Duisburg. Der Duisburger Kabarettist Kai Magnus Sting will endlich wieder auf der Bühne stehen. Die Ignoranz der Politik der Kunst gegenüber ärgert ihn.

Künstler in Coronazeiten. Mittlerweile ein einziger Kampf – gegen die Verzweiflung, nicht arbeiten zu dürfen, am Tropf des Staates zu hängen, keine Anregungen mehr für die grauen Zellen zu bekommen. Die Pointe kommt ausnahmsweise direkt am Anfang. Kai Magnus Sting, bekannter Duisburger Kabarettist, fasst seine Situation zusammen: „Früher hat man keine Zeit gehabt, Freunde zu treffen. Jetzt hat man Zeit, darf sich aber nicht treffen. Wir sehen uns wieder, wenn wir keine Zeit mehr haben.“ Klingt lustig, ist aber Realität.

Diverse Entscheidungen der Politik sind nicht nachvollziehbar

So langsam greift Zynismus um sich. Auch bei Menschen mit eigentlich positiver Grundhaltung. „Als wir uns damals noch im Theater oder bei Veranstaltungen draußen trafen… die Älteren unter uns werden sich noch an diese Zeiten erinnern können….“ Ein Coronaleugner ist er absolut nicht. Aber er kann diverse Entscheidungen der Politik nicht nachvollziehen. „Warum darf mir jeder im Lebensmittelgeschäft in die Hacken fahren. Aber künstlerische Veranstaltungen mit viel Abstand sind verboten?“ fragt Sting.

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Ja, natürlich seien Lebensmittel systemrelevant. „Aber was ist mit Literatur, Theater, Musik und Film? Das ist Grundnahrung für die Seele und fürs Gehirn.“ Kinder müssten sich bewegen, müssten sich körperlich auspowern. Für ihn sei Bewegung wirklich kein Grundbedürfnis. „Was man auch an meiner Figur sieht“, so sein Kommentar. Aber ohne Kommunikation, ohne Leben um ihn herum, ohne persönlichen Austausch, ohne Arbeit, ohne Bühne, ohne Publikum gehe er ein „wie eine Primel.“

„Es halten sich viele nicht an die Vorschriften“

Ja, natürlich liest er jeden Tag in einem guten Buch, hört Klassik und Jazz, da geht ihm das Herz auf. „Das tut mir gut,“ erzählt er. Zurzeit werde er vom Staat unterstützt, es sei zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. „Aber, das will ich alles nicht. Ich will endlich wieder arbeiten.“ Es ist ein echter Aufschrei. Eine Katastrophe, diese Situation für Künstler wie ihn. Er verzweifelt auch an den ungleichen, „nicht nachzuvollziehbaren Maßnahmen“, die der Staat den Bürgern auferlegt. In Stratmanns Theater in Essen könne und dürfe er sofort auftreten. Das würde er auch machen. Liebend gerne. Auch vor nur 20, 30 oder 40 Personen. Alle weit auseinander sitzend. Das alles sei machbar. Aber verboten. „Was für ein Wahnsinn.“

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Und die Zahlen der Corona-Infizierten und die Inzidenz gingen erfahrungsgemäß trotz aller Maßnahmen ja nicht herunter. „Es halten sich sicher viele an alle Vorschriften. Aber es gibt eben immer noch genügend Leute, denen alle Schutzmaßnahmen einfach völlig egal sind. Darum kommen wir überhaupt nicht weiter“, ärgert er sich.

Die Ignoranz und Null-Anerkennung der Politik der Kunst gegenüber ärgert

Der Auftritt auf der Bühne, ein interessiertes Publikum vor sich – das ist sein Leben. „Ich bin nicht auf Lacher angewiesen. Meine Geschichten schreien nicht danach.“ Es sei auch viel handwerkliches Können dabei. Je nachdem, wie das Publikum reagiert, müsse man das Tempo anziehen oder verlangsamen. Man müsse die Zuschauer am Zwerchfell kitzeln und durch Rhythmus bis zum Schluss zur Pointe führen. „Wenn man dann merkt, man hat das Publikum mit im Boot, dann sind die Lacher ein richtiges Geschenk.“ Es sei ein Geben und Nehmen. „Das schaukelt sich dann hoch und beide Seiten haben einen Riesenspaß“, erklärt der 43-Jährige die Liaison zwischen Künstler und Kabarett-Liebhabern. Er mache sicher große Seelenarbeit, aber er sei kein Heilsbringer. „Das sind die Ärzte, Schwestern und Pfleger, die sich seit über einem Jahr um die Corona-Kranken kümmern und Knochenarbeit leisten“, ist er überzeugt.

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Was ihn aber immens ärgert, ist die Ignoranz und die Null-Anerkennung der Politik der Kunst gegenüber. Er wünscht sich im künstlerischen Bereich mal einen richtigen Lockdown, so wie es die Menschen zurzeit auf vielen Lebensebenen erleiden müssten. „Einen Lockdown nur mit Nachrichten. Ohne Fernseh-Sendungen mit Quiz, Radio ohne Musik, keine Filme, kein Netflix, keine Playstation, kein Tatort. Nichts. Damit auch der hinterletzte Schwachmate endlich merkt, was wir leisten.“

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Ja, die Künstler seien nicht krank, auch nicht gestorben. „Aber wir sitzen im Keller und werden komplett ausgeblendet.“ Und was passiert, wenn endlich Herdenimmunität erzielt ist, das Leben in Deutschland wieder hochgefahren wird? Wenn er wieder auftreten kann, vor richtig echten Menschen? Auf der Bühne steht und in die Gesichter von hunderten von Kabarettfreunden gucken kann? Ist das Lampenfieber dann wieder da, muss er Öffentlichkeit wieder ganz neu lernen? „Nein. Dann werde ich wahrscheinlich völlig gerührt sein und Tränen in den Augen haben“, sagt er ganz offen. Es ist der Tag, den er sich seit über einem Jahr herbeisehnt.