Bochum. Das Verfahren um mutmaßlichen Abrechungsbetrug mit Coronatests sprengt alle üblichen Grenzen. Es ist weiter streitig. Und kann noch Jahre dauern.
Das Medican-Strafverfahren in Bochum sprengt jedes übliche Maß. Angefangen hatte das Justizdrama um mutmaßlichen Abrechnungsbetrug mit Coronatests Anfang Juni 2021. Damals wurde der Hauptverdächtige (51), zu diesem Zeitpunkt der Chef der Coronatest-Firma Medican, verhaftet. 24,5 Millionen Euro soll er sich von der Kassenärztlichen Vereinigung durch frei erfundene und überhöhte Abrechnungen erschlichen haben. Heute, mehr als drei Jahre später, ist die Schuldfrage noch immer heftig umstritten ist. Und ein Ende ist nicht ansatzweise in Sicht.
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Am Dienstag fand vor der 2. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts der 14. Sitzungstag statt. Ursprünglich sollte dieser seit dem vorigen Februar dauernde Prozess längst abgeschlossen sein, weil er nur bis 13. Mai terminiert war. Längst wurde die Liste der Sitzungstermine aber um neun Verhandlungen auf nunmehr 20 verlängert, bis 28. August, und dies nur vorläufig.
Bundesgerichtshof hob Bochumer Urteil auf
Hinzu kommt, dass der jetzige Prozess schon der zweite ist. Im Juni 2022 war der Angeklagte nach fast siebenmonatiger Hauptverhandlung und einjähriger U-Haft wegen gewerbsmäßigen schweren Betruges von einer anderen Bochumer Wirtschaftsstrafkammer zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Gegen Ende dieses Verfahrens hatte er nach langem Schweigen und äußerst zäher Hauptverhandlung mit vielen Zeugen ein Geständnis abgelegt. Dieses zog er aber zurück und legte Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) ein. Dieser erkannte einen Rechtsfehler und ordnete an, dass der komplette Fall noch einmal ganz von vorn verhandelt werden muss.
Dies geschieht jetzt schon seit fünf Monaten. Erneut mit einem schweigenden Angeklagten, erneut mit vielen Zeugen, die teilweise weit anreisen müssen. Einzelheiten aus den Aktenbergen werden in den Vernehmungen ein zweites Mal ausführlich durchgekaut. Am Dienstag (9.7.) wurde ein ehemaliger Kölner Geschäftspartner (44) des Angeklagten von Richter Markus van den Hövel befragt. „Es gab bestimmt 50 Testverordnungen“, beschrieb der Zeuge die damalige komplizierte Lage rund um die „Bürgertests“.
Verteidiger „gehört zu den gefragtesten Wirtschaftsstrafverteidigern Deutschlands“
Der ehemalige Medican-Chef hat sich für seine zweite Prozessrunde extra drei neue Verteidiger an die Seite geholt. Darunter den Kölner Jura-Professor Björn Gercke, der schon in vielen bundesweit beachteten Strafverfahren in ganz Deutschland mitgewirkt hat. „Björn Gercke gehört zu den gefragtesten Wirtschaftsstrafverteidigern Deutschlands“, schreibt das „Handelsblatt“. Im jetzigen Medican-Verfahren bekräftigte er die Einschätzung des BGH, dass sich der Angeklagte mit seinem Geständnis unter Druck gefühlt haben könnte.
Rund 400 Verfahren wegen Corona-Tricksereien
Wegen mutmaßlich krummer Machenschaften rund um die Coronakrise hat die Staatsanwaltschaft Bochum jede Menge Strafverfahren eingeleitet. Allen wegen verdächtiger Anträge zum Betzug von Corona-Soforthilfen für Kleinunternehmen gab und gibt es fast 400 Verfahren. Juristisch handelt es sich um Subventionsbetrug (§ 264 Strafgesetzbuch).
Fälle von Abrechnungsbetrug (§ 263 StGB) wie jetzt bei Medican gibt es bei der örtlichen Strafverfolgungsbehörde nur ganz wenige. Erst in der vorigen Woche wurde einer dieser Fälle vor dem Amtsgericht verhandelt. Es geht laut Anklage um einen Schaden von fast einer Million Euro. Ein Urteil gibt es noch nicht.
Sein Mandant hätte „damals alles unterschrieben, um aus der U-Haft zu kommen und zu seiner Familie zurückzukehren“. Das Geständnis habe er nur abgelegt, „weil er nicht mehr konnte“. Nach dem Geständnis und der Verurteilung war er unter Auflagen vorläufig auf freien Fuß gekommen. Das ist er bis heute, er muss sich allerdings regelmäßig bei der Polizei melden, damit die Justiz immer weiß, dass er griffbereit ist.
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Bis der Fall rechtskräftig ist, können noch Jahre ins Land gehen, denn: Egal ob der aktuelle Prozess mit Schuld- oder Freispruch endet – entweder die Staatsanwaltschaft oder die Verteidigung wird wohl erneut Revision einlegen. Und dann wäre wieder der BGH am Zuge, um zu entscheiden: Ist ein dritter Bochumer Medican-Prozess erforderlich oder nicht?