Bochum. Max lebt von Geburt an mit einer Behinderung. Heute ist er 38, seine Mutter Petra Witt kümmert sich um ihn. Über ein Leben voller Bürokratie.
Es sind Sorgen und Ärger, die Petra Witt jeden Tag begleiten. Ihr Sohn Maximilian Martin kam vor 38 Jahren mit einer Behinderung auf die Welt. Zwar lebt er inzwischen in einer Wohngruppe, am Wochenende ist er aber immer bei ihr und ihrem Mann, Max‘ Vater, zu Hause. Immer wieder stoße sie im Alltag an die Grenzen der Bürokratie, sagt sie. „Wir sind engagiert. Wir kämpfen auch viel, das mussten wir immer, aber mittlerweile belastet mich das psychisch auch ungemein.“
Max braucht einen neuen Rollstuhl. Sein aktueller sei zu klein, mehrere Jahre alt und die Polster lösten sich inzwischen ab, sodass sie ihm in die Arme drückten, sagt Witt. Im Alltag ist er auf den Rollstuhl angewiesen. Max hat eine Tetra-Spastik. Seinen linken Arm und seine Beine kann er nicht bewegen, den rechten Arm nur sehr eingeschränkt. „Der Rollstuhl ist sein Zuhause. Er hat nicht die Möglichkeit, sich mal bequem irgendwo hinzusetzen“, erklärt seine Mutter.
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Bochumer braucht neuen Rollstuhl: Krankenkasse schlägt Alternative vor
Witt also beantragte für ihren Sohn einen sogenannten E-Fix-Rollstuhl. 12.000 Euro würde dieser kosten und es Max ermöglichen, sich beispielsweise in der Behindertenwerkstatt, in der er arbeitet, selbständig zu bewegen. Und auch sie, die ihn privat am häufigsten betreue, könne mit diesem Modell gut umgehen, da der Motor leicht abzunehmen und der Rollstuhl daher nicht so schwer zu schieben sei. „Ich brauche einen Rollstuhl, der relativ leicht ist, um ihn über die Rampe ins Auto zu setzen“, sagt Petra Witt.
Die DAK-Krankenkasse indes lehnte den Antrag ab und schlug eine, wie Witt findet, unkomfortablere Alternative vor. Die DAK orientiere sich an der Empfehlung des sozialmedizinischen Dienstes, erklärt Arno Prähler, Sprecher der Versicherung. Zwar bestätigte ein Video, dass Max den Rollstuhl steuern könne, was zunächst wegen seiner geistigen Behinderung nicht klar war. „Dem Versicherten wurde aufgrund dieser Aussage eine wirtschaftliche und ausreichende Elektro-Rollstuhlversorgung angeboten“, sagt Prähler.
Diese sei für sie keine Option, da das Modell zu schwer sei, sagt Petra Witt. Sie besteht auf den E-Fix-Rollstuhl. „Unsere Entscheidung wurde vom Widerspruchsausschuss bestätigt“, sagt DAK-Sprecher Prähler. Witt habe daher eine Klage eingereicht.
Krankenkasse lehnt ab: Bochumerin reicht Klage ein
Vor einem Jahr habe sie den Rollstuhl beantragt, erzählt Petra Witt. Seitdem ziehe sich das Verfahren hin. Max sitzt weiter in seinem alten Rollstuhl, ist darauf angewiesen, dass ihn jemand schiebt. Allein von seinem Zimmer zum Essensraum zu fahren, ist für ihn nicht möglich. Den neuen elektrischen Rollstuhl hingegen könnte er selbst steuern, sagt seine Mutter. So könnte er eigenständiger leben.
Aber wieso wechselt sie nicht die Krankenkasse für ihren Sohn, wenn es immer wieder solchen Ärger gibt? „Ich habe Angst“, gibt Witt zu. „Was ist, wenn ich vom Regen in die Traufe komme und alles wird noch schlimmer?“ Außerdem, erkennt sie an, habe die DAK ihnen auch oft geholfen.
„Ich habe Angst. Was ist, wenn ich vom Regen in die Traufe komme und alles wird noch schlimmer?“
Sorgen begleiten Bochumer Familie das gesamte Leben
Der Kampf um den neuen Rollstuhl sei nur ein Beispiel, sagt Petra Witt. Einen Duschklappstuhl für den Urlaub kaufen? Geht nicht einfach so. „Überall muss eine Hilfsmittelnummer draufstehen, sonst zahlt die Krankenkasse nicht“, sagt Witt. So dauere es nicht nur länger, die Krankenkasse habe sogar höhere Kosten, erzählt sie. „Der Duschklappstuhl beispielsweise hätte 200 Euro gekostet, wenn ich ihn im Internet bestellt hätte. Wenn ich den beantrage, wird der erst geprüft und kostet dann 1200 Euro, obwohl es fast das gleiche Modell ist.“
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Und damit nicht genug. Seit Jahren schlagen sich Witt und ihr Sohn mit verschiedenen Anträgen und der Bürokratie darum herum. Als Max mit Behinderung auf die Welt kam – er war das erste von vier Kindern – habe die Familie das Haus Schritt für Schritt barrierefrei umgebaut. „120.000 D-Mark haben wir dafür insgesamt bezahlt“, erzählt Witt. „Übernommen wurden 15.000 davon.“
Der Gipfel sei es 2013 gewesen, als das Sozialamt das Kindergeld für den damals 25 Jahre alten Max einbehalten habe, weil es unterstellte, dass dessen Bedarf für den Lebensunterhalt durch die Grundsicherung vollständig gedeckt war, erzählt die Mutter. Damals gab es sogar eine Sammelklage, weil es vielen anderen Eltern mit behinderten Kindern genauso ging. Vor acht Jahren habe sie acht Monate mit der Krankenkasse darum gerungen, dass Max einen Toilettenlifter bekommt. „Wir mussten bisher viel kämpfen“, sagt Petra Witt, „und das werden wir auch weiterhin.“
UN-Behindertenrechtskonvention
Seit 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft. Diese wurde von den Vereinten Nationen (UN) entwickelt, um die Rechte von Menschen mit Behinderung zu fördern und zu schützen. Dort sind keine Sonderrechte niedergeschrieben, sondern die universellen Menschenrechte wurden aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen konkretisiert und spezifiziert.
„Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist ein Menschenrecht, kein Akt der Fürsorge oder Gnade“, teilt der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen auf seiner Internetseite mit. Die Konvention „grundlegende Menschenrechte für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen“. Darin werden Lebensbereiche wie die Barrierefreiheit, die persönliche Mobilität, Gesundheit, Bildung, Beschäftigung, Rehabilitation, die Teilhabe am politischen Leben, Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung erfasst. Der Grundgedanke ist: „Menschen mit Behinderung gehören von Anfang an mitten in die Gesellschaft.“