Duisburg. Duisburgs DGB-Chefin Angelika Wagner im Interview über die Folgen der Pandemie für den Arbeitsalltag und die Gewerkschaftsarbeit.
Wie sehr Corona die Arbeitswelt verändert hat, darüber sprachen wir zum 1. Mai mit der Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes Region Duisburg / Niederrhein, Angelika Wagner.
Frau Wagner, was bedeutet für Sie der „Tag der Arbeit“ 2021?
Gerade jetzt ist es wichtig klar zu machen, dass Beschäftigte, die bereits vor der Coronakrise schlecht bezahlt wurden, oder ständig nur befristet angestellt wurden, nun besonders unter der Krise leiden. Wir fordern: Die Folgen der Krise dürfen nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden! Dafür brauchen wir ein gerechteres Steuersystem, und Kommunen wie Duisburg müssen entschuldet werden, um wieder mehr investieren zu können. Wir brauchen dringend ein Tariftreuegesetz, damit öffentliche Aufträge nur an Unternehmen gehen, die nach Tarifen zahlen und soziale Standards einhalten. Dann werden viele Beschäftigte besser bezahlt, und müssen nicht trotz Vollzeitjob Aufstockung beim Jobcenter beantragen.
Kurzarbeit, Homeoffice, Betriebe in der Gastronomie- und Veranstaltungsbranche, aber auch im Handel kämpfen ums Überleben. Die Arbeitslosenzahlen sind wieder gestiegen. Was bedeutet dies alles für die Gewerkschaftsarbeit?
Gewerkschaftsarbeit ist wie vieles andere schwieriger geworden. Mehr Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen haben Probleme in ihrem Job und brauchen Beratung und Unterstützung. Sind die Hygienemaßnahmen an meinem Arbeitsplatz ausreichend, werden die Arbeitssicherheits- und Arbeitszeitbestimmungen, auch im Homeoffice, eingehalten? Das sind häufige Fragen. Dazu kommt, dass den Gewerkschaften der Zutritt in Betriebe eben wegen der Hygieneauflagen oftmals verwehrt wird. Wir erreichen die Menschen viel schlechter.
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Was hat der DGB bislang erreicht?
Der Bezug von Kurzarbeit ist verlängert und erhöht worden ist. Bisher bekamen Beschäftigte 60 Prozent ihres bisherigen Nettoeinkommens. Wenn sie nur ein niedriges Einkommen haben, wie viele in Duisburg, aber trotzdem weiter ihre Miete zahlen müssen, reicht das nicht aus. Und wir haben dafür gekämpft, dass Leiharbeit und Werkverträge in der Fleischindustrie verboten werden. In Duisburg gibt es zwar keine großen Schlacht- und Verarbeitungsbetriebe mehr, aber Beschäftigte, die in solchen Unternehmen arbeiten.
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Zu Beginn der Krise haben die Mitarbeiter in Kliniken, Supermärkte und sogenannten systemrelevanten Berufen viel Applaus bekommen. Hat sich dieser Zuspruch für die Beschäftigten ausgezahlt?
Noch nicht wirklich. Zwar hat es Prämien in einzelnen Bereichen gegeben, jahrelange Unterfinanzierung und Fachkräftemangel lassen sich aber nicht kurzfristig abstellen. Wir müssen am Thema bleiben, denn unsere Erfahrung zeigt: von alleine wird nichts besser. Auch hier werden wir als Gewerkschaften dafür sorgen müssen, dass die Rahmenbedingungen geändert werden. Im September sind Bundestagswahlen, wir werden die Parteien auffordern hier zu handeln.
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Haben die Gewerkschaften in dieser Krise mehr Zulauf erfahren?
Einzelne Gewerkschaften melden steigende Zahlen, jedoch leider nicht alle. Steigende Arbeitslosigkeit, hohe Kurzarbeiterzahlen und weniger Auszubildende führen zu sinkenden Zahlen. Trotzdem meldet der DGB bundesweit täglich 900 Neuaufnahmen – das kann sonst keine Mitgliederorganisation für sich verzeichnen.
Neben Homeoffice bestimmte auch Homeschooling die letzten Monate das Leben der Familien. Vor allem für Frauen ist dies eine enorme Doppelbelastung. Wird Corona zur Krise der Frauen?
Corona ist bereits die Krise der Frauen. Frauen sind viel häufiger diejenigen, die oft ungewollt und unvorbereitet im Homeoffice gleichzeitig arbeiten und die Familie versorgen. Kita-Notbetrieb und geschlossene Schulen sorgen dafür, dass Frauen neben ihrem Job ein Kita-Kind betreuen, beim anderen das Homeschooling organisieren und „nebenbei“ auch noch die Familie versorgen. Ich frage mich oft, wie viele Frauen das hinkriegen.
Ein anderes Beispiel der besonderen Betroffenheit von Frauen: viele haben ausschließlich 450-Euro- Jobs. Oft weil ihnen nichts anderes angeboten wird. Viele dieser Jobs in der Gastronomie oder im Handel sind weggefallen. Die Frauen haben keinen Anspruch auf Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld!
Trotz Corona laufen Tarifverhandlungen in den einzelnen Branchen weiter. Wie rechtfertigt die Gewerkschaft die Forderung nach mehr Lohn in Pandemiezeiten
Es gab auch im vergangenen Jahr erfolgreiche Tarifverhandlungen. Vorwürfe des Unternehmerverbandes sind in Tarifverhandlungen nichts ungewöhnliches. Beschäftigte wollen Flexibilität und Mitgestaltung ihrer Arbeitszeiten, um ihre Arbeitsplätze zu sichern. Daran geht kein Weg mehr vorbei. Die große Frage ist ja die: Es gibt viele Unternehmen, die Gewinner dieser Krise sind. Wo bleiben diese Gewinne? Unser grundsächliches Problem bleibt: Verluste werden sozialisiert, Gewinne werden privatisiert. Das darf so nicht weitergehen.