Bochum. Wie ansteckend sind Kinder und Jugendliche? Was macht Corona mit Psyche und Entwicklung? Eine Bochumer Kinderärztin und Expertin gibt Antworten.
Ein Jahr Corona in Bochum – Anlass für die Redaktion, einmal besonders auf die Situation von Kindern und Jugendlichen zu schauen. Unser Gespräch mit der Kinder- und Lungenfachärztin Dr. Folke Brinkmann zeigte, wie belastend die Situation in den Familien ist. Brinkmann ist Oberärztin und kommissarische Leiterin der Abteilung Pädiatrische Pneumologie an der Universitätskinderklinik Bochum. Sie leitet zwei Studien zum Thema „Kinder und Corona“.WAZ-Lokalchef Thomas Schmitt und Redakteurin Carolin Rau sprachen mit ihr – live auf Facebook. Auch Fragen von Lesern erhielten eine Antwort.
Frau Dr. Brinkmann, gerade zu Beginn der Pandemie hieß es, dass das Coronavirus für Kinder nicht so gefährlich ist. Wie ist da mittlerweile der Stand?
Zum Glück ist es so, dass Kinder häufig nur ganz leicht oder gar nicht erkranken, das hat sich nicht anders entwickelt. Wir haben im Krankenhaus 30 Kinder betreut, die doch aufgenommen wurden. Darunter häufig ganz kleine Säuglinge, die überwacht wurden. Ein ganz kleiner Anteil waren Kinder mit schwerem Asthma, die auch mit anderen Infekten krank geworden wären. Es gab fünf Kinder mit relativ schwerer Krankheit. Gestorben ist zum Glück kein Kind, alle sind gesund geworden.
Mitte Februar sollte es erste Ergebnisse Ihrer „CorKid-Studie“ geben, bei der 2200 Kinder und Jugendliche während ihrer Vorsorgeuntersuchungen auf Antikörper getestet wurden. Können Sie uns einen Einblick geben?
Im Vergleich zum Anfang haben deutlich mehr Kinder Antikörper, sie haben sich also in der Zwischenzeit angesteckt. Angefangen haben wir im Juni, da war das nur bei wenigen Kindern der Fall. Das hat sich im November verändert, die Zahlen sind in die Höhe gegangen. Zum Abschluss der Studie waren vier Prozent der Kinder mit Corona infiziert. Die Hälfte davon komplett ohne Beschwerden, sie hatten sich angesteckt, ohne dass sie dabei krank waren. Wir untersuchen weiterhin, wie die Rate der Antikörper sich bei den Familien, die wir schon untersucht haben, verändert.
In der anderen – der STARS-Studie – haben Sie seit Mai Kinder getestet, die mit Symptomen zum Arzt kamen. Welche Ergebnisse gibt es hier?
In Bochum und Herne wurden 5000 Kinder untersucht. Die Zahl der infizierten Jugendlichen ist ab Ende Oktober stark angestiegen. Die Kontakte der Jugendlichen spielen da eine Rolle. Was wir nicht genau wissen, ist, ob sich die Jugendlichen in der oder im Umfeld der Schule angesteckt haben. Es wurde noch nicht überall ein Mundschutz getragen, was sich jetzt sicher ändern wird. Der Lockdown war sehr effektiv, das wirkt gut. Wir sind gespannt, wie es weitergeht, wenn die Regeln gelockert werden.
Wie riskant ist der Betrieb im Kindergarten im Bezug auf das Infektionsgeschehen?
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Das Robert-Koch-Institut hat das in vielen Kitas in Deutschland überprüft. Dabei wurde klar, dass die Zahl der Infektionen angestiegen sind, als überall die Zahlen anstiegen. Die Infektionen haben sich aber vor allem durch Erwachsene, die Erzieherinnen und Erzieher verbreitet. Dass eine Infektion von einem Kind ausging, ist eine Rarität.
Woran liegt das?
Ein Grund ist, dass die kleinen Kinder nicht so viel Lungenvolumen haben. Aerosole tragen stark zur Verbreitung bei, da sie bis zu acht Meter weit fliegen und eine Viertelstunde lang in der Luft sein können. Kinder können Aerosole nicht in der Menge herstellen, sie haben auch zum Beispiel nicht so einen starken Hustenstoß.
Kinderärztin beantwortet eure Fragen: Unser Live-Stream zum Nachgucken:
Eine schwangere Mutter fragt, ob sie ihr Kind in die Kita schicken sollte?
Das Risiko, dass sich das Kind in den nächsten Woche in der Kita ansteckt, ist sehr niedrig. Die meisten Schwangere stecken das Virus gut weg, die Kinder stecken sich im Mutterleib nicht an, häufiger jedoch um die Geburt herum. Auch dann werden die Kinder aber nicht schwer krank. Trotzdem ist es nicht schön, während der Geburt erkrankt zu sein, denn es bedeutet starke Einschränkungen im Krankenhaus.
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Blickpunkt Schulunterricht: Worauf muss hier geachtet werden – reichen die sogenannten AHA-Regeln?
Dass Kinder wieder in die Schule gehen ist essenziell, der Unterricht ist enorm wichtig für sie und wichtig für ihre Entwicklung und das soziale Lernen. Es muss einen sicheren Weg geben, damit die Schulen aufbleiben können, dazu gehört unter anderem das Reduzieren der Gruppengröße und gut zu lüften.
Kann es gesundheitsschädlich sein, wenn Kinder acht Stunden lang die medizinische Maske tragen?
Es ist nicht sehr angenehm, aber nicht gefährlich. Es gibt Untersuchungen aus Asien, wo Kinder und Jugendliche auch vorher schon Masken getragen haben. Die Sauerstoffversorgung war normal, die Kinder und Jugendliche leistungsfähig.
Viele Kinder sitzen jetzt zu Hause und haben Homeschooling. Gibt es Erkenntnisse, dass sie deutlich mehr zocken als vorher?
Zwei Drittel der Kinder nutzen sehr viel mehr Medien, auch unabhängig von der Schule. Viele Aktivitäten können nicht mehr durchgeführt werden. Erschreckend ist, dass jedes dritte Kind jetzt nach einem Jahr angegeben hat, dass es sich nicht wohlfühlt. Es gibt Ängste, Kinder fühlen sich isoliert, weil sie Freunde nicht treffen können. Sie sind gestresst und haben Sorge, wie es weiter geht. Die Zahl hat zugenommen. Auch die soziale Entwicklung ist durch Kontaktsperren eingeschränkt, das merkt man. Es ist nicht so, dass man das jetzt nicht noch aufholen kann. Der Zustand kann aber nicht noch länger ausgedehnt werden, ohne dass es Probleme gibt.
Stimmt es, dass Kinder durch die Corona-Pandemie an Gewicht zunehmen?
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Es gibt dazu Daten, die sagen, dass Kinder um zweieinhalb Mal mehr zugenommen haben, als normalerweise. Das ist nicht bei allen so, aber bei einigen schon ausgeprägt. Kinder bewegen sich weniger, verbringen mehr Zeit vor dem Fernseher.
Grüne fordern: Kinder und Jugendliche nicht zurücklassen
Jedes dritte Kind leidet ein Jahr nach Beginn der Pandemie unter psychischen Auffälligkeiten, hat eine Studie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf ergeben. Die Grünen im Rat wollen sich für ein besseres Angebot für Kinder- und Jugendliche einsetzen.
Raphael Dittert, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, mahnt hierzu: „Es ist alarmierend, dass Kinder aus einkommensschwachen Familien oder mit einem Migrationshintergrund besonders stark betroffen sind. Wir brauchen hier noch während und nach der Pandemie dringend Konzepte, wie Familien besser unterstützt werden und betroffene Kinder und Jugendliche ein schnelles Therapieangebot ohne lange Wartezeiten erhalten.“ Daneben müsste auch die Jugendarbeit unterstützt und gestärkt werden.
Mit einer Anfrage im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 3. März wollen die Grünen die aktuelle psychosoziale Lage von Kindern und Jugendlichen in Bochum sowie mögliche Konzepte und Programme stärker in die Debatte bringen.
Sollten Kinder und Jugendliche auch geimpft werden?
Im Moment ist noch kein Impfstoff für Kinder und Jugendliche zugelassen. Es gibt Erprobungsuntersuchungen. Diese beginnen bei den Jugendlichen und gehen weiter bei den Kindern. Wahrscheinlich ist es so, dass im Herbst zuerst Impfstoff für die Jugendlichen da ist und dann danach für die Schulkinder und auch jüngeren Kinder. Ich bin noch unschlüssig, ob Kinder geimpft werden sollten. Es gab auch schwere Verläufe bei Kindern und Jugendlichen. Nicht ganz unwichtig ist, dass ein Anteil der Kinder einen Immunschutz hat, damit die Infektionsrate auch insgesamt sinkt.
Reicht es, sich einmal impfen zu lassen oder muss die Impfung immer wiederholt werden – ähnlich wie bei der Grippe-Impfung jedes Jahr?
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Das wissen wir nicht genau. Ich denke eher nicht, dass es bei einer einzigen Impfung bleiben wird, weil wir jetzt schon nach ein paar Monaten Mutationen auf der Welt sehen, die nicht vom Impfstoff abgedeckt sind. Vermutlich wird es so sein, dass es nach einem gewissen Zeitraum eine auffrischende Impfung geben muss. Es könnte also sein, dass es eine jährliche Impfung gibt. Allerdings stellt sich auch die Frage, wie schwer krank und ansteckend man bei einer neuen Corona-Variante werden kann, wenn man schon mehrere Infektionen oder Impfungen hinter sich hat.
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