Mülheim. Naherholung, Geselligkeit und mehr: Die Naturfreunde waren einst eine beliebte Institution, heute bangen sie um die Zukunft. Eine Chronik.
Naturfreunde – das hört sich so gar nicht politisch an, ist es aber. Denn als sich vor 100 Jahren in Mülheim und Essen, aus den Reihen der Sozialdemokratie, die Naturfreunde gründeten, waren Umweltschutz und „sanfter Tourismus“ noch Fremdworte. Doch schon die erste Generation der Naturfreunde erkannte, dass die Solidarität unter den Menschen und mit der Natur zwei Seiten derselben Medaille sind. Das Logo der Naturfreunde, ein grünweißer Handschlag vor roten Alpenrosen, symbolisiert diese bis heute aktuelle Gründungsidee.
Als sich 1923, im Jahr der französischen Ruhrbesetzung und der Hyperinflation, die ersten Mülheimer und Essener Naturfreunde zusammenfanden, um gemeinsam in der Natur mit Sport und Kultur ihre Freizeit zu gestalten, war nicht nur Umweltschutz, sondern auch Urlaub ein Fremdwort. Die in gutbürgerlichen Kreisen übliche „Sommerfrische“ war für die Industriearbeiterschaft, die damals 65 Prozent der erwerbstätigen Stadtbevölkerung stellte, nicht von ihrer Welt. Für sie bestand ihre „Sommerfrische“ im besten Fall in den von den Naturfreunden organisierten Wanderungen, Kulturveranstaltungen und Geselligkeiten.
Mülheimer Naturfreunde organisierten verschiedene Veranstaltungen
Der kleine Mann, der in der Regel als Alleinverdiener den Unterhalt seiner Familie bestritt, verbrachte seine knapp bemessene Freizeit mit Frau und Kindern in der Regel vor der eigenen Haustür. Die Mülheimer Naturfreunde folgten vor 100 Jahren dem guten Beispiel österreichischer Sozialdemokraten. Sie hatten 1895 in Wien die erste Ortsgruppe der Naturfreunde ins Leben gerufen und ihre Idee ab 1905 auch in Deutschland populär gemacht.
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Erholung in der nahen Natur war auch 1929, zum Beginn der Weltwirtschaftskrisenjahre, vonnöten. Deshalb legten die Naturfreunde damals selbst Hand an und errichteten am Böllrodt in Raadt ihr im schönsten Grün an der Ruhr gelegene Ruhrtalhaus. Hier konnten die Mülheimer und Essener Naturfreunde, frei nach ihrem Motto: „Hand in Hand, gemeinsam über Berg und Land!“, die Natur genießen, Kultur erleben, Freizeit sportlich gestalten, miteinander diskutieren, sich weiterbilden und mit Freunden und Familie feiern. 1933 wurde das Ruhrtalhaus der Naturfreunde von der NSDAP beschlagnahmt und 1945 verwüstet zurückgelassen. 1949 konnten die Naturfreunde den Wiederaufbau des Hauses feiern, das in den 1960er und 1970er Jahren umgebaut und erweitert werden sollte.
Naturfreunde Mülheim betrieben „sanften Tourismus“
Denn die Naturfreunde, die heute bundesweit 400 Häuser im Grünen betreiben und allein in Nordrhein-Westfallen rund 4000 Mitglieder haben, verstehen sich als „gesellschaftspolitisch aktiver“ Verein für Freizeit und sanften Tourismus.
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Doch mit dem Ruhrtalhaus in Raadt sind auch die Mülheimer und Essener Naturfreunde in die Jahre gekommen. Die Ortsgruppe ist in den vergangenen 30 Jahren von 200 auf 80 Mitglieder geschrumpft. Nach dem Tod zwei besonders aktiver Vorstandsmitglieder hat die Ortsgruppe derzeit keinen handlungsfähigen Vorstand. Wolfgang Hendges, der auch stellvertretender Landesvorsitzender der Naturfreunde ist, hat provisorisch den Vorsitz der Ortsgruppe übernommen.
Zuletzt war das Ruhrtalhaus der Naturfreunde anlässlich eines Sommerfestes im August 2022 für die interessierte Öffentlichkeit geöffnet. Doch seitdem ist das Haus am Böllrodt wieder geschlossen. „Die Ortsgruppe hat das Haus inzwischen dem Landesverband überschrieben, der einen Topf für dringend notwendige Sanierungsarbeiten hat. Aber um das Haus wieder gewinnbringend betreiben und brandschutztechnisch auf den neuesten Stand zu bringen, müssten wir mindestens 200.000 bis 250.000 Euro investieren“, berichtet Hendges den Stand der Dinge.
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Mülheimer Naturfreunde setzen auf dringend benötigte Spenden
Er hofft er nicht nur auf dringend benötigte Spenden. Er weist auch auf Sondierungsgespräche hin, die die Naturfreunde aktuell mit möglichen Kooperationspartnern führen. So wird derzeit geprüft, ob man im Ruhrtalhaus künftig einen Waldkindergarten oder ein inklusives Jugendcafé mit inklusivem Beschäftigungsangebot betreiben könnte. Hendges macht deutlich: „Die Naturfreunde wollen ihr traditionsreiches Ruhrtalhaus erhalten.“
Doch steht für sie auch die Option im Raum, das Haus privat zu verpachten oder zu verkaufen. „Denn“, so Hendges, „wenn wir die notwendigen Sanierungsinvestitionen nicht finanzieren können, müssen wir das Haus verpachten oder verkaufen, ehe auch das nicht mehr möglich wäre, wenn das Haus nur geschlossen dasteht und immer weiter herunterkommt.“
Vorstandskollege Rüdiger Sagel wird noch konkreter: „Der Verkauf des Ruhrtalhauses wäre für uns nur die letzte Option.“ Denkbar seien dennoch mehrer Szenarien. „Entscheidend ist für uns, dass das Ruhrtalhaus seinen offenen Charakter behält und vielleicht auch einer sanften touristischen Nutzung zu geführt werden kann, mit der dann auch die Nachbarn gut leben könnten.“
Weitere Informationen und Kontakt zu den Naturfreunden ist auch online unter: www.naturfreunde-nrw.de möglich.