Bochum. Im Restaurant saß Stefan Ludwig oft allein. Zu anstrengend die Gespräche, während er auf einem Ohr taub war. Eine Operation änderte sein Leben.
Eigentlich ist die Sache einfach: Wer schlecht sieht, trägt Brille. Und wer schlecht hört – lebt allzu oft damit. Hörstörungen gehören in den Industrieländern zu den dritthäufigsten Erkrankungen, die die Lebensqualität beeinträchtigen. Stefan Ludwig und Regina Spyra wissen, was das heißt, beide haben sie eine jahrelange Leidensgeschichte hinter sich. Hilfe fanden sie in der HNO-Universitätsklinik am St.-Elisabeth-Hospital in Bochum. Über die modernen Behandlungsmöglichkeiten wollen die Expertinnen und Experten aus Bochum bei einer Patientenveranstaltung am 12. Februar (siehe Infobox) informieren.
Die Probleme mit den Ohren fingen früh an. Stefan Ludwig erinnert sich an ungezählte Mittelohrentzündungen, „von Kind an, mit allem Pipapo.“ Er bekam Paukenröhrchen eingesetzt, das Leiden ging weiter. Immer wieder hatte er Entzündungen, mal links, mal rechts. In der Jugend entwickelte er dann ein Cholesteatom, eine chronische Knocheneiterung im Ohr. Die Folge: Schmerzen, Schwindel, „das Hören ist schlechter geworden“. Bis sein Innenohr rechts irgendwann so angegriffen war, dass er dort gar nichts mehr hörte. „Ohne Gerät“, sagt der 41-Jährige, „ist rechts tot. Mit Gerät: fast perfekt.“
HNO-Experten in Bochum über moderne Behandlungsmöglichkeiten
Das „Gerät“ ist ein Cochlea-Implantat (CI). Eingesetzt wurde die Innenohrprothese vor rund vier Jahren im St.-Elisabeth-Hospital in Bochum. Prof. Stefan Dazert, Direktor der HNO-Klinik der Ruhr-Universität, erklärt das Prinzip: „Durch das Implantat wird der Hörnerv unter Umgehung des Innenohrs elektrisch stimuliert. Das ist dann kein akustisches Hören mehr, sondern elektrisches Hören.“
Dazert hat in den vergangenen Jahren einen enormen Fortschritt der Technik beobachtet. „Cochlea-Implantate gibt es schon relativ lange“, erklärt er, spricht von rund drei Jahrzehnten. „Aber das waren am Anfang Ausnahmetherapien.“ Die darin steckende Technik habe sich „in den letzten zehn bis 15 Jahren massiv verbessert“.
„Wir haben heutzutage die Möglichkeit, nahezu alle Arten und Grade von Hörstörungen und -schwierigkeiten zu versorgen“, sagt HNO-Oberärztin Dr. Ioana Brill. „Der Übergang von der konservativen zur operativen Behandlung ist fließend.“ Implantate seien keine Konkurrenz zu konventionellen Hörgeräten, sondern eine weitere Möglichkeit, wenn Hörgeräte nicht mehr helfen.
„Wir haben heutzutage die Möglichkeit, nahezu alle Arten und Grade von Hörstörungen und -schwierigkeiten zu versorgen.“
„Erst, wenn da nichts mehr zu machen ist, stellen wir die Indikation zur OP“, betont auch Prof. Christiane Völter, die das CI-Zentrum am Elisabeth-Krankenhaus leitet. „Nicht jeder, der schlecht hört und hier hereinkommt, geht mit Implantat wieder raus.“ Chefarzt Dazert unterstreicht das: „Wir versuchen, alle konservativen Möglichkeiten auszuschöpfen. Wenn keine OP nötig ist, bleiben wir lieber bei herkömmlichen Hörgeräten.“
Für manche Patienten aber sind die Implantate die Lösung – übrigens unabhängig vom Alter, wie die Fachärzte betonen. Regina Spyra ist ein Beispiel dafür. Mit herkömmlichen Hörgeräten kam die heute 66-Jährige nicht klar, mehrfach musste auch sie wegen einer chronischen Knocheneiterung im Ohr operiert werden.
Nun trägt sie ein Knochenleitungsimplantat und, verborgen unter ihrer Bobfrisur, den kleinen Audioprozessor am Kopf. Der unterstützt das noch vorhandene Hörvermögen, indem er Schallwellen über den Knochen direkt zur Hörschnecke überträgt. Der Vorteil gegenüber einem herkömmlichen Hörgerät: Der Gehörgang bleibt frei. „Zu Hause, im Auto – ich hör‘ wieder alles“, sagt Spyra.
Patient hat gleich zwei Implantate in Bochum bekommen
Auch Stefan Ludwig hat inzwischen neben seinem CI solch ein Knochenleitungsimplantat, das seine Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr – hier hörte er nur noch etwa 30 Prozent – ausgleicht. Zu sehen sind die beiden Audioprozessoren an seinem Kopf. Ab und zu werde er darauf angesprochen, erzählt er. In Zeiten, da viele Menschen im Alltag mit Kopfhörern auf oder in den Ohren herumlaufen, fielen die Hörhilfen kaum auf. „Ich vergess‘ die“, sagt Ludwig, „die sind einfach da, aber ich merk‘ die gar nicht mehr.“
Über eine App kann er Lautstärke und Tonhöhen steuern („eigentlich das ganze Ohr!“), Anrufe vom Smartphone beispielsweise direkt aufs Implantat leiten lassen. Dank TV-Box kann er auch die Fernsehlautstärke individuell für sich einstellen, „das ist 100-mal besser als vorher“. Wenn er die Geräte mal abnehme – zum Beispiel im Urlaub zum Schwimmen – „dann sag‘ ich: Ich geh‘ offline“. Seine Familie und Freunde wüssten dann schon: Ansprechen zwecklos, er wird sie kaum hören.
„Erst, wenn mit konventionellen Hörgeräten nichts mehr zu machen ist, stellen wir die Indikation zur OP. Nicht jeder, der schlecht hört und hier hereinkommt, geht mit Implantat wieder raus.“
Wenn er seine Lebensqualität in Bezug aufs Hören heute auf einer Skala von 1 bis 100 einsortieren soll, muss Stefan Ludwig nicht lange überlegen: „90 locker“, sagt der Castrop-Rauxeler, „vielleicht auch 95.“ Da ist selbst Chefarzt Stefan Dazert überrascht. Ärzte, sagt er, wären auch mit Werten von „80 oder 85 zufrieden“. Wichtig sei, dass die Lebensqualität der Patienten sich erheblich verbessere.
„Was wir Normalhörenden immer unterschätzen“, sagt Ärztin Christiane Völter, „ist, wie unheimlich anstrengend Hören für Hörgeschädigte ist.“ Die Informationen, die nicht ankommen, versuche das Hirn zu ergänzen. Am Ende des Tages seien Patienten oftmals „total erledigt“. Auch Stefan Ludwig erinnert sich an Restaurantbesuche mit Freunden, bei denen er am Ende „praktisch alleine dasaß“ und in sein Handy schaute. „Man klinkt sich aus.“ Heute ist er wieder mittendrin.
Kostenlose Infoveranstaltung
Etwa 100 bis 130 Cochlea-Implantate werden pro Jahr im Elisabeth-Krankenhaus eingesetzt, hinzu kommen etwa 25 bis 30 Knochenleitungsimplantate. Bei den Hörsystemen hat sich in den vergangenen Jahren viel getan – sowohl bei konventionellen Hörgeräten, als auch bei den implantierbaren Systemen. Die Bochumer Experten von der HNO-Universitätsklinik im St.-Elisabeth-Hospital stellen Behandlungsmöglichkeiten bei einer Inforunde vor: am Mittwoch, 12. Februar, von 16 bis 18 Uhr im „Elis Café“ (Bleichstraße 15).
Klinikdirektor Prof. Stefan Dazert, Oberärztin Dr. Ioana Brill und Prof. Christiane Völter, die Leiterin des CI-Zentrums, wollen dabei nicht nur den technischen Fortschritt der vergangenen Jahre aufzeigen, sondern jeweils auch Patienten zu Wort kommen lassen. Auf dem Programm stehen drei Vorträge inklusive Erfahrungsbericht: zu den Themen „Wann ist ein Hörgerät notwendig?“, „Wann ist ein Cochlea-Implantat notwendig?“ und „Wann ist ein Implantatwechsel anzustreben?“. Die Teilnahme ist kostenlos.
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