Bochum. . Lungenfachärztin Dr. Folke Brinkmann forscht in der Pandemie zu Corona-Infektionen bei Kindern. Was sie zur Öffnung von Kitas und Schulen rät.

Am Mittwoch entscheiden Kanzlerin und Ministerpräsidentenkonferenz über Ende, Lockerung oder Verlängerung des Lockdowns. Zu den strittigsten Themen gehören: Rückkehr zum Präsenzunterricht und Kita-Öffnung. Die Bundesbildungsministerin erklärte bereits, sie würde damit lieber noch etwas warten. Könnten Schulen wirklich die neuen Hotspots werden? Wie gefährlich – und wie gefährdet – sind Kinder und Jugendliche tatsächlich? Die Bochumer Kinderpulmologin und Infektiologin, Dr. Folke Brinkmann, Oberärztin der Universitätskinderklinik, forscht zum Thema „Kinder und Corona“. Wir haben mit ihr gesprochen.

Ihre Antikörper-Studie „CorKid“, eine der bundesgrößten zum Thema, haben Sie gerade beendet; „Stars“ wurde verlängert. Was sind die jüngsten Erkenntnisse?

Dr. Folke Brinkmann: Mit CorKid sind wir tatsächlich seit Ende Januar durch, 2200 Kinder und Jugendliche wurden getestet. Sie nehmen, zeigte sich, am Infektionsgeschehen teil; sind aber keineswegs Treiber der Pandemie. Die Fallzahlen folgen denen der Erwachsenen, sie gehen ihnen nicht voraus. Auch die Zahlen der STARS-Studie gleichen sich seit Oktober denen der Erwachsenen an, zumindest was die Jugendlichen betrifft. Die Infektionen bei Grundschulkindern liegen um das Zwei- bis Dreifache niedriger als die der Erwachsenen.

Bislang hieß es: Kinder erkranken weniger oft, weniger schwer und sie geben die Infektion nicht so häufig weiter…

Weniger oft stimmt wahrscheinlich noch immer, weniger schwer auf jeden Fall – und was die Weitergabe der Infektion angeht, sehen wir mittlerweile, dass das altersabhängig ist. In Grundschulen ist die Übertragungsrate von Kindern unter elf Jahren auf Klassenkameraden oder Lehrer sehr gering. In Berufsschulen sieht das anders aus. Allein aufgrund seines Körperbaus kann ein Kleinkind gar nicht im gleichen Maße wie ein Erwachsener Aerosole aushusten.

Dr. Folke Brinkmann: Kinder sind keine Virenschleudern, verkündete sie im Sommer – und steht noch heute dazu.
Dr. Folke Brinkmann: Kinder sind keine Virenschleudern, verkündete sie im Sommer – und steht noch heute dazu. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Sie behandeln in Ihrer Klinik inzwischen jedoch auch junge Corona-Patienten?

In den ersten Monaten der Pandemie haben wir bei uns fast keine gesehen, aber ab Oktober kamen sie. Ganz, ganz junge Säuglinge mit hohem Fieber waren das oder Kinder mit Inflammationssyndrom, einer ausgeprägten Entzündungsreaktion des Körpers, ausgelöst durch eine Covid19-Infektion. Eine Handvoll war richtig schwer erkrankt, aber alle konnten gesund nach Hause entlassen werden.

Schul- und Kita-Schließungen schädigen die Gesundheit ebenfalls, weiß man inzwischen…

Diese Kollateralschäden der Pandemie sind mittlerweile ganz gut erforscht. Kinder mit Lernschwierigkeiten und einem Elternhaus, das nicht gut helfen kann, bleiben zurück. Andere entwickeln in der Isolation Depressionen, Angststörungen oder rutschen in ausbordenden Medienkonsum ab. Es gibt mehr Stress und mehr Gewalt in den Familien, mehr Kindesmisshandlungen. Wir erleben das in unserer Klinik jetzt häufiger als vor Corona.

Alle Fakten gegeneinander abgewogen: Würden Sie Schulen und Kitas am Montag wieder öffnen?

Schulen und Kitas sind für Kinder und Jugendliche systemrelevant, sagt die DGKJ (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin). Und damit hat sie Recht: Sobald es geht, müssen diese Einrichtungen wieder geöffnet werden, beginnend mit den Kitas und Grundschulen. Ich denke, das würde bei entsprechenden Hygieneregeln den Erfolg der bisherigen Maßnahmen nicht gefährden. Wie lange will man noch warten? Bis alle geimpft sind? Bis die Sonne wieder scheint?

Seit dem 16. Dezember blieben die Klassenzimmer leer –  Schülerinnen und Schüler wurden in den Distanzunterricht geschickt.
Seit dem 16. Dezember blieben die Klassenzimmer leer – Schülerinnen und Schüler wurden in den Distanzunterricht geschickt. © FUNKE Foto Services | Markus Weißenfels

Die magische Inzidenz-Zahl 50 ist allerdings noch nicht erreicht.

Das Infektionsgeschehen ist nicht top in Ordnung, die Inzidenzen sinken nur noch zäh und der R-Wert steigt sogar wieder. Aber in den Ländern, die ihre Kitas und Grundschulen auch im Lockdown offen hatten, trieb das die Inzidenzzahlen keineswegs massiv in die Höhe.

Plädieren Sie für bundeseinheitliche oder regional angepasste Regelungen?

Ich fände es gut, bundesweit einheitliche Parameter zu finden, anhand derer regional entschieden wird. Da können neben der Sieben-Tage-Inzidenz die Zahl der freien Krankenhaus- und Intensivbetten und die Zahl der Todesfälle eingehen.

Und wenn die Schulen dann wieder öffnen: Wie? Reichen AHA-Regeln und Lüften als Konzept aus?

Die AHA Regeln und regelmäßiges Lüften sind das Wichtigste. Wenn die Klassen voll sind, muss man sie teilen. Wenn sie nicht ganz so voll sind, reicht die Maske aus. Sie muss nur von allen getragen werden, auch von den Lehrern, auch im Lehrerzimmer, auch von den Erziehern in der Kita in der Pause.

Die Mutationen des Virus verursachen derzeit viel Unsicherheit. Die britische Variante infizierte Ende Januar in Kitas in Freiburg und Köln Kinder und Erzieher.

Sie infiziert halt Menschen. Durch alle Altersgruppen. Es gibt bislang keinerlei Hinweise, dass Kinder von den Mutationen mehr oder schlimmer betroffen wären. Das mutierte Virus verbreitet sich nur leichter, eben auch unter Kindern.

Thema Impfung: Noch sind für Kinder keine geplant. Würden sie helfen?

Die spannende Frage ist, ob man eine Herdenimmunität erreichen kann, ohne die Kinder zu impfen. Zu ihrem eigenen Schutz müssten Kinder nicht dringend geimpft werden, denke ich.

>> INFO: Die Bochumer Studien

Die Ergebnisse der CorKid-Studie sollen Mitte Februar veröffentlicht werden. Die Bochumer Forscher berichteten direkt an RKI und Bundesgesundheitsamt. 2200 symptomfreien Kindern und Jugendlichen wurde dafür seit Juni 2020 im Rahmen der regulären Vorsorge-Untersuchungen Blut für einen Antikörper-Test abgenommen. „Gestartet sind wir mit einer Positivquote von unter einem Prozent, zuletzt lag sie bei über drei“, so Dr. Brinkmann. Dies sei ein „durchaus relevanter Anstieg, aber keiner, der sich von denen in anderen Altersgruppen unterscheidet.

4500 Kinder, die mit Husten, Schnupfen oder Fieber zum Arzt kamen, wurden zudem seit Mai 2020 für die Stars-Studie abgestrichen. Die Zahl der positiven Corona-Tests stieg von zwei Prozent im August auf 13 Prozent im Dezember – insbesondere die eigene Familie, zeigte sich, war der größte Risikofaktor für eine Infektion, viel mehr z.B. als ein Kontakt in der Kita/Schule. Am häufigsten betroffen waren Jugendliche.