Bochum. Beim Treffpunkt für Menschen mit Behinderungen in Wattenscheid ist viel los. Teilnehmer planen ihre Hochzeit, andere waren Karnevals-Prinzenpaar.
Stefan und Frank sitzen mit ihren Freunden an einem der langen Tische im Wichernhaus in Günnigfeld. Stefan legt den Kopf auf Klaus‘ Schulter, den einen Arm um seinen Rücken. Klaus drückt Stefan einen Kuss auf die Stirn. Es ist Donnerstag. Wie schon seit Jahren besucht das Paar, das derzeit seine Hochzeit plant, auch heute Treffpunkt für Menschen mit Behinderungen in Wattenscheid. Die beiden sind ruhig, bleiben eher für sich, aber genießen das rege Treiben um sich herum.
Björn und seine Frau Nina gehören wohl zu den bekanntesten Gesichtern des „Treffpunkts für Menschen mit Behinderungen“ in Bochum-Wattenscheid. Auch sie wirken auf den ersten Blick eher zurückhaltend, zogen in der Vergangenheit aber auch schon einige Aufmerksamkeit auf sich: 2020 wurden die Beiden beim Karneval zum ersten inklusiven Prinzenpaar in Wattenscheid gekrönt. Darauf ist man beim Treffpunkt für Menschen mit Behinderungen mächtig stolz. „Wir singen gerne zusammen, besonders Schlager“, erzählt er. Dazu gebe es bei dem Treffpunkt in Günnigfeld immer wieder Möglichkeiten.
Die Gruppe trifft sich einmal wöchentlich im Wichernhaus der evangelischen Kirchengemeinde Günnigfeld, immer donnerstags – außer in den Ferien. Dann sehnen sich die Teilnehmenden danach, dass es wieder losgeht. Rund zwölf ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sorgen dafür, dass die Treffen, die etwa zweieinhalb Stunden dauern, reibungslos ablaufen. „Die Jüngste von uns ist 13, die Älteste 87“, erzählt Gabriele Choryan, von allen liebevoll „Gabi“ genannt. Sie ist seit 1998 hauptverantwortlich für die Gruppe und führt diese mit viel Herz und einem oft flapsigen Ton.
Treffpunkt für Menschen mit Behinderungen: Teilnehmer wollen kaum gehen
Dass das gut ankommt bei den Leuten, zeigt sich schnell. Viele umarmen die Ehrenamtliche. Fragen Sie Sachen zu ihrem Privatleben, machen Scherze und wollen sich am Ende kaum von ihr trennen.
Doch auch die Teilnehmenden selbst packen tatkräftig mit an. „Achtung!“, ruft Christiane am Ende eines Treffens, während sie die Tische abwischt, an denen zuvor noch Kaffee getrunken wurde. Basti schnappt sich daraufhin den Besen und hilft beim Aufräumen.
Seit 1975 gibt es den Treffpunkt, der aus einer Elterninitiative heraus entstanden ist. Heute kommen regelmäßig etwa 45 Besucherinnen und Besucher im Alter von 20 bis 70 Jahren. Die Teilnehmenden kommen aus verschiedenen Wohnsituationen – Wohnheime, betreutes Wohnen oder auch aus dem Elternhaus – und nutzen unterschiedliche Verkehrsmittel wie Taxi oder Straßenbahn, um zu den Treffen zu gelangen.
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Die Treffen bieten weit mehr als nur eine Gelegenheit zum Kaffeetrinken und Plaudern. Neben Geburtstagsfeiern und entspannten Gesprächen gibt es ein abwechslungsreiches Programm: von Karaoke über olympische Mini-Spiele bis hin zu Bastelstunden und Karnevalsfeiern mit dem Verein Blau-Weiß Günnigfeld. Auch musikalische Gäste wie die Band „Black Devils“ aus Wattenscheid oder der Shanty-Chor Witten treten regelmäßig auf. Das Highlight des Jahres ist jedoch der gemeinsame Tagesausflug nach Xanten, der ebenso wie die gesamte Gruppe durch Spenden finanziert wird.
Austausch mit den Konfirmanden und der Wattenscheider Gemeinde
Obwohl der Treffpunkt nicht offiziell zur evangelischen Kirchengemeinde Wattenscheid gehört, ist die Gruppe eng in die Gemeinde integriert. Die Teilnehmenden sind bei Festen dabei, und es werden sogar spezielle Gottesdienste für sie organisiert. Pfarrer Christian Meier möchte den Austausch zwischen der Gruppe und den jüngsten Mitgliedern der Gemeinde weiter fördern – etwa indem Konfirmandinnen und Konfirmanden mit den Teilnehmenden des Treffs in Kontakt gebracht werden. Oft geschieht dies auch auf Eigeninitiative, wie bei der jüngsten Helferin aus Gabi Choryans Team, die während ihrer Konfirmandenzeit beschloss, sich zu engagieren.
Eine Helferin berichtete einst, sie sei aus Mitleid gekommen. „Ich wollte den Menschen hier etwas geben, doch ich bekomme viel mehr zurück“, erklärte sie. „Es ist mir wichtig, den Menschen das Gefühl zu geben, Teil der Gesellschaft zu sein und ihnen eine Stimme zu verleihen“, betont auch Gabi Choryan.
Die langjährige Leiterin erinnert sich noch gut an schwierige Zeiten, als sie und ihre Familie aufgrund ihres Bruders, der das Down-Syndrom hat, mit Vorurteilen konfrontiert wurden. „Vor 20 Jahren war das oft sehr hart“, erzählt sie. Zwar habe sich die gesellschaftliche Wahrnehmung deutlich verbessert, „aber es gibt immer noch Luft nach oben.“ Denn am Ende des Tages, so Choryan, seien Menschen mit Behinderung „ganz normale Menschen“.