Bochum. 2023 lag Bernhard Ackermann schwer krank auf der Intensivstation, keine Therapie schlug an. Doch dann hatten seine Bochumer Ärzte eine Idee.
Erste Symptome zeigten sich im Oktober 2022, und an Weihnachten desselben Jahres machte sich die Familie bereits große Sorgen: „Was ist mit dir?“, fragten sie Bernhard Ackermann beim Raclette, „du sprichst so komisch!“ Das hängende Augenlid, die allgemeine Kraftlosigkeit und zunehmende Probleme beim Sprechen waren Symptome einer schweren Krankheit: Myasthenie.
Etwa 15.000 Menschen in Deutschland leiden an der Autoimmunerkrankung, deren Ursache unbekannt ist. „Die Krankheit wird nicht vererbt, sondern erworben“, erklärt Prof. Ralf Gold, Direktor der Universitätsklinik für Neurologie im St.-Josef-Hospital in Bochum. „Niemand weiß, warum.“ Die Myasthenie stört die Signalübertragung im Körper: „Der Körper produziert Abwehrstoffe: Antikörper, die die Schnittstellen zwischen Nerven und Muskeln, sozusagen die Antennen am Muskel, blockieren“, beschreibt Gold.
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Bei dem Patienten ging es „immer wieder um Leben und Tod“
Die Folge: Zuvor selbstverständliche Bewegungen fallen schwer oder werden unmöglich. „Die Signale aus dem Hirn kommen nur noch ganz schwach an“, erläutert Prof. Jeremias Motte, Oberarzt der Neurologie. „Die Muskeln sind dann meistens nicht komplett gelähmt, haben aber nur noch eine ganz geringe Ausdauer.“
Bernhard Ackermann traf es mit Mitte 70. Der Remscheider hatte Glück und geriet an die richtigen Ärzte, die ihn zu den Experten nach Bochum überwiesen. Die Neurologen Gold und Motte zogen alle Register der Therapie, konnten die Krankheit jedoch nicht zum Stillstand bringen. Über Monate habe sich Ackermann nicht stabilisieren lassen. „Es ging“, sagt Prof. Motte, „immer wieder um Leben und Tod.“
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Bochumer Josef-Hospital und Knappschaftskrankenhaus arbeiten zusammen
Vorher „immer in Action“, wie der Patient selbst erzählt, lag Bernhard Ackermann im Jahr 2023 wiederholt wochenlang auf der Intensivstation. Konnte kaum mehr schlucken, wurde deshalb erst durch eine Nasen-, dann durch eine Magensonde ernährt. Ehefrau Gertraud lobt den Einsatz von Ärzten und Pflegenden, „denen war nichts zu viel“, und sie hätten „alles versucht“. Trotzdem war da irgendwann dieser Gedanke auf dem Heimweg vom Besuch im Krankenhaus: „Das schafft er nicht.“
Als die etablierten Medikamente und Therapien nicht anschlugen, setzte das Ärzteteam auf eine neuartige Methode, die CAR-T-Zelltherapie. Dazu arbeiten die Neurologen des Josef-Hospitals mit Prof. Roland Schroers, dem Klinikdirektor der Hämatologie, Onkologie, Stammzelltransplantation und Zelltherapie im Knappschaftskrankenhaus, zusammen.
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CAR-T-Zellen erkennen die krankmachenden B-Zellen und vernichten sie
Die Kurzfassung für Nichtmediziner: Bernhard Ackermann wurden im Knappschaftskrankenhaus bei einer besonderen Blutwäsche weiße Blutkörperchen entnommen. In den USA wurden die gentechnisch verändert und zu CAR-T-Zellen umprogrammiert. Zurück im Körper des Patienten, wirken diese als eine Art Killerzellen: Sie finden die B-Zellen, die die blockierenden Antikörper produzieren – und vernichten sie.
Bernhard Ackermann bekam die CAR-T-Zellen Ende August 2023 injiziert. Ein paar Tage „passierte eigentlich überhaupt nix“, erinnert er sich, dann hatte er Symptome ähnlich wie bei einer Grippe. „Als der September durch war“, sagt er, „ging‘s mir gut.“ Zunächst kam er noch wöchentlich zu Kontrolluntersuchungen nach Bochum, inzwischen weniger häufig. Ackermann steht wieder mitten im Leben.
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Bochumer Ärzte sind beeindruckt und bewegt vom Therapieerfolg
„Wir haben uns das erträumt, dass wir ihm helfen können“, sagt Jeremias Motte, „aber dass wir die Krankheit bei einem Patienten, der so schwer zu behandeln war, auf Null fahren können, damit haben wir nicht gerechnet.“ Roland Schroers ergänzt: „Das bewegt einen sehr.“
„Wir haben uns das erträumt, dass wir ihm helfen können, aber dass wir die Krankheit bei einem Patienten, der so schwer zu behandeln war, auf Null fahren können, damit haben wir nicht gerechnet.“
Kurz vor Weihnachten 2024 ist der Patient aus Remscheid, heute 77 Jahre alt, mal wieder in Bochum. Das Wiedersehen mit den Ärzten fällt herzlich aus, auch Ehefrau Gertraud ist mitgekommen. Prof. Ralf Gold zeigt einen Zusammenschnitt von kurzen Videos, die den Therapieverlauf veranschaulichen. Erst sieht man Ackermann mit hängendem Augenlid, später mit Nasensonde im Klinikbett – und schließlich zurück im heimischen Garten. Da rückt der Mann oberkörperfrei dem Kirschlorbeer zu Leibe. „Dieses Video“, sagt Prof. Gold, „hat international Begeisterungsstürme ausgelöst.“
Myasthenie-Patient hat „schöne Erinnerungen“ an die Zeit im Krankenhaus
Gertraud Ackermann hingegen erinnert sich noch daran, dass sie sich mit ihrem Mann an jenem Tag „in die Wolle gekriegt“ habe, als der kurz nach der schweren Krankheit zur Astschere griff und sich im Garten austobte: „Bist du noch zu retten?“, habe sie ihn gefragt.
Heute lachen sie über die Situation, auch wenn die 77-Jährige sagt, so ganz habe sie sich noch nicht erholt von den bangen Monaten im Jahr 2023. „Im Hinterkopf ist es immer noch.“ Bernhard Ackermann hingegen sieht es pragmatisch: Er habe „schöne Erinnerungen“ ans Krankenhaus: „Ich bin hingekommen, hab mich hingelegt und nicht weiter nachgedacht.“