Bochum. Die Anwältinnen des als Gefährder eingestuften Sami A. wollen dessen Abschiebung nach Tunesien nun doch anfechten - “durch alle Instanzen“.
Der nach Tunesien abgeschobene mutmaßliche Islamist Sami A. beschäftigt die deutsche Justiz weiter: Seine Anwältinnen haben wie angekündigt in der Nacht zum Freitag einen Antrag auf Zulassung der Berufung eingereicht. Ihr Fax traf nach Angaben eines Gerichtssprechers um 23.29 Uhr im Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ein - 31 Minuten vor Fristablauf.
Die Anwältinnen wollen eine neue Verhandlung erzwingen, nachdem das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am 16. Januar das Abschiebungsverbot gegen Sami A. gekippt hatte. Das Verwaltungsgericht wird den Antrag jetzt an das Oberverwaltungsgericht Münster weitergeben, das über die Zulassung der Berufung entscheiden muss.
Sami A. im Juli 2018 nach Tunesien ausgeflogen
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Sami A. war am 13. Juli 2018 unter umstrittenen Bedingungen nach Tunesien abgeschoben worden. Am 16. Januar 2019 entschied das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, dass der Tunesier unter kein Abschiebungsverbot fällt, da ihm in seiner Heimat keine Folter drohe.
Die Anwältinnen argumentieren in dem 67-seitigen Schreiben nach eigenen Angaben unter anderem, dass sich das Verwaltungsgericht im Januar auf eine Zusicherung des tunesischen Botschafters berief, der Folter für Sami A. ausschloss. Diese Zusage habe aber nicht den Wert einer «Verbalnote» der tunesischen Regierung gehabt.
Anwältinnen wollen „durch alle Instanzen gehen“
„Wir werden mit diesem Fall durch alle Instanzen gehen“, hatte Anwältin Basay-Yildiz angekündigt: „Bis zum Bundesverfassungsgericht und notfalls zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.“
Mit ihrem Mandanten Sami A. stünden sie und ihre Kollegin in regelmäßigem Kontakt, sagte Basay-Yildiz. Sie selbst habe ihn auch zweimal in Tunesien besucht. Wie es ihm zurzeit geht, wollte sie wegen der anstehenden Berufung nicht sagen.
Die Vorgeschichte - juristisches Pinpong:
Der heute 42-jährige Tunesier kam 1997 mit einem Studentenvisum nach Deutschland. Im Jahr 2000 soll er nach Afghanistan gereist sein, wo er in einem Camp der Terrororganisation Al Kaida ausgebildet worden sein soll. Zurück in Deutschland soll er sich in salafistischen Kreisen bewegt haben. Zwischenzeitlich ermittelte die Bundesanwaltschaft wegen Terror-Verdachts gegen ihn, das Verfahren wurde aber 2007 mangels Beweisen eingestellt. Sami A. selbst bestritt die Vorwürfe gegen ihn stets.
„Dschihadistisches Gedankengut“
Gleichwohl stuften die Behörden ihn weiterhin als Gefährder ein und attestierten ihm „dschihadistisches Gedankengut“ und eine „gewalttätige Gesinnung“. Nach 2007 musste er sich täglich bei der Polizei in Bochum melden, wo er mittlerweile lebte. Ebenfalls 2007 wurde sein Asylantrag abgelehnt. Abgeschoben werden konnte er aber nicht. 2010 sprach das Oberverwaltungsgericht in Münster ein Abschiebeverbot aus, da Sami A. in seinem Heimatland möglicherweise Folter drohe.
Danach begann ein juristisches Ping-Pong-Spiel zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und den Gerichten in NRW. Wegen der nach dem „Arabischen Frühling“ verbesserten Menschenrechtslage in Tunesienwiderrief das Bamf 2014 das Abschiebeverbot für Sami A., das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und das Oberverwaltungsgericht Münster setzten es wieder ein.
Nacht-und-Nebel-Aktion
Im Sommer 2018, kurz nach der Abschiebung des ebenfalls aus Tunesien stammenden islamistischen Gefährders Heykel S. aus Frankfurt, unternahm das Bamf einen erneuten Anlauf und widerrief das Abschiebeverbot ein zweites Mal. Innenminister Horst Seehofer nahm sich selbst des Falls an und erklärte: „Mein Ziel ist es, die Abschiebung zu erreichen.“
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde Sami A. schließlich am 13. Juli in einer Charter-Maschine nach Tunesien ausgeflogen. Kostenpunkt: 35.000 Euro. Allerdings hatte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am Vorabend erneut entschieden, dass er nicht abgeschoben werden dürfe – der Beschluss erreichte die zuständigen Behörden allerdings erst, als Sami A. schon in der Luft war.
Dicke Luft zwischen Justiz und Behörden
Weil das Gericht nicht über den Flug in Kenntnis gesetzt worden war, herrschte danach dicke Luft zwischen Behörden und Justiz.
Die Präsidentin des Münsteraner OVG, Ricarda Brandts, warf den Behörden vor, bewusst die Grenzen des Rechtsstaats ausgetestet zu haben, NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) musste sich gegen den Vorwurf der Rechtsbeugung wehren – und die Gerichte entschieden, dass Sami A. wieder aus Tunesien zurückgeholt werden müsse.
Erst als nach zähem diplomatischen Ringen die tunesische Botschaft in einer Verbalnote beschied, dass A. keine menschenrechtswidrige Behandlung drohe, wurde die Rückholung mit einem Eilantrag auf Eis gelegt.
Dabei bleibt es jetzt zunächst. Das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht wies eine Klage der Anwältinnen des 46-Jährigen ab, mit der sie das Abschiebeverbot wieder in Kraft setzen wollten. Ihrem Mandanten gehe es in Tunesien schlecht, berichteten sie.
Verbalnote „hinreichend verlässlich“
Er lebt dort zwar auf freiem Fuß, nachdem er zunächst zwei Wochen inhaftiert war. Aber „er leidet unter vielfältigen Belastungen.“ Immer wieder werde er von der tunesischen Polizei verhört.
Die Anwältinnen bezweifelten, dass in Tunesien nicht gefoltert werde. Sie habe den aus Frankfurt abgeschobenen Islamisten Heykel S. im Gefängnis besucht, erzählte Anwältin Seda Basay. „Er war in einem desolaten Zustand und hat von Folter berichtet“, so die Anwältin. Dass ihrem Mandanten Sami A. keine Folter drohe, müsse mit Gutachten belegt werden, die Verbalnote der tunesischen Botschaft reiche nicht aus.
Das Gericht sah es anders. Die Verbalnote sei „hinreichend verlässlich“, Gutachten seien deswegen nicht notwendig. Die Kammer gehe nicht davon aus, dass Sami A. in Tunesien Folter oder eine andere unmenschliche Behandlung drohe. Deswegen wiesen die Richter die Klage ab. Sami A. muss nicht zurückgeholt werden. (mit dpa)