Kirchhellen. Im Grafenwälder Jagdrevier „Hohe Heide“ wurde am 30. Mai 1914 der Förster Paul Töfflinger erschossen. Die Täter wurden nie verurteilt.
Es war eindeutig Mord aus dem Hinterhalt. Das Motiv: Rache. Tatwaffe: eine Flinte. Das Opfer ist bis heute unvergessen, auch weil Hegering und Heimatverein immer wieder erinnern an Paul Gustav Töfflinger. Er wurde am Abend des 30. Mai 1914 auf dem Weg von der Hohen Heide zum Burenbrock in Grafenwald erschossen.
Töfflinger war nach seiner Forstlehrer 1904 als Revierförster nach Kirchhellen gekommen. Sein Dienstherr war der König von Preußen, sein Arbeitgeber die aufstrebende Industriefamilie Thyssen aus Mülheim. Zwischen 1896 und 1902 hatte Thyssen große Flächen am Vossundern und der Hohen Heide von Franz May erworben, um das gigantische Kohlenfeld „Nordlicht“ zu erschließen. Doch entsprechende Bohrungen während des ersten Weltkriegs scheiterten; erst im Mai 1960 konnte der Rheinstahl-Konzern auf Prosper IV in Grafenwald die erste Kohle fördern.
Tod auf dem Kontrollgang
Es war gute Jagd in den Thyssen-Revieren. Und so brachte Töfflinger am Abend des 30. Mai 1914 den Thyssen-Direktor Ernst Becker zu einem Ansitz in der Hohen Heide, auf dass er einen dort gesichteten Rehbock vor die Flinte bekäme. Töfflinger selbst machte sich auf einen Kontrollgang ins benachbarte Burenbrock. Dort traf ihn die tödliche Kugel.
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Als gesichert gilt heute, dass Töfflinger dort auf zwei Bewaffnete stieß. Einer war Töfflinger bestens bekannt: Gerade erst hatte er den Wilderer Fahnenbrock angezeigt. Der soll daraufhin Rache geschworen haben. Jetzt aber ergab er sich und wurde festgenommen, sein Komplize flüchtete. Aus 150 Metern Entfernung soll er dann auf den Förster geschossen haben. „Die mörderische Kugel drang über dem rechten Schulterblatt ein und trat an der rechten Halsseite wieder heraus, sie wirkte sofort tödlich“, heißt es in dem Bericht über den Mord, der 1934 unter den Gedenkstein gelegt wurde.
Zeugen oder Zufall?
Von nun an weichen die Schilderungen voneinander ab. Gab es Zeugen? Ja, sagt Heimatforscher Theo Täpper in seinem Bericht von 1975. Ein Sohn des Bauern Riesener soll die beiden Täter beobachtet haben beim Versuch, die Leiche in den Wald zu schleppen. Nein, sagt dagegen der Bericht von 1934. Es sei Zufall gewesen, dass die Polizei dem mutmaßlichen Todesschützen auf die Spur kam. So oder so: Einen Tag nach der Tat wurde der Bottroper Wilderer Brüggemann festgenommen. Wenige Stunden später erhängte er sich im Bottroper Gerichtsgefängnis an seinem Hosenträger.
Sein Komplize Fahnenbrock konnte flüchten, setzte sich nach England ab, wurde dort aber festgenommen. Bevor er ausgeliefert wurde, brach der Weltkrieg aus. Fahnenbrock blieb bis Kriegsende interniert. Nach dem Krieg wurde ihm der Prozess gemacht. Er wurde freigesprochen, weil er alle Schuld auf Brüggemann geschoben hatte. Auch ihn ereilte eine Kugel. Während der Spartakistenunruhen wurde seine Leiche in Oberhausen an einer Zeche der Gutehoffnungshütte (GHH) gefunden.
„Hat Kirchhellen noch nie erlebt“
„Mit einer Anteilnahme, wie sie Kirchhellen noch nie erlebt hatte, wurde Töfflinger auf dem Friedhof in Grafenwald beerdigt“, schreibt Täpper. So könnte die Geschichte enden, würde dann aber nicht eine besondere Lebensleistung würdigen: die der Töfflinger-Witwe Caroline, genannt Lina. Hochschwanger erhielt sie die Todesnachricht; zehn Tage später brachte sie ihr neuntes Kind zur Welt und nannte es nach dem Vater Pauline.
Sie bewirtschaftete weiter die Äcker des Forsthauses, kam dreimal die Woche auf den Markt nach Bottrop, manchmal sogar den Kinderwagen schiebend. Allen ihren Kindern hat sie so den Besuch des Gymnasiums ermöglicht. Sie starb 1966 im Alter von 93 Jahren.
Der Gedenkstein
Am Tatort des Mordes wurde noch 1914 ein Holzkreuz errichtet. Auf den Tag 20 Jahre nach der Tat, am 30. Mai 1934, ließ der Hegering Kirchhellen dort einen Findling mit einer Gedenktafel aus Bronze errichten: „Er fiel durch Wildererhand in treuer Pflichterfüllung.“Mehrfach wurde die Gedenktafel gestohlen. Deshalb hat der Hegering 1963 eine Marmorplatte an dem Stein angebracht. Die Aufschrift ist die gleiche wie auf der Bronzetafel.