Gelsenkirchen. Vier Schülerinnen des Gelsenkirchener Gauß haben eine literarische Kampfansage gegen Cyber-Mobbing verfasst. Was Schulen ändern sollten.
Mobbing, analog und im Internet – ein größeres Thema gibt es an Schulen aktuell kaum. Es betrifft ausnahmslos alle Schulen, auch wenn es Unterschiede in der Heftigkeit geben mag. Anna, Iljana Lena und Louisa lernen in der Einführungsstufe zur Oberstufe am Gauß-Gymnasium in Gelsenkirchen. Die Schule ist nicht für einen rüden Umgangston bekannt, eher im Gegenteil. Trotzdem haben auch die vier schon schlechte Erfahrungen gemacht, auf dem Schulhof, und vor allem im Internet. Grund genug für sie, sich an einem Wettbewerb der Ruhr-Universität Bochum (RUB) rund um das Thema Werte und respektvoller Umgang zu beteiligen. Und es hat sich gelohnt für sie.
„Hate Speech“ und „Fake News“ als Unterrichtsgegenstand
Auf den Wettbewerb aufmerksam gemacht hatte sie ihre Kursleiterin Alexandra Hönninger. In ihrem Unterricht war bereits die Sprache im Internet ein Thema, Hate Speech und Fake News sind Bestandteil der Unterrichtseinheit „Medien und Sprache“. Im Wettbewerb der RUB waren Kurzgeschichten gefragt, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Maximal 5000 Zeichen, das ist Text für etwa eine halbe WAZ-Seite. Sie haben es mit 3400 Zeichen geschafft, die Jury davon zu überzeugen, dass sie das Thema gut auf den Punkt gebracht haben. So gut, dass sie den zweiten Preis unter den 140 Teilnehmenden bekommen haben.
Mit jeder Schmähung wächst die Unsicherheit
Ihre Geschichte erzählt von einer jungen Frau, die ein Foto von sich in ihrem Lieblingspullover gepostet hat. Und nach kurzer Zeit ist der erste hämische Kommentar darunter zu lesen. Eindringlich schildern sie in der Geschichte den Mechanismus, der nun einsetzt. Die zunehmende Verunsicherung der Verunglimpften in Bezug auf das eigene Aussehen, auf die „richtige“ Kleidung. Body-Shaming, sich seines Körpers zu schämen, sobald er nicht so perfekt ist wie der der gestylten Influencerinnen ist allgegenwärtig in einer Netzwelt, in der alle unfassbar perfekt zu sein scheinen.
Kompletter Rückzug aus dem sozialen Leben als Folge bis hin zum Selbstmord
Doch die Unsicherheit wird immer größer mit jeder weiteren Schmähung. Die garantiert kommt. Längst geht es nicht mehr nur um Äußerlichkeiten. Obwohl der Vergleich mit einem „aufgequellten Blobfisch“ schon extrem gemein ist. Die Gedanken kreisen: Wer könnte dahinterstecken? Es muss jemand aus dem Umfeld sein, der letzte Kommentar bezieht sich auf das Outfit heute. Ein Verdacht keimt auf, er nagt am Glauben an die beste Freundin. Es kann jeder gewesen sein. Jede Bewegung wird registriert, jeder Griff zum Handy, die Angst davor, entdecken zu müssen, dass es jemand vermeintlich Vertrautes ist, nimmt paranoide Züge an.
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Das Ende ihrer Geschichte bleibt offen. Cyber-Mobbing kann im kompletten Rückzug aus dem sozialen Leben enden, in Depressionen bis hin zum Selbstmord – oder im Rückzug aus dem Internet. Die reale Lena etwa kommentiert Posts nur noch in Ausnahmefällen, im sehr vertrauten Umfeld. Iljana und Louisa sind ohnehin wenig auf Social Media unterwegs. Sie achten bewusst auf ihre Sprache und wünschen sich, das täten alle. In Schulen sollte ihrer Meinung nach die Aufklärung über die so wichtige Bedeutung eines respektvollen, werteorientierten Umgangs auf allen Ebenen viel früher beginnen.
„Aufklärung in Schulen über Folgen muss viel früher beginnen“
„Heute haben die meisten doch schon in der zweiten Klasse ein Handy, in der fünften auf jeden Fall. Im Netz gibt es Sprüche und Beleidigungen, deren Bedeutung verstehen die Jüngeren oft selbst nicht, auch wenn sie sie nutzen. Sie haben das aus dem Internet. Und sie wenden es zum Teil auch beim direkten Gegenüber an“ hat Lena erlebt. Sprachliche Grenzüberschreitungen sind längst Alltag, die Grenzen des Erlaubten fließend.
Vor Gericht oft nur geringe Chancen, die Täter zu belangen
„Wir kennen jemanden, der sich dagegen gerichtlich wehren wollte. Aber dann steht man vor Gericht, allein mit Eltern und Anwalt, und auf der anderen Seite stehen all die anderen. Das ist kein gutes Gefühl. Und es ist auch so schwer zu beweisen“, berichtet Iljana. Ihren Preis für den zweiten Platz im Wettbewerb – 300 Euro – spenden die vier übrigens der Schulbibliothek: Eine Aufforderung an alle, das eigene Sprachgefühl zu schulen beim Abtauchen in andere Welten statt unbedachte Beleidigungen ins Netz zu schleudern. Die im Rahmen des Wettbewerbs erschienenen und preisgekrönten Geschichten will die RUB in einem eigenen Band veröffentlichen. Nachzulesen ist die Geschichte der Gelsenkirchenerinnen auf der Homepage des Gauß-Gymnasiums unter gauss.ge.de/wp-content/