Bochum/New York. Ältestes noch lebendes Mitglied der Bochumer Jüdischen Vorkriegsgemeinde feiert 100. Geburtstag. Freunde schreiben Brief an Hannah Deutch.
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Ihren 100. Geburtstag feiert am kommenden Sonntag Hannah Deutch (geb. Hannelore Kronheim). Hannah Deutch, die am 3. Juli 1922 in Düsseldorf geboren wurde, kam 1924 nach Bochum. Sie ist das älteste überlebende Mitglied der im Nationalsozialismus ausgelöschten „Jüdischen Gemeinde Bochum“. Wie Manfred Keller, der gemeinsam mit anderen in einem persönlichen Brief der Jubilarin gratuliert, schildert, erfreut „sie sich guter Gesundheit und einer beneidenswerten geistigen Frische“.
Erinnerung an Besuch in Bochum vor 27 Jahren
Zum ersten Mal kehrte Hannah Deutch 1995 gemeinsam mit einer großen Gruppe ehemaliger jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie deren Angehörigen nach Bochum zurück. Später folgten noch zwei weitere Besuche. Im Glückwunschbrief heißt es: „Bei den Begegnungen in Schulen, die Bestandteil von allen drei Besuchen waren, konnten viele junge Menschen in Bochum an den lebendig geschilderten Erinnerungen teilhaben. Dadurch verbreiterte sich zugleich auch das Wissen über die alte, vor der NS-Zeit sehr angesehene Jüdische Gemeinde Bochum.“
Die ehemalige Leiterin des Bochumer Stadtarchivs Ingrid Wölk zeichnet einige Lebensdaten der Jubilarin nach. In Bochum lebte sie eine Zeit mit ihrer Mutter bei ihrer Großmutter Berta Wittgenstein in einer Wohnung in der Luisenstraße 1. Bei ihrem ersten Besuch in Bochum 1995 schilderte sie vor Schülern, wie sie als junge Frau die Pogromnacht 1938 erlebte: „Unserem Haus gegenüber war ein Zaun, und hinter dem Zaun waren der Schulhof der jüdischen Schule und die Synagoge, so dass ich direkt darauf geschaut habe. Und den Brand miterlebt habe und den Rauch und den 9. November, die Scherben, den Krach (...). Das Schlafzimmer war hell wie Sonnenschein (...).“
Altes Poesiealbum half Historikern bei Forschung
Wie Ingrid Wölk recherchierte, verband Hannah Deutch auch glückliche Kindheitserinnerung mit Bochum: „Musikanten im Stadtpark, Schlittschuhlaufen auf dem Stadtpark-Teich, Rollschuhfahren auf dem Rathaus-Vorplatz, Paternosterfahrten im Rathaus.“
Anfang 1939 entkam sie mit einem Kindertransport, baute sich in England ein neues Leben auf und heiratete einen kanadischen Soldaten, dem sie nach Kanada folgte. Als ihr Ehemann 1949 früh an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung starb, siedelte sie 1962 nach New York über und engagierte sich dort in verschiedenen jüdischen Organisationen.
Bei ihren späteren Besuchen in Bochum hütete sie ihr altes Poesiealbum wie einen Schatz. Mithilfe der Einträge dort konnten später etliche Kinder und Jugendliche der alten Jüdischen Gemeinde auf Gruppenfotos identifiziert werden. Mit ihrem wachen Gedächtnis half Hannah Deutch zudem, viele Einzelheiten aus der alten jüdischen Gemeinde zu rekonstruieren.
Auch Oberbürgermeister Eiskirch gratuliert
Nach einer „Kommunikationspanne“, so die Stadt, gibt es jetzt auch ein von Oberbürgermeister Thomas Eiskirch unterschriebenes Glückwunschschreiben der Stadt Bochum. Dies sei auch der Grund, dass es nicht ein gemeinsames Schreiben gegeben habe. Im Brief des Oberbürgermeisters heißt es unter anderem: „Ich danke Ihnen dafür, dass Sie uns Bochumerinnen und Bochumern trotz Ihrer leidvollen Erfahrungen während der NS-Zeit die Hand zur Versöhnung gereicht haben.“