Bochum. 2018 wurde der mutmaßliche Bin-Laden-Leibwächter Sami A. abgeschoben. Dem war ein Gerangel von Behörden, Gericht und Politik vorausgegangen.

  • Nach dem Anschlag von Solingen ist das Thema „Abschiebung“ in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte gerückt.
  • Diese Abschiebung hat vor einigen Jahren bundesweit für Schlagzeilen gesorgt

74 Menschen wurden 2018 allein bis zum August aus Bochum abgeschoben. Die Abschiebung von Sami A. Mitte Juli war aber mit Abstand der spektakulärste Fall. Eine Rekonstruktion der damaligen Ereignisse.

Sami A. hat von 2005 bis 2018 in Bochum gelebt

Bei dem 1976 in Tunesien geborenen Mann handelte es sich nach Überzeugung der Behörden um einen der Leibwächter von Osama bin Laden, dem Drahtzieher der Anschläge auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001. Vier Jahre zuvor war Sami A. als Student nach Deutschland gekommen.

Ende 1999 soll er für einige Monate in ein Ausbildungslager von Al-Kaida gereist sein, wo er zeitweise zur Leibgarde des Gründers des Terrornetzwerks, Osama bin Laden, gehört habe. Erst hat er Textiltechnik, später Technische Informatik, schließlich Elektrotechnik studiert. In Bochum meldete er sich 2005 an. Dort hat er nach Auskunft der Stadt Bochum „ohne Unterbrechung bis zu seiner Abschiebung am 13. Juli 2018“ gelebt.

Sicherheitsbehörden sprechen von „ideologischem Brandstifter“

Vermutet wurde, dass der Mann Ende 1999 für einige Monate in ein Ausbildungslager von Al-Kaida gereist ist, wo er zeitweise zur Leibgarde Osama bin Ladens gehört haben soll. Das hat Sami A. bestritten, vielmehr habe er in Pakistan eine religiöse Ausbildung absolviert.

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In Deutschland betätigte er sich als salafistischer Prediger, die Sicherheitsbehörden hielten ihn für einen „ideologischen Brandstifter“. Ein Asylantrag des Tunesiers wurde abgelehnt.

Bleiben durfte er dennoch in Bochum, weil sich vermeintliche, im Ausland begangene Straftaten „nur schwer nachweisen lassen“, wie es damals hieß. Außerdem war die ebenfalls aus Tunesien stammende Ehefrau des Salafisten inzwischen eingebürgert. Auch die gemeinsamen Kinder haben deutsche Pässe.

Bamf hat mehrfach versucht, Sami A. abzuschieben

Im März 2006 leitete die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein; es wurde 2007 eingestellt. In den folgenden zwölf Jahren hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) dem Vernehmen nach mehrfach versucht, Sami A. abzuschieben, unter anderem mit dem Verweis darauf, dass sich die Verhältnisse im Herkunftsland Tunesien nach dem Arabischen Frühling von 2011 geändert hätten. Dagegen wehrte sich der Islamist aber jeweils erfolgreich vor Gericht. Das Hauptargument: Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass ihm in seiner Heimat „unmenschliche Behandlung oder gar Folter drohten“.

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Im Sommer 2018 ging dann alles plötzlich ganz schnell: Am 18. Juni bat NRW die Bundespolizei, eine Abschiebung von Düsseldorf nach Tunesien vorzubereiten. Das Bamf ordnete am 20. Juni an, die Abschiebung sofort zu vollziehen. Vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wurden in dieser Zeit drei Klagen von Sami A. verhandelt, der sich damit gegen die Abschiebung wehrte. Das Gericht wies die Behörden nach eigenen Angaben ausdrücklich darauf hin, dass der Tunesier nicht abzuschieben sei, solange kein Urteil gefällt ist.

Verwaltungsgericht bezeichnet Abschiebung als „grob rechtswidrig“

Zu diesem Zeitpunkt war Sami A. aber schon nicht mehr in Deutschland. Am 25. Juni wurde er ins Abschiebegefängnis nach Büren gebracht und am 13. Juli in einer Linienmaschine nach Tunesien geflogen. Allerdings hatte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am Vorabend erneut entschieden, dass er nicht abgeschoben werden dürfe – der Beschluss erreichte die zuständigen Behörden allerdings erst, als Sami A. schon in der Luft war. Das Bundesinnenministerium, dem das Bamf unterstellt ist, hat sich darauf berufen, dass das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen noch zwei Tage zuvor die Abschiebungsandrohung für rechtens erklärt habe. Das Gericht wiederum bezeichnete die Abschiebung als „grob rechtswidrig“, da Sami A. in Tunesien eine beachtliche Gefahr drohe.

Bochums Oberbürgermeister verteidigt Verhalten der Ausländerbehörde

Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) wies damals Kritik an der Bochumer Ausländerbehörde zurück. Sie habe dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen den Termin für die Abschiebung auf explizite Anweisung des NRW-Flüchtlingsministeriums verschweigen müssen, so Eiskirch in einer Sitzung des Stadtrats. Die Behörde habe auf Anweisung aus dem NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration gehandelt. Gleichwohl räumte der Oberbürgermeister ein: „Der Vollzug der Abschiebung von Sami A. war keine Sternstunde unserer Gewaltenteilung. Ganz im Gegenteil.“

Weil im Herbst 2018 der tunesische Staat zusicherte, dass dem 42-Jährigen keine Folter und keine unmenschliche Behandlung drohe, hob das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am 21. November das bis dahin noch gültige Abschiebeverbot auf. Damit wurde auch die Pflicht der Stadt Bochum aufgehoben, Sami A. zurück nach Deutschland zu holen.

Anfang 2021 ist der Tunesier mit seinem Asylverfahren beim Oberverwaltungsgericht gescheitert, er hatte auf nachträglichen Abschiebungsschutz gehofft. Das Gericht lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen ab.

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