Bottrop/Düsseldorf. Der NRW-Landtag stellt zehn Millionen Euro für die Opfer des Bottroper Apothekerskandals bereit. „Viel zu wenig“, sagt eine Betroffene.

Zehn Millionen Euro soll das Land im nächsten Jahr an Opfer des Bottroper Apothekerskandals zahlen – „aus Anerkennung des Leids und Ausdruck der Verbundenheit“, formulieren CDU und FDP in ihrem Änderungsantrag zum Landeshaushalt. Die erste Reaktion eines Opfers, das seit Jahren für Entschädigung kämpft: „Gott sei Dank, endlich!“. Die zweite: „Das ist viel zu wenig.“ „Es ist eine Geste“, sagt dazu die Bottroper CDU-Chefin und Landtagsabgeordnete Anette Bunse.

Fünf Jahre lang hatte Heike Benedetti auf diesen Tag gewartet. Seitdem ein Bottroper Apotheker im November 2016 unter dem Vorwurf verhaftet wurde, er habe in Tausenden von Fällen Krebsmedikamente gestreckt, kämpft sie mit Freundinnen und Angehörigen um eine Entschädigung für das Leid, die verkürzte Lebenserwartung und den Tod vieler Krebspatientinnen. Bis Mittwoch ohne Erfolg.

Bottroper Apothekerskandal: 14.500 Verstöße registriert

Im Juli 2018 war der Apotheker vor dem Landgericht Essen wegen 14.500 Verstößen gegen das Arzneimittelrecht und wegen Betrugs zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. In 59 Fällen sei bewiesen, dass er die unterdosierten Präparate bei den Krankenkassen voll abgerechnet und die Kassen so um 17 Millionen Euro betrogen hatte.

Der Bundesgerichtshof hatte das Urteil im Sommer 2020 bestätigt, die Summe des dem Apotheker vorwerfbaren Schadens auf 13,6 Millionen Euro heruntergerechnet. Nicht verurteilt werden konnte der Apotheker wegen Körperverletzung und Mordes; unter anderem deshalb, weil sich nicht mehr nachweisen ließ, welche Patienten unterdosierte Medikamente erhalten hätten.

Zwischenschritt auf dem Weg zum Opferschutzfonds?

Aus diesem Grund wurde Heike Benedettis Antrag auf Opferentschädigung abgelehnt, weil dieses Gesetz eben das Vorliegen einer Gewalttat voraussetzt. Das kann doch nicht wahr sein, sagten die Opfer des Apothekerskandals. Heike Benedetti wandte sich mit einer Petition an den Landtag NRW. Doch im Oktober 2019 bedauerte der Petitionsausschuss des Landtages, er sehe „leider keine Möglichkeit“, der Bitte der Bottroperin zu entsprechen. Eine andere auch in Bottrop gestartete Petition dagegen hatte Erfolg: Im Juli 2019 brachte der Bundestag mit Blick auf den Apothekerskandal ein Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung auf den Weg.

Im November 2020 bekamen die Opfer des Apothekerskandals dann Post von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann: Das Land werde einen Opferschutzfonds einrichten, von dem auch sie profitieren könnten. Seitdem ist der Fonds nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Arbeit.

Bis Laumann liefert, wollten CDU- und FDP-Fraktion nicht mehr warten. Sie setzten einen Zehn-Millionen-Posten in den Landeshaushalt 2022 ein mit dem Titel: „Zuschüsse im Zusammenhang mit dem Bottroper Apothekerskandal“. Der Antrag lässt offen, ob die Summe ein Zwischenschritt ist auf dem Weg zum Opferschutzfonds.

Kein Rechtsanspruch der Betroffenen

Bodo Löttgen, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, formuliert es so: „Die Betroffenen haben nach gegenwärtigem Stand keinerlei Leistungsansprüche gegenüber dem Staat im Zusammenhang mit dem Apothekenskandal, und sie haben faktisch auch keine zivilrechtlichen Entschädigungsmöglichkeiten gegen den Tatverursacher. Die Zahlungen, ggf. aus einem einzurichtenden Sonderfonds, sollen als Anerkennung des Leids und Ausdruck der Verbundenheit als Billigkeitsleistungen erfolgen.“ Der Begriff „Billigkeitsleistungen“ meint Zahlungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht.

„Im Moment bin ich darüber froh. Mir fällt ein Stein vom Herzen“, sagt Heike Benedetti. Auch wenn von der Summe aufgeteilt auf rund 4000 Opfer nicht viel bei den Einzelnen ankomme. Und auch wenn die Entscheidung für viele Opfer zu spät komme: „Mit diesem Skandal sind so viele Schicksale verbunden, und viele erleben diesen Moment nicht mehr.“ Auch an diese Menschen denkt Anette Bunse, wenn sie über den Beschluss sagt: „Es ist eine Geste der Würdigung der Betroffenen und der Angehörigen der Verstorbenen.“

Die Studie zum Apothekerskandal

Im April 2021 hat das NRW-Gesundheitsministerium eine Studie des Bremer Leibniz-Institutes für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) vorgestellt. Sie zeigte, dass Opfer des Apothekerskandals deutlich mehr Infusionen zur Behandlung ihrer Erkrankung benötigten als Patientinnen und Patienten, die mit Infusionen aus anderen Apotheken versorgt wurden, teilte das Ministerium mit.Auffallend sei zudem, dass bei den Patientinnen mit Brustkrebs die Zeit bis zum Wiederauftreten von Tumoren in der Gruppe der Patienten des Bottroper Apothekers deutlich kürzer war als in der Kontrollgruppe. Ob dies mittelfristig auch mit einer höheren Sterberate einhergehe, könne derzeit nicht beurteilt werden, hieß es.