Bochum. Bauchspeicheldrüsenkrebs kam lange einem Todesurteil nahe. Inzwischen gibt es Chancen auf Heilung – so wie bei einer 59-jährigen Bochumerin.
„Du musst jetzt deine Dinge regeln“, rieten ihr Freunde, als sie die niederschmetternde Diagnose erhielt: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Der vermeintlich schlimmste aller Tumoren. Lebenserwartung: gemeinhin Monate, vielleicht ein, zwei Jahre. Zeit für ein Testament. Jutta Dahlmann nahm den Kampf auf. Und hat gewonnen. Im April wird sie den fünften Jahrestag ihrer Erkrankung feiern. Ein Glück, das sie mit immer mehr Leidensgenossen teilen darf.
Es beginnt an einem Aprilmorgen 2017 mit Schmerzen im Oberbauch. Arglos geht die Weitmarerin zum Hausarzt. Beim Ultraschall schaut der Doc ernst drein und sagt: „Da ist etwas, das dort nicht hingehört.“ Eine MRT-Untersuchung bestätigt den Verdacht: An der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) haben sich Tumoren gebildet.
Pankreas-Krebs hatte bei Jutta Dahlmann noch nicht gestreut
Was früher einem Todesurteil gleichkam, ist dank des medizinischen Fortschritts heute deutlich häufiger und effizienter zu behandeln, weiß Prof. Waldemar Uhl. Der 61-Jährige, Direktor der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Bochumer St.-Josef-Hospital, gilt als internationale Koryphäe. Für Jutta Dahlmann hält er eine hoffnungsfrohe Botschaft bereit. Der Krebs in dem gerade mal 100 Gramm schweren Organ, das die Verdauung und den Blutzucker reguliert, hat noch nicht gestreut. „Leider ist das bei den meisten Patienten anders“, weiß Uhl. Wer zu spät kommt….
Bis zu sieben Stunden dauert ein Pankreas-Eingriff. Bei Jutta Dahlmann werden der befallene linke Teil sowie die Milz und Lymphknoten entfernt. Vier Wochen liegt sie in der Klinik, nimmt acht Kilo ab. Dabei war sie schon vorher ein Leichtgewicht. „Ich war ein Wrack“, sagt die 59-Jährige heute.
Erfolgsautorin widmete ihrer Freundin ihr neues Buch
Auch wenn die Prognosen zuversichtlich klingen, auch wenn sie die Chemotherapie, die sich nach drei Monaten anschließt, gut verträgt: Lange Zeit will Jutta Dahlmann nicht glauben, dass sie mit dem Leben davonkommt. „Ich will mich nicht zu früh freuen“, grübelt sie. Zehn Prozent beträgt die offizielle Überlebensrate bei Pankreas-Krebs. Deutlich mehr als früher. Aber noch immer furchtbar wenig.
Doch langsam geht’s bergauf. Erste Urlaube, erste Fahrradtouren. Nach sechs Monaten kehrt sie in ihren Beruf als Geschäftsstellenleiterin zurück. Dankbar ist sie für die „unglaubliche Unterstützung“ ihrer Familie und Freunde, darunter die Erfolgsautorin Ildikó von Kürthy, die ihr in den schwersten Stunden zur Seite steht. Da arbeitet sie gerade an einem neuen Buch und verspricht Jutta: „Lebst du noch, wenn das Buch erscheint, widme ich es dir.“ 2019 kommt „Es wird Zeit“ in den Handel. Mit der versprochenen Widmung. Und der Botschaft: „Man kann sich nicht zu früh freuen.“
Professor gibt düstere Prognose bis 2030
„Mir geht’s gut. Ich darf nur keine fettigen Sachen essen“, sagt Jutta Dahlmann heute. Alle drei Monate muss sie zur Kontrolle. Immer ohne Befund. Zur Freude von Waldemar Uhl. Denn auch wenn seine mutige Patientin kein Einzelfall mehr ist: Pankreas-Krebs rangiert in der Fünf-Jahres-Überlebenstabelle aller Tumorarten weiterhin ganz unten.
Der Blick des Professors in die Zukunft fällt düster aus. 20.000 Menschen erkranken derzeit in Deutschland jährlich an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Aufgrund der demografischen Entwicklung werde es in den nächsten zehn Jahren einen „Riesenberg“ an Neuerkrankungen geben. „Bis 2030 wird jeder zweite Krebstote an Pankreas-Krebs sterben“, prophezeit der Experte.
Früherkennung ist lebenswichtig – Das sind die Symptome
Früherkennung sei lebenswichtig. Auf Symptome wie Appetitverlust, Magen- und Verdauungsbeschwerden oder Rückenschmerzen zu reagieren. Risikofaktoren wie Fettleibigkeit, Rauchen oder Alkohol zu minimieren. Und erfahrene Pankreaszentren wie im St.-Josef-Hospital mit jährlich mehr als 400 Operationen aufzusuchen.
Jutta Dahlmann dient gerne als Mutmacher. Sie hat ihre Dinge geregelt – und ist zurück im Leben.
Weltkrebstag: Wie Professoren den medizinischen Fortschritt bewerten
Auf kaum einem anderen Feld hat die Medizin in den vergangenen Jahren so große Fortschritte erzielt wie in der Krebstherapie. Drei Bochumer Fachärzte berichten aus Anlass des Weltkrebstages, wie Patienten davon profitieren.
Prof. Roland Schroers, Leiter der Hämatologie, Stammzell- und Immuntherapie, Onkologie im Knappschaftskrankenhaus Langendreer: Der größte Fortschritt in der Hämatologie ist die CAR-T Zelltherapie. Hierbei werden spezielle Abwehrzellen aus dem Blut isoliert und genetisch verändert und vermehrt. Sie werden dem Patienten über das Blut zugeführt und töten als „Killerzellen“ Krebszellen gezielt ab. In unserer Klinik werden CAR-T Zellen seit zwei Jahren erfolgreich eingesetzt, untersucht und weiterentwickelt.
Prof. Marcus Lehnhardt, Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum am Bergmannsheil: Hochmoderne Mikrochirurgie und individualisierte Krebstherapie: diese Kombination bietet Menschen mit malignen Weichgewebstumoren (Sarkomen) sehr gute Behandlungschancen. Früher war die Amputation eines erkrankten Arms oder Beins oft der Therapiestandard. Heute lassen sich die Sarkome meist chirurgisch so präzise entfernen, dass eine Amputation in den allermeisten Fällen vermieden werden kann. Im Sarkomzentrum im Bergmannsheil wurden bereits über 5000 Patienten operativ versorgt.
Prof. Dirk Behringer, Chefarzt der Augusta-Klinik für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin: Dass Krebserkrankungen viel erfolgreicher als früher therapiert werden können, ist vielen Stellschrauben geschuldet. Als Ergebnis der jahrzehntelangen intensiven Forschung können wir heute die ,Treiber’ identifizieren und mit maßgeschneiderten Medikamenten behandeln. Damit ist bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen ein langes und gutes Leben mit der Erkrankung möglich. Ein Beispiel ist eine Patientin mit einer metastasierten Brustkrebserkrankung, mit der wir vor kurzem 19 Jahre Leben feiern durften; seit vielen Jahren ohne Chemotherapie.