Duisburg. Die Sparkasse Duisburg hatte 11.500 ältere Prämiensparverträge gekündigt. Über 100 Kunden klagten. Warum einige ihrer Anwälte optimistisch sind.
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) zu unrechtmäßigen Zinsanpassungsklauseln in älteren Prämiensparverträgen vom Oktober 2021 dürfen Kunden vieler Sparkassen auf Zinsnachzahlungen hoffen. Nachdem die Sparkasse Duisburg 2020 nach eigenen Angaben 11.500 ältere Prämiensparverträge gekündigt hatte, wollten die Kläger in den meisten Verfahren – vor dem BGH-Urteil – jedoch meist erreichen, dass die Kündigung an sich als unwirksam beurteilt wird (wir berichteten). Die Sparkasse Duisburg berichtet von 124 Verfahren, in denen sie wegen der Kündigung von Prämiensparverträgen oder der Zinssenkung darin verklagt wurde. Längst nicht alle Klagen scheiterten, einige Anwälte bleiben optimistisch.
„Von den etwas über 100 Verfahren, in denen die Sparkasse Duisburg verklagt wurde, ist den Klägern in erster Instanz in etwa einem Viertel der Fälle Recht gegeben worden“, sagt Richter Rolf Rausch, Sprecher des Amtsgerichts über die Verfahren dort. Verliert die Sparkasse, geht sie immer in Berufung. In einem erstinstanzlichen Urteil am Landgericht verurteilte die 10. Zivilkammer die Sparkasse zwar zur Nachzahlung von 15.895,59 Euro Zinsen (>> zum Bericht), bewertete jedoch die Kündigung als rechtmäßig.
Vom BGH kassierte stillschweigende Zustimmung zur AGB-Änderung auch in Duisburg
Zur Erinnerung: Die Sparkasse Duisburg kündigte unter Berufung auf ein BGH-Urteil aus dem Jahr 2019 (Az.: XI ZR 345-18) 11.500 Verträge, die zwischen Mai 1995 und September 2004 abgeschlossen worden waren: „Auf der Basis des BGH-Urteils, nach dem langfristige unbefristete Sparverträge dann kündbar sind, nachdem die höchste Prämienstaffel mindestens einmal gezahlt wurde, haben wir von unserem ordentlichen Kündigungsrecht nach Nummer 26, Absatz 1 der AGB Gebrauch gemacht“.
Diese Argumentation wird von Klägern inzwischen an mehreren Punkten angegriffen.
Ein erster: Auf Nummer 26, Absatz 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) könne sich die Sparkasse seit dem BGH-Urteil vom 27. April 2021 (Az.: XI ZR 26/20) nicht mehr berufen. Der fürs Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat hatte entschieden, „dass Klauseln in AGB einer Bank unwirksam sind, die ohne inhaltliche Einschränkung die Zustimmung des Kunden zu Änderungen der AGB und Sonderbedingungen fingieren.“ 2015 setzte die Sparkasse Duisburg bei einer AGB-Änderung eine solche stillschweigende Zustimmung der Kunden voraus.
„Flexibel gestaltbar bis maximal 25 Jahre“ – aus Klägersicht eine Laufzeitbegrenzung
Zweitens handelt es sich nach Auffassung der Kläger bei den Duisburger „S Prämiensparen flexibel“-Verträgen nicht um jene unbefristeten Prämiensparverträge, zu denen der BGH 2019 geurteilt hatte.
Die „Zusatzvereinbarung“ der Sparkasse Duisburg lautete: „flexibel gestaltbar bis maximal 25 Jahre“. Dies sei sehr wohl eine Laufzeitvereinbarung, sagt etwa Rechtsanwalt Jörn Reifenrath, der mehrere Kunden der Sparkassen vertritt und gegen ein Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt hat: „Es bedeutet aus unserer Sicht, dass der Sparer jederzeit kündigen kann, die Sparkasse aber nicht.“
So entschied ein Duisburger Amtsrichter am 28. Oktober über einen am 23. März 2004 abgeschlossenen Prämiensparvertrag „S-Prämiensparen flexibel“ – „Laufzeit bis maximal 25 Jahre“ –, den die Sparkasse 2020 gekündigt hatte (Az.: 515 C 3199/20): „Ein ordentliches Kündigungsrecht der Beklagten sieht der Sparkontenvertrag nebst Zusatzvereinbarung und Besondere Vertragsbedingungen nicht vor.“
Der Richter sieht in den Vertragsdokumenten auch keine „Anhaltspunkte, dass die gewährte Flexibilität bzw. der einschränkende Begriff ,maximal‘ auch zugunsten der Beklagten gilt“ und auch für diese ein Kündigungsrecht vor Ablauf der 25 Jahre vorsieht. Durch ein früheres ordentliches Kündigungsrecht der Sparkasse „wäre die Gesamtkonstruktion des Prämiensparmodells verfehlt“, erklärt der Richter mit Verweis auf weitere jüngere Duisburger Urteile (25. August 2021, Az.: 503 C 776/21; 28. Juni 2021, Az.: 502 C 296/21).
Richter: Verständiger Durchschnittskunde muss Vertrag verstehen
„Gemäß des Urteils hatte die Sparkasse kein Recht auf Kündigung aus ihren AGBs und auch kein vertragliches oder sonstiges Kündigungsrecht, da dies der Sparkasse jegliches wirtschaftliches Risiko abnehmen würde, für den Kunden aber dieses Risiko auf Grund der Provisionsstaffel bestehen würde“, bilanzieren die erstinstanzlich erfolgreichen Makanz Rechtsanwälte aus Rumeln-Kaldenhausen.
Makanz-Anwalt Marcus Mellenthin ist wegen der Argumentation des Amtsrichters optimistisch, auch in der Berufungsinstanz bestehen zu können: Die Vertragsbedingungen seien, so die Urteilsbegründung, „ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht gebildeten Durchschnittskunden“ auszulegen. Redliche Vertragspartner könnten den Vertrag nur so zu verstehen, dass sich die Sparkasse einseitig für einen Zeitraum von 25 Jahren gebunden habe. Diese Auslegung ergebe sich „bei verbleibenden Zweifeln“ aus der „Unklarheitenregel“ des Bürgerlichen Gesetzbuches (§ 305c Abs. 2).
+++ Kommentar zum Thema: Kundenunfreundlich: Sparkasse Duisburg verspielt Vertrauen +++
Mellenthin meint: „Wenn der Amtsrichter erklärt, dass ein verständiger Durchschnittskunde den Vertrag nur so verstehen und die 25-jährige Laufzeit erwarten muss, müsste ein Obergericht sagen: Der Richter hat keine Ahnung.“ Die Kündigung durch die Sparkasse habe seine Mandanten „empört“ und „enttäuscht“, zumal ihnen das Prämiensparen damals als Alternative zur Lebensversicherung angepriesen worden sei.
Sparkasse: „Können nicht einzelnen Widersprüchen nachgeben“
Die Sparkasse Duisburg sieht sich dennoch weiterhin „von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestützt“, sagt ihr Sprecher Andreas Vanek. Auch das Landgericht bestätige „nach wie vor regelmäßig die Wirksamkeit der erfolgten Kündigungen und weist deshalb Berufungen gegen amtsgerichtliche Urteile ab, die unsere Kündigung als wirksam beurteilten.“ Auch gebe das Landgericht unseren Berufungen „gegen Urteile des Amtsgerichts Recht, in denen die Kündigung als unwirksam betrachtet wurde.“
Das öffentlich-rechtliche Institut komme Kunden in dieser Streitfrage nicht entgegen, weil es „aus betriebswirtschaftlich notwendigem Grund“ gekündigt habe „und bei der Umsetzung alle Kunden – Mitarbeiter und Organmitglieder eingeschlossen – gleichbehandelt“ habe, so Vanek. „Wir sehen uns in der Pflicht, diese Gleichbehandlung auch fortgesetzt zu gewährleisten und können daher nicht einzelnen Widersprüchen in Verbindung mit irrigen Rechtsmeinungen nachgeben.“
Anwalt der Verbrauchzentrale plädiert für obergerichtliche Klärung
Fachanwalt David Riechmann von der Verbraucherzentrale NRW sieht diese „unsichere Rechtslage“ als Vorteil für die Sparkassen: „Das Kostenrisiko schreckt viele Kunden von einer Klage ab.“ Sein Wunsch: Ein Richter am Landgericht sollte ein Berufungsverfahren zur Revision freigeben, um so zivilprozessuale Hürden zu überwinden und endlich ein obergerichtliches Urteil zu bekommen.
Die Frage, ob Prämiensparverträge der Ausgestaltung „flexibel gestaltbar bis maximal 25 Jahre“ eine feste Laufzeit haben und somit von den Sparkassen nicht gekündigt werden dürfen, müsse im Sinne von Sparern und Sparkassen endlich obergerichtlich geklärt werden.
>> SPÄTE BELOHNUNG: DAS SIND PRÄMIENSPARVERTRÄGE
■ Der von der Sparkasse vorzeitig 2020 gekündigte Prämiensparvertrag eines Duisburger Kleinsparer verdeutlicht beispielhaft das Prinzip des Prämiensparens: Die vergleichsweise niedrig und variabel verzinsten Verträge (hier: Start 1999 mit 3,5 Prozent Zinsen jährlich) zahlen sich für den Kunden erst in den letzten Jahren der 25-jährigen Laufzeit aus (zumal die Sparkasse die Zinsen immer weiter gesenkt hat).
■ Der Kunde hat jährlich etwa 600 Euro eingezahlt. Eine „S-Prämie“ erhielt er erst nach Ablauf des dritten Jahres: drei Prozent des Jahressparbetrages (also etwa: 18 Euro), im vierten Jahr vier Prozent (circa 24 Euro). Vom siebten Jahr an (zehn Prozent: etwa 60 Euro) steigerte sich die Prämie laut Staffel von Jahr zu Jahr jeweils um fünf Prozentpunkte.
■ Nach Ablauf des zehnten Jahres erhielt der Sparer so 25 Prozent (150 Euro) der jährlichen Einlage, ab dem 15. Jahr den Höchstsatz von 50 Prozent, also immerhin 300 Euro Prämie pro Jahr – laut Vertrag bis zu zehn Jahre lang. Der Vertrag läuft „maximal“ von 1999 bis 2024, dem Kunden würden also durch die Kündigung zum 30. Juni 2020 über 1000 Euro an Prämien entgehen. Andere Sparer sollen sogar auf neun Höchstprämien verzichten.
■ Die alten Verträge waren trotz der Prämien für die Sparkassen besonders lukrativ, weil diese im Vergleich zu anderen Geldanlagen niedrig verzinst waren, die Sparkassen so preiswert Geld zur Verfügung bekamen. In der Niedrigzinsphase wurden lange laufende Verträge den Sparkassen dann zu teuer – sie senkten die Zinsen nach Belieben und kündigten schließlich.