Bochum. Er lebte in städtischen Gemeinschaftsunterkünften, jetzt ist ein 73-jähriger Bochumer in seine eigene Wohnung gezogen. Wie er das geschafft hat.

Die Einrichtung ist noch spartanisch, aber seine geliebten Bilder, die hängen. Axel steht mitten im Wohnzimmer, schaut sich um. „Ist das nicht ‘ne traumhafte Wohnung?“, fragt der 73-Jährige und grinst. Es ist seine erste in Bochum. Er hat den Sprung geschafft – aus städtischen Gemeinschaftsunterkünften ins eigene Zuhause. Geholfen hat ihm dabei das Projekt „Shelter“.

Axel will seinen vollen Namen nicht veröffentlicht wissen, auch nicht allzu viel Privates preisgeben. Aber er ist bereit, uns mit Sozialarbeiterin Sarah Jülicher in seiner Wohnung zu empfangen, um dem Projekt „Shelter“ ein Gesicht zu geben. „Wenn‘s Frau Jülicher nicht gäbe“, sagt Axel, „würde ich hier nicht sitzen.“ Sie habe ihm „bei allem“ geholfen, und dafür sei er ihr unheimlich dankbar.

+++ Wollen Sie keine Nachrichten mehr aus Bochum verpassen? Dann abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Newsletter! +++

Nach Jahren in Südostasien kam Axel nach Bochum

Über 40 Jahre lang ist der Mann zur See gefahren, war überall und nirgends zu Hause, lebte zuletzt mehr als 15 Jahre in Südostasien. Dann starb seine Partnerin, er arbeitete nicht mehr, bekam gesundheitliche Probleme – und entschied, nach Deutschland zurückzukehren. Nach Bochum verschlug es Axel eher zufällig: „Ich war Seefahrer, meine Rentenkasse ist die Knappschaft-Bahn-See“, erklärt er. Die hat ihre Hauptverwaltung hier. Axel kam also, um Dinge zu klären, und er blieb.

Projekt Shelter in Bochum
Malerei und Seefahrt: Die beiden Konstanten in Axels Leben sind auch in der noch spärlich möblierten Wohnung sichtbar. Die Marineschiffe hat er selbst gemalt, die Bilder direkt nach dem Einzug aufgehängt. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Sechs Jahre ist das her. Seitdem war Axel wohnungslos – „wohnungs- nicht obdachlos!“, das ist ihm wichtig. Seine Rente ist schmal, er bekommt aufstockende Grundsicherung, lebte in den vergangenen Jahren in verschiedenen städtischen Unterkünften. Er sei froh darüber gewesen, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben, sagt er. Das Leben so einem Wohnheim aber, das sei nicht einfach. Vor ein paar Jahren habe er sich schon mal nach einer Wohnung umgeguckt, das dann aber „nicht mehr weiter verfolgt“.

+++ Folgen Sie der WAZ Bochum auf Facebook! +++

Projekt „Shelter“ in Bochum hilft auf dem Weg in die eigenen vier Wände

Bis er vor gut einem Jahr Heilpädagogin Sarah Jülicher kennenlernte: Sie hilft mit ihren Kolleginnen aus dem „Shelter“-Team auf dem Weg in die eigenen vier Wände. Eine Immobilienkauffrau sucht nach passenden Immobilien, vermittelt beispielsweise Besichtigungstermine. Jülicher hat mit Axel „alle Anträge gestellt“: zum Beispiel für die Renovierung und Erstausstattung der Wohnung. „Wir gucken, welche Unterstützung die Person braucht“, erklärt sie.

Shelter-Projekt Bochum
Sie helfen im „Shelter“-Projekt der Stadt Bochum wohnungslosen oder von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen (von links): Sarah Jülicher, Natalie Fuß, Mürvet Alkac, Yasemin Cinar-Elcicek und Anna Schmölter. © Stadt Bochum | Lutz Leitmann

Für Axel war direkt die erste Besichtigung der „Jackpot“: 45 Quadratmeter in einem Mehrfamilienhaus im Griesenbruch nahe der Innenstadt; zwei Zimmer, Küche, Bad, ein kleiner Balkon. Kein Zweifel: „Die nehm‘ ich.“ Ende Oktober ist er umgezogen. Dank der „Shelter“-Unterstützung hat er Kühlschrank und Waschmaschine, ein Fernseher steht auf dem kleinen Tisch im Wohnzimmer.

„Shelter“-Unterstützung geht auch nach dem Umzug noch weiter

Ansonsten ist die Wohnung noch karg möbliert, einiges fehlt: ein Kleiderschrank zum Beispiel oder ein Sofa im Wohnzimmer, für die Küche bräuchte er noch eine Spüle. Trotzdem, sagt der Mann, sei all das hier „so was von luxuriös!“ Ein Zuhause nur für sich, Supermärkte in Laufnähe. „Ich bin ein glücklicher Mensch.“

+++ Lesen Sie mehr Nachrichten aus Bochum! +++

Stunden verbringt der 73-Jährige an seinem Tisch und malt. Das habe er schon in der Schulzeit angefangen. Auch viele der Bilder, die seine Wohnzimmerwand zieren, hat er selbst gestaltet; andere aus Übersee mitgebracht. Bei Verwandten hatte er sie untergestellt, zum Umzug aber direkt wieder geholt.

Projekt Shelter in Bochum
Stundenlang malt der 73-Jährige. Das habe er schon zu Schulzeiten angefangen, erzählt er. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Die Betreuung durch das „Shelter“-Team hört mit dem Umzug nicht auf. Es gebe weiter regelmäßige Termine und Hausbesuche, erklärt Sarah Jülicher. „Ziel ist es, dass die eigene Wohnung auch erhalten bleibt.“ Man plane mit einem Jahr Nachbetreuung, aber wenn er dann noch Unterstützung brauche, könne man weitersehen.

Fünf Jahre Projekt „Shelter“

Die Stadt Bochum hat ihr Projekt „Shelter“ (engl. für Schutz, Obdach, Zuflucht) 2019 im Zuge der Landesinitiative „Endlich ein Zuhause“ des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) ins Leben gerufen. Erklärtes Ziel: Wohnungslosigkeit in Bochum bis 2030 zu beenden. Dazu brauche es „Maßnahmen und nachhaltige Lösungen“, sagt Bochums Sozialamtsleiter Jens Vieting. „Jeder Mensch sollte Zugang zu sicherem Wohnraum haben, um ein stabiles und würdevolles Leben führen zu können. Über das Projekt ´Shelter‘ erleichtern wir diesen Zugang.“

Mit der Bilanz der ersten fünf Jahre ist die Stadt zufrieden: Seit Projektstart im November 2019 habe „Shelter“ über 249 Haushalten zu eigenem Wohnraum verholfen. Insgesamt seien mehr als 1.130 Haushalte, in Summe rund 2.190 Personen, umfassend beraten und betreut worden.

Im Projekt hat die Stadt eine Kooperationsvereinbarung mit vier der führenden Wohnungsbaugesellschaften der Region unterzeichnet. Daneben arbeitet „Shelter“ aber auch mit privaten Wohnungsbesitzern zusammen. Die Bochumer VBW sei mit 297 vermittelten Wohnungen führend unter den Projektpartnern, gefolgt von privaten Vermietern (238 Wohnungen) und Vonovia mit 211 Wohnungen, heißt es in der Fünf-Jahres-Bilanz.

„Fünf Jahre ‚Shelter‘ zeigen, wie wichtig nachhaltige Lösungen im Bereich der Wohnungsversorgung sind“, sagt Koordinatorin Mürvet Alkac. „Unser Team leistet hier wertvolle Arbeit, und die Zahlen sprechen für sich: Jedes Jahr mehr vermittelte Haushalte und eine stabile Zusammenarbeit mit Vermietern ermöglichen es uns, die Menschen langfristig zu unterstützen. Das Projekt ist auf einem sehr guten Weg, und wir sind stolz auf das, was wir bereits erreicht haben.“

Diese Texte haben viele Menschen interessiert