die Aufnahme. Der Schockanruf, zum Glück nur nachgespielt von der Hamburger Polizei, hätte aber auch genauso gut echt sein können.
Polizei Duisburg: Experte gibt Tipps bei Schockanrufen
Der Duisburger Kriminalhauptkommissar weiß das, er beschäftigt sich seit zehn Jahren mit der Materie. So lange arbeitet er in der „Seniorenprävention“, eine Abteilung der Kriminalprävention, und gibt alles, um Senioren vor Schockanrufen, Enkeltricks und mehr zu schützen.
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Als Faustregel, die sich jeder am Besten auch direkt neben das Telefon legen sollte, nennt er zwei eigentlich ganz einfache Kriterien. „Erstens: Es gibt in Deutschland keine Kaution, wie zum Beispiel in den USA. Und zweitens: Bei Geld hört die Freundschaft auf. Wenn der Anrufer eine Kaution oder eine andere Art der Zahlung mit Geld, Schmuck oder Gold fordert, ist er ein Betrüger.“
„Kaution“ und „Geld“ sind die wichtigsten Stichwörter
Aber wie gesagt: EIGENTLICH einfach. Denn wenn Ralf Schäfer Seniorengruppen besucht, auf Veranstaltungen spricht und über die Betrügereien aufklärt, ist er beinahe mehr Psychologe als Polizist. „Die meisten sagen dann, dass ihnen das nicht passieren könnte, dass sie einen Betrüger sofort erkennen würden. So viel vorneweg: Das ist nicht so. Unser Gehirn ist leider sehr leicht zu überlisten.“
Das fängt mit einer falschen, trügerischen Sicherheit an, in der sich viele Menschen wiegen. Ralf Schäfer nutzt gerne den deutschen Rekordmeister Bayern München als anschauliches Beispiel – und zwar, dann, wenn er unerwartet verliert. „Diese Niederlagen passieren fast immer, wenn sich die Bayern zu sicher fühlen, wenn sie ihre Deckung unten lassen. Das ist bei uns genau so. Natürlich kann man nicht permanent absolut misstrauisch sein. Aber ein gesundes Hinterfragen ist der erste Schritt.“
Gehirn ist leicht zu überlisten
Denn unser Gehirn hat eine kleine Unart: Es füllt Lücken. „Wenn Ihre vermeintliche Tochter weinend anruft und erzählt, sie habe jemanden totgefahren, dann malt unser Gehirn sofort ein Bild des Unfalls. Vielleicht hat es gerade geregnet und die Straßen sind nass. Vielleicht ist Ihre Tochter auf dem Weg in den Urlaub und Sie warten auf den Anruf, dass sie gut angekommen ist. Womöglich wissen Sie auch noch, dass es Ihre Tochter mit gelben und roten Ampeln nicht so genau nimmt. Und Zack!“, klatscht Schäfer in die Hände, „hat unser Gehirn ein realistisches Szenario aufgebaut, ohne, dass wir es mitbekommen haben.“
Der Schock des Anrufs, ein Schlag in die Magengrube, tut sein übriges, um den gesunden Menschenverstand auszuschalten. „Und die Keiler, die lassen ja nicht locker, die legen nach. Wenn ein Boxer einen guten Treffer landet, wartet er ja auch nicht, bis sich sein Gegner erholt hat.“ Keiler, im Übrigen, so nennt man die Erstanrufer – weil sie einen sprichwörtlichen Keil in die Tür stellen. Ihr Anteil an der Beute beläuft sich schätzungsweise auf 20 Prozent, sagt Ralf Schäfer.
Ein normaler Arbeitstag im Büro: Betrüger arbeiten in Callcentern
Die Betrüger rufen meistens aus dem Ausland an, etwa aus der Türkei, Schockanrufe wie der an Marlene kommen in aller Regel aus Polen. Dort wurde auch der klassische „Enkeltrick“ erfunden. Die Geschichte vom Polizisten, der das Bargeld des Angerufenen abholen und in Sicherheit bringen möchte, weil es Hinweise auf einen bevorstehenden Einbruch gibt, kommt aus der Türkei (mehr Informationen siehe Infokasten).
„Man muss sich vorstellen“, sagt Ralf Schäfer, „dass diese Leute in richtigen Callcentern arbeiten. Die gehen ganz normal zur Arbeit, im Schichtdienst.“ Neben dem Keiler sitzen dort noch andere „Mitarbeiter“, die dann Polizisten oder Staatsanwälte spielen, in letzter Zeit treten sogar vermeintliche Beamte des LKA und BKA auf.
„Das sind regelrechte Hörspiele, die sie da vorgesetzt bekommen, die arbeiten nach Drehbüchern. Und das spielt ihnen in die Karten. Viele Opfer denken sich: ‚Jetzt habe ich mit der vierten Person gesprochen, ein Betrüger würde doch nicht so einen Aufwand betreiben.‘“ Das Unmögliche darf nicht wahr sein, so der Reflex im Hirn.
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Diese Leistung wäre beinahe beeindruckend, wäre sie nicht so perfide. „Die Betrüger setzen auf Gefühle wie Mitleid und Angst“, sagt Ralf Schäfer, „das ‚Nachdenken‘ wird komplett außer Kraft gesetzt.“ Deswegen, wiederholt der Polizist noch einmal, sollten sich alle Menschen die zwei Schlagwörter hinter die Ohren schreiben: „Kaution“ und „Geld“. So lassen sich Fälle wie der von Marlene hoffentlich verhindern. Oder Fälle wie der, den Ralf Schäfer selbst bearbeitet hat. „Die Frau hat 30.000 Euro in Schmuck verloren. Die Betrüger haben ihr nichts gelassen.“
>> TÜRKEI, POLEN UND CLANS: DIE GESCHICHTE DER SCHOCKANRUFE
- Als Erfinder des klassischen „Enkeltricks“ gilt der Pole Arkadiusz „Hoss“ Lakatosz. Bevor er 1999 damit anfing, betrog er als falscher Teppichhändler.
- Der falsche Polizist, der Menschen vor einem Einbruch warnt und deren Geld in Sicherheit bringen will, ruft in den meisten Fällen aus der Türkei an.
- Der Schockanruf, wie Marlene ihn bekommen hat, wurde vom polnischen Goman-Clan erfunden. „Diese Masche kombiniert die emotionale Schiene und Obrigkeitshörigkeit der beiden anderen Tricks“, erklärt Ralf Schäfer.
- Der Goman-Clan ist vielen Deutschen aus den umfangreichen Reportagen von „Spiegel TV“ bekannt.
- Die Abholer, die das Geld bei einem erfolgreichen Betrug in Empfang nehmen, werden meist vor Ort angeheuert. „Selbst wenn mal einer geschnappt wird“, sagt Ralf Schäfer, „finden sich eigentlich immer neue Leute dafür.“