Bochum-Altenbochum. Walter Spiller war mehrmals in Bochums Partnerstadt Donezk und traf frühere Zwangsarbeiter. Der Zustand der Kriegsgräber wühlt ihn deshalb auf.
Geschichtsinteressiert war Walter Spiller schon immer. Richtig erwacht ist sein Interesse für Osteuropa aber vor allem nach einem Schüleraustausch in den 90er-Jahren. Da fuhr der heute 80-Jährige als Vater eines Heinrich-von-Kleist Schülers mit in die Bochumer Partnerstadt Donezk. "Das hat mich geprägt", sagt Spiller.
Dass er heute auf dem Kommunalfriedhof in Bochum am Freigrafendamm steht und sich über den Zustand der Kriegsgräber ärgert, hat mit dieser Erfahrung zu tun. "Es war für mich Anstoß, mich in der Gesellschaft Bochum Donezk zu engagieren", sagt Spiller. So kam auch der Kontakt zu ehemaligen Zwangsarbeitern zustande.
Grab auf dem Bochumer Kommunalfriedhof aufgespürt
Dabei lernte Spiller Nikolaj Storoschenko kennen. In den 1940er Jahre arbeitete der damals noch Minderjährige mit seinem Vater auf der Zeche Constantin. Der junge Storoschenko überlebte die harte Arbeit, Mangelernährung, Unfälle und Denunziationen, die er als Zwangsarbeiter über sich ergehen lassen musste. Sein Vater starb.
Spiller hält den Brief in den Händen, in dem Storoschenko schreibt: "Ich erinnere mich noch an den Friedhof und die Kirche. Ich möchte noch einmal dort auf den Knien liegen und um meinen misshandelten Vater weinen. Das sind natürlich unerfüllbare Träume." Es kam anders: Spiller recherchierte und fand das Grab: Kommunalfriedhof, Feld 3, Reihe A, Grabnummer 8.
"Grabfelder in beschämendem Zustand"
Storoschenkos Wunsch konnte erfüllt werden. Inzwischen lebt auch er nicht mehr, doch sein Schicksal treibt Spiller weiter um. "Ich bin oft auf dem Friedhof und schaue immer hier vorbei", sagt er.
In den letzten Monaten ist der Besuch für ihn aber zum Anlass für Ärger geworden: „Die Grabfelder für verstorbene Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene sind in einem beschämenden Zustand“, findet er. Einst hätte sich die Gruppe „Frauen für den Frieden“ um die Instandhaltung gekümmert, besonders wenn Besuch aus Donezk kam.
Symbol der Rosenstöcke
„Jetzt sind sie alt und die Besuche sind nicht mehr möglich“, sagt Spiller. Was er nun beobachtet: „Die Gräberanlagen verkommen. Es wächst Unkraut, die Steinumrandungen sind nicht mehr zu erkennen, es gibt nur noch wenige Rosenstöcke“, so Spiller.
In den 1960er Jahren wurde Donezk von der Unesco als grünste Industriestadt in ihrer Einwohnerklasse ausgezeichnet und gilt als „Stadt der Millionen Rosen“. „Die Rosen sind daher ein wichtiges Symbol“, meint Spiller. Er wünscht sich mehr Rosen für die Gräber. "Man könnte die Grabfelder auch alle zusammenlegen, das spart Personal", schlägt er vor.
Das sagt die Stadt Bochum
Bei der Stadt hat sich Spiller bereits beschwert, wurde im April 2020 zu einem Vor-Ort-Termin eingeladen. „Wegen Corona und aus gesundheitlichen Gründen fiel er aus“, sagt Spiller. Seitdem sei nichts passiert. Was sagt die Stadt nun?
Stadtsprecher Peter van Dyk teilt mit, die Gräberfelder seien einst großflächig und mit einer aufwändigen Gestaltung errichtet worden - oft mit Hecken eingefasst, teils mit Ehrenmalen. Das sei sehr pflegeintensiv - "mit dem heutigen Personal in der ursprünglichen Form nicht aufrechtzuerhalten", so van Dyk. Die Stadt gibt zu: Viele Wege sind zugewachsen, die Pflanzflächen in ihrer ursprünglichen Gestaltung nicht mehr erkennbar.
Keine Zusammenlegung
Die Anlagen seien daher gestalterisch im Sinne von Pflegeerleichterungen angepasst worden. "Dennoch sind wir uns der Verantwortung für diese Anlagen bewusst und bemühen uns, diese, wenn auch in reduzierter Form, angemessen zu unterhalten", betont van Dyk. Eine Zusammenlegung der Grabfelder kommt aus Sicht der Verwaltung aber nicht in Frage. "Es handelt sich hierbei um Flächen, auf denen die Opfer auch tatsächlich beigesetzt sind. Es sind somit keine symbolischen Flächen."
In Absprache mit der Bezirksregierung und dem Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge würden die Gräber sukzessive in weiterhin würdevoller, jedoch deutlich pflegeleichterer Anmutung umgestaltet. Dazu sollten auch eigene Arbeitsgruppen für die Unterhaltung von Kriegs- und Ehrenanlagen installiert werden.
30.000 Zwangsarbeiter
Die genaue Zahl der Zwangsarbeiter in Bochum ist nicht bekannt. Im Juli 1943 waren es etwa 17.000, bis Ende Februar 1944 stieg ihre Zahl auf 30.000 an, und noch im April 1945 waren mehr als 27.000 Zwangsarbeiter in Bochum.
Mehr als die Hälfte kam aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Die meisten Bochumer Zwangsarbeiter wurden im Bergbau eingesetzt und in über 100 Lagern untergebracht.