Bottrop. Die Staatsanwaltschaft Essen hat Anklage gegen den ehemaligen Bottroper Ordnungsamtschef erhoben. Noch drei weitere Personen sind verstrickt.

Im Bottroper Korruptionsfall hat die Staatsanwaltschaft Essen gut ein Jahr nach Beginn der Ermittlungen Anklage gegen vier Personen erhoben. Einer von ihnen ist der frühere Ordnungsamtsleiter, den die Stadt nach Beginn der Ermittlungen freigestellt hat. Ein anderer ist der Gründer und frühere Betriebsleiter eines Bottroper Sicherheitsunternehmens. Außerdem sind die jeweiligen Ehefrauen der beiden angeklagt, wie Thomas Kliegel, Sprecher des Essener Landgerichtes auf Anfrage sagt.

Die Liste der Vorwürfe gegen die vier Beschuldigten ist lang, am längsten beim früheren Abteilungsleiter im Fachbereich Recht und Ordnung. 119 Straftaten werden ihm zur Last gelegt, bei seiner Ehefrau, die ebenfalls Beschäftigte der Stadt Bottrop war, sind es 63. Dem Security-Chef werden 25 „strafbare Handlungen“ vorgeworfen, seiner Ehefrau 23. Es geht in erster Linie um Vorteilsannahme, der Vorstufe von Bestechung, beziehungsweise Vorteilsgewährung. Aber auch um die Fälschung von Dokumenten, Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz sowie Steuerhinterziehung.

Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen ehemaligen Bottroper Ordnungsamtschef

Laut Anklageschrift soll der frühere Ordnungsamtsleiter seine Stellung genutzt haben, um einer Bottroper Sicherheitsfirma Aufträge zukommen zu lassen. Das Ehepaar, das das Sicherheitsunternehmen führt, habe zwischen 2020 und 2022 monatlich Geld auf das Konto der Ehefrau des Ordnungsamtschefs überwiesen. Es habe einen fingierten Arbeitsvertrag mit der Ehefrau gegeben – die aber tatsächlich nie bei dem Sicherheitsdienst tätig war. Insgesamt handelt es sich laut Anklageschrift um eine Summe von knapp 30.000 Euro.

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Im Gegenzug habe die Security-Firma, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, Aufträge erhalten. Der Ordnungsamtschef soll eine seiner Mitarbeiterinnen angewiesen haben, alle kurzfristigen Security-Aufträge an die besagte Sicherheitsfirma zu geben, zum Beispiel bei Bombenentschärfungen oder der Unterstützung von Abschiebungen, also Aufträgen, die aufgrund der zeitlichen Brisanz nicht ausgeschrieben werden müssen. Auch bei einem Sicherheitsauftrag für einen großen Supermarkt in der Bottroper Innenstadt soll der Ordnungsamtschef vermittelt haben.

Als eine andere Security-Firma Probleme mit einem Sachkundenachweis hatte, soll der Ordnungsamtsleiter ihnen auf Bitten des beschuldigten Security-Bosses geholfen haben. Der Betriebsleiter des anderen Sicherheitsdienstes ist ein früherer Mitarbeiter des Beschuldigten und übernimmt regelmäßig als Subunternehmer Aufträge für ihn.

Für diese Gefälligkeiten sollen der ehemalige Ordnungsamtschef und seine Frau laut Anklageschrift neben den knapp 30.000 Euro weitere kleinere Vorteile genossen haben, wie zum Beispiel freien Eintritt zu Spielen des FC Schalke 04.

Ehemaliger Ordnungsamtsleiter soll Corona-Tests und Impfzertifikate gefälscht haben

Gegen ihn und seine Frau werden noch weitere Vorwürfe erhoben: So soll er für seine Frau und ihre gemeinsamen Kinder Negativ-Bescheinigungen für Corona-Tests gefälscht und per WhatsApp verschickt haben. Außerdem soll er Impfzertifikate gefälscht haben. Der Tatvorwurf lautet hier Fälschung beweiserheblicher Daten, also digitale Urkundenfälschung in mehreren Fällen.

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Und damit nicht genug. Im Zuge der vermeintlichen Anstellung der Ehefrau des Ordnungsamtsleiters bei der Bottroper Sicherheitsfirma wird dem Ehepaar Steuerhinterziehung in Höhe von rund 17.000 Euro vorgeworfen. Die Ehefrau hatte die Fahrten zur Arbeit, die sie nie ausgeübt hat, als Werbungskosten bei der Steuererklärung angegeben. In fast 60 Fällen geht es zudem um Beitragsvorenthaltung, weil der Ordnungsamtschef eine Mini-Job-Tätigkeit, die er nebenbei ausgeübt hat, auf seine Frau geschrieben und so „Sozialversicherungsbeiträge verkürzt“ haben soll, wie Thomas Kliegel erklärt.

Prozess verloren: Ordnungsamtschef war gegen Suspendierung vorgegangen

Zu guter Letzt wirft die Staatsanwaltschaft dem städtischen Mitarbeiter vor, eine falsche eidesstattliche Erklärung abgegeben zu haben. Denn nach Beginn der Ermittlungen ist der Beamte von der Stadt Bottrop freigestellt worden. Dagegen war er vor dem Verwaltungsgericht in Münster vorgegangen und hatte dort an Eides statt erklärt, seine Ehefrau habe für den Sicherheitsdienst gearbeitet. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das nicht stimmt. Den Prozess in Münster hat der Ordnungsamtschef verloren. Damit die Stadt auch disziplinarrechtlich gegen ihn vorgehen kann, braucht es ein rechtskräftiges Urteil im Strafprozess.

„Wir sind davon ausgegangen, dass Anklage erhoben wird“, nimmt Stadtsprecherin Jeanette Kuhn zur Anklageerhebung Stellung. „Insofern waren die von der Stadt eingeleiteten Maßnahmen richtig beziehungsweise rechtmäßig. Wenn der Prozess startet, erhoffen wir uns, dass die gesamten Verflechtungen vollständig aufgeklärt werden.“

Der Fall soll vor dem Landgericht Essen verhandelt werden. Die zuständige Wirtschaftskammer muss der Anklage noch zustimmen, also ebenso wie die Staatsanwaltschaft den hinreichenden Tatverdacht erkennen und eine Verurteilung für wahrscheinlich halten. Erst dann wird der Prozess terminiert. Eine zeitliche Perspektive kann Landgerichtssprecher Thomas Kliegel noch nicht geben.

Bottroper Korruptionsfall: Was bisher geschah

„Mögliche Unregelmäßigkeiten bei der städtischen Vergabe von Aufträgen an eine Sicherheitsfirma“ – so formulierte die damalige Sprecherin der Essener Staatsanwaltschaft, Anette Milk, die Vorwürfe, die die Ermittlungen in Gang gesetzt hatten. Am 22. Februar durchsuchten Einsatzkräfte einen Dienstraum im Bottroper Rathaus sowie mehrere Privatwohnungen und Geschäftsräume.

WAZ-Berichterstattung rund um den Bottroper Korruptionsfall

Die Staatsanwaltschaft teilte damals mit, dass gegen „einen 50 Jahre alten Bediensteten des Ordnungsamtes sowie weitere Personen“ ermittelt werde. In Folge der Ermittlungen ist der damalige Leiter des Ordnungsamtes freigestellt worden, der frühere Impfzentrums-Chef Michael Althammer trat am 1. Mai seine Nachfolge an.

Die Sicherheitsfirma, die in Zusammenhang mit den Korruptionsermittlungen stand, erhielt von der Stadtverwaltung anschließend keine neuen Aufträge mehr mit Verweis auf den Vertrauensverlust. Der Großteil der bestehenden Verträge ist gekündigt worden.