Hagen. Nach einem Jahr Flucht wurde Friedrich-Wilhelm Göbel in Italien verhaftet und ausgeliefert. Hier kommt der Modehändler zu Wort.

Der inhaftierte Modehändler Friedrich-Wilhelm Göbel zeigt sich nach dem Ende seiner fast einjährigen Flucht reumütig und kündigt an, sich mehreren Verfahren zu stellen, die in Deutschland gegen ihn laufen. Das teilte Göbels Anwalt Philipp Grabensee der WESTFALENPOSTin einem Statement mit.

„Mein Mandant bereut es, sich nicht den Strafvollstreckungsbehörden gestellt zu haben. Er ist erleichtert, dass die Zeit, in der er sich der Vollstreckung seiner Strafe entzogen hat, nunmehr vorbei ist. (...) Den anstehenden Verfahren wird er sich stellen“, heißt es in der Erklärung.

Göbel gilt als eine der schillerndsten Persönlichkeiten der NRW-Wirtschaft. Er führte die Modeketten Sinn aus Hagen (inzwischen insolvent) und Aachener aus Dortmund (Betrieb eingestellt). Im März 2023 hatte er sich als Retter von bis zu 25 Standorten des angeschlagenen Warenhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof ins Spiel gebracht. Seit Anfang November 2023 galt er als flüchtig. Mitte Oktober dieses Jahres wurde er in Italien verhaftet. Seit November befindet sich der 61-Jährige wieder in Deutschland und verbüßt in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) in NRW eine sechsmonatige Haftstrafe.

Trotz seiner Inhaftierung ist aber wohl nicht gesichert, dass sich Göbel einer weiteren, rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe und anderen Verfahren nun zwangsläufig aussetzen müsste. Aufgrund einer juristischen Besonderheit des europäischen Auslieferungsrechts könnte er sich sogar wieder ins Ausland begeben – ganz legal.

Der Grund: Paragraf 83 h des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), der sogenannte Grundsatz der Spezialität.

Philipp Grabensee ist der Anwalt von Friedrich-Wilhelm Göbel.

„Meinen Mandanten stimmt die Perspektive zuversichtlich, sich hoffentlich bald wieder in Freiheit bewähren zu können.“

Philipp Grabensee
Verteidiger von Friedrich-Wilhelm Göbel

Ausreise muss ermöglicht werden

Der europäische Haftbefehl, der am 17. Oktober zur Verhaftung von Friedrich-Wilhelm Göbel im italienischen Bormio in der Nähe der Schweizerischen Grenze führte, basierte auf einer Verurteilung des gebürtigen Remscheiders vor fast fünf Jahren durch das Amtsgericht Hagen wegen einer falschen Versicherung an Eides statt. Diese Strafe verbüßt er derzeit.

Eine zweite sechsmonatige Haftstrafe erhielt Göbel im Mai 2021 vom Amtsgericht Helmstedt (Niedersachsen), Vorwurf: Fahren ohne Fahrerlaubnis. Dieses Verfahren – und weitere – waren jedoch laut Staatsanwaltschaft Hagen nicht Gegenstand des europäischen Haftbefehls. Ein Detail, das bedeutend ist.

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Der Grundsatz der Spezialität sieht vor, dass Personen für andere verübte Taten als die, für die sie ausgeliefert werden, „weder verfolgt noch verurteilt noch einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterworfen werden dürfen“.

Ein Ermittler fasst die Konsequenz daraus so zusammen, dass man daher nun nicht vor der Tür der JVA, in welcher Göbel derzeit sitzt, warten könne, um den Modehändler im Anschluss an die erste Haftstrafe gleich zur Verbüßung der zweiten Haftstrafe mitzunehmen. In Fällen wie dem vorliegenden, so der Ermittler weiter, müssten die Behörden vielmehr der Person, die ja gegen ihren Willen nach Deutschland gebracht worden sei, sogar „die Möglichkeit geben, das Land wieder zu verlassen“. Dann ginge das Fahndungs-Spiel also möglicherweise von vorne los...

„Wir können nicht vor der Tür der JVA auf ihn warten, um ihn zu verhaften.“

Ein Ermittler
Zum Grundsatz der Spezialität

Zweite Haftstrafe verhängt

Verhindert werden kann dieses Szenario etwa, indem das ausliefernde Land der Verfolgung weiterer Strafen/Verfahren zustimmt. Oder, der Gesuchte verzichtet auf den Grundsatz der Spezialität.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig, welche Göbel im vergangenen Jahr zum Antritt einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe geladen hatte, weil der Unternehmer wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden war, hat ein Nachtragsersuchen an die italienischen Behörden gestellt. Zudem hat sie Göbel angeschrieben und gefragt, ob er auf den Grundsatz der Spezialität verzichtet. Das erklärt ein Sprecher der Behörde.

Philipp Grabensee ist der Anwalt von Friedrich-Wilhelm Göbel.

„Selbstverständlich wird Herr Göbel auch die zweite Haftstrafe antreten.“

Philipp Grabensee
Verteidiger von Friedrich-Wilhelm Göbel

Göbels Verteidiger erklärt dazu, dass „Herr Göbel selbstverständlich auch die zweite Haftstrafe antreten“ werde. Zu den rechtlichen Details wolle sich sein Mandant derzeit auf seinen anwaltlichen Rat jedoch nicht äußern. Eine erneute Flucht ist laut Statement kein Thema. „Wenngleich er sich im Rahmen seiner Verhaftung und seiner Auslieferung den Umständen entsprechend gut behandelt gefühlt hat, möchte er so etwas nicht noch einmal erleben“, teilt Verteidiger Grabensee mit.

Weitere Verfahren ausstehend

Demnach wäre der Weg auch für das Abarbeiten weiterer Verfahren gegen Göbel frei.

Der ehemalige „Galeria-Retter“ muss sich zum einen vor dem Amtsgericht Hagen wegen des Vorwurfs der falschen Versicherung an Eides statt verantworten; in dieser Causa war am 2. November 2023 Haftbefehl erlassen worden, nachdem der 61-Jährige nicht zur Verhandlung erschienen war. Laut Amtsgericht Hagen soll der Unternehmer im Zuge einer Vermögensoffenlegung falsche Angaben gemacht, sein monatliches Einkommen als Chef der Hagener Textilhauskette Sinn um 1000 Euro zu niedrig angegeben haben. Außerdem soll er den Verkauf einer Immobilie in Kitzbühel in Tirol im August 2018 an seine damalige Frau verschwiegen haben. Wert laut Gericht: rund 4,7 Millionen Euro.

Zum anderen muss sich der gelernte Banker vor dem Amtsgericht Dortmund wegen des Vorwurfes eines Verstoßes gegen das GmbH-Gesetz verantworten. Göbel soll 2021 bei der Anmeldung der Firma, welche die Modehauskette Aachener betrieb, unter anderem angegeben haben, dass er in den fünf Jahren zuvor nicht wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung verurteilt worden sei. Aber: Das Amtsgericht München hatte gegen Göbel 2017 einen Strafbefehl über 250 Tagessätze zu je 100 Euro verhängt – unter anderem wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung. Der Wirtschaftsstrafprozess in Dortmund war vor einem Jahr vorläufig eingestellt worden. Grund war der damals laut Gericht „unbekannte Aufenthaltsort“ von Göbel.

Das Statement des Göbel-Anwalts im Wortlaut

„Mein Mandant bereut es, sich nicht den Strafvollstreckungsbehörden gestellt zu haben. Er ist erleichtert, dass die Zeit, in der er sich der Vollstreckung seiner Strafe entzogen hat, nunmehr vorbei ist. Zuversichtlich stimmt ihn die Perspektive, sich hoffentlich bald wieder in Freiheit bewähren zu können. Den anstehenden Verfahren wird er sich stellen. Wenngleich er sich im Rahmen seiner Verhaftung und seiner Auslieferung den Umständen entsprechend gut behandelt gefühlt hat, möchte er so etwas nicht noch einmal erleben. Zu den laufenden Strafverfahren und dem anstehenden Vollstreckungsverfahren wird sich mein Mandant auf meinen Rat hin zurzeit nicht äußern.“

„Selbstverständlich wird Herr Göbel auch die zweite Haftstrafe antreten. Zu den rechtlichen Details des Vollstreckungsverfahren möchte sich mein Mandant zur Zeit auf meine Empfehlung hin nicht äußern.“

Quelle: Philipp Grabensee (Düsseldorf)

Die beiden Gerichte in Hagen und Dortmund erklären auf Anfrage, dass es noch keine neuen Prozess-Termine gebe. Ein Sprecher des Amtsgerichts Hagen verweist im Übrigen auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das den Grundsatz der Spezialität relativiere. Daher „dürfte einer erneuten Verhandlung in der hiesigen Sache nichts im Wege stehen“, so der Gerichtssprecher.

Daneben gibt es nach Informationen der WESTFALENPOST gegen Göbel in Wuppertal ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. 2018 hatte er zudem vom Amtsgericht Ebersberg (bei München) eine Geldstrafe erhalten, 2020 war er vom Amtsgericht Hagen zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden, jeweils wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis. Beide Verfahren sind laut der Gerichte rechtskräftig abgeschlossen.

Zu den Vorwürfen und Verfahren nahmen Göbel und sein Verteidiger nicht weiter Stellung.

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