Mülheim. Die Sensibilität für blinde Menschen ist gewachsen: Interview zum 100-jährigen Bestehen des Blindenvereins in Mülheim. Was noch zu wünschen ist.
Seit 100 Jahren gibt es in Mülheim einen Verein, der sich für die Belange von blinden und sehbehinderten Menschen stark macht. Das nahm diese Redaktion zum Anlass, um mit der Vorsitzenden des Blinden- und Sehbehindertenvereins (BSV), Maria St. Mont, ein Gespräch über die Ziele ihres Vereins über ihr Leben als blinde Frau in Mülheim zu sprechen.
Was gefällt Ihnen in Mülheim?
Maria St. Mont: Das es hier sehende Menschen gibt, die Rücksicht auf blinde und sehbehinderte Menschen nehmen und sich in unserem Verein ehrenamtlich als Begleitpersonen engagieren und uns so zum Beispiel Ausflüge ermöglichen. Mir gefällt, dass es im Rathaus seit einigen Jahren eine deutlich gewachsene Sensibilität für die Bedürfnisse und Rechte blinder und sehbehinderter Menschen gibt. Unsere Stimme wird bei der Stadt und auch bei der Ruhrbahn gehört. Auch wenn es manchmal etwas dauert, werden viele Dinge, die wir anregen, wie zum Beispiel taktile Leitsysteme und Audio-Signalampeln, von der Stadt umgesetzt.
Was ärgert Sie, wenn Sie durch die Stadt gehen?
Jetzt doch- Mülheimer Narren sagen den Saalkarneval abRücksichtslose Menschen, die uns gefährden, indem sie zum Beispiel als Radfahrer an uns vorbeirasen, als Autofahrer Gehwege und taktile Leitsysteme zustellen, so dass wir – lebensgefährlich – auf die Fahrbahn ausweichen müssen. Ich ärgere mich aber auch über Geschäftsleute, die uns mit ihren Aufstellern und Auslagen in die Quere kommen. Ärgerlich machen mich auch E-Roller-Fahrer, die kaum hörbar an uns vorbeirasen oder ihre Roller auf Bürgersteigen und in Parks stehen oder liegen lassen. Erst kürzlich hat sich eine hochgradig sehbehinderte Frau in Mülheim schwer verletzt, weil sie über einen abgelegten E-Roller gestürzt ist.
Barrierefreiheit ist auch in Mülheim immer wieder ein Thema
Was steht auf Ihrem Wunschzettel?
Dass wir alle rücksichts- und respektvoller miteinander umgehen, in dem wir erst mal die Barrieren im Kopf abbauen, um sie dann auch mit Blick auf alle Behinderungen im alltäglichen Leben abzubauen. Ich wünsche mir eine Politik und eine Verwaltung, die konsequent die Arbeitsgemeinschaft der in der Behindertenarbeit tätigen Organisationen (AGB) in ihre Entscheidungsprozesse einbezieht und ihre Vorschläge aufgreift. Auch Firmen, die im Auftrag der Stadt Baumaßnahmen ausführen, müssten verstärkt in Sachen Barrierefreiheit geschult werden.
Weil wir als Blinde und Sehbehinderte kein Auto fahren können und deshalb auf Bus und Bahn angewiesen bin, wünsche ich mir einen attraktiven Öffentlichen Personennahverkehr, der mit kurzen Taktzeiten und guten Verbindungen in der Stadt eine echte Alternative zum motorisierten Individualverkehr bildet. Ich wünsche mir, dass ich mit meiner Blindenhündin „Chili“ wieder in aller Ruhe an der Ruhr spazieren gehen kann, ohne ständig Angst davor haben zu müssen, von einem Rad- oder eine E-Rollerfahrer angefahren zu werden.
Info und Kontakt zum BSV
Der 1921 von 20 Mülheimern mithilfe der örtlichen Augenheilanstalt gegründete Blinden- und Sehbehindertenverein (BSV) hat zurzeit 81 Mitglieder und sieben ehrenamtlich tätige sehende Begleitpersonen.Sehende Menschen, die im Rahmen ihrer zeitlichen Möglichkeiten blinden und stark sehbehinderten Menschen begleitend zur Seite stehen möchten, sind bei BSV ebenso willkommen, wie Ratsuchende, die sich für technische und finanzielle Hilfsmittel interessieren.Mehr Informationen über die Aktivitäten, Positionen und Angebote des BSV Mülheim finden Interessierte unter der Internetseite: www.bsv-muelheim.de sowie per Mail an mailto:info@bsv-mülheim.de
Und ich wünsche mir mehr Arbeitgeber, die bereit sind, blinde und sehbehinderte Menschen einzustellen und dabei auf die Hilfe des Integrationsamtes des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) zurückzugreifen, statt sich mit viel zu geringen Summen von der Einstellung behinderter Menschen freizukaufen. Obwohl es blinde und sehbehinderte Telefonisten, Physiotherapeuten, Musiker, Juristen und Lehrer gibt, ist es für Blinde und Sehbehinderte auf dem Arbeitsmarkt leider sehr schwierig.
Gute technische Hilfmittel machen den Alltag leichter
Was macht Ihren Alltag leichter?
Neben rücksichtsvollen und sehenden Menschen, die mir helfen und mich begleiten, gibt es auch sehr gute technische Hilfsmittel, wie etwa barrierefreie Internetseiten, deren Inhalt ich mir von meinem elektronischen Vorlesesystem am Computer oder am Smartphone vorlesen lassen kann. Auch meinen weißen Stock und meine dreijährige Blindenhündin „Chili“ möchte ich ebenso nicht missen wie zum Beispiel die von ehrenamtlichen Vorlesern im Tonstudio des Medienhauses aufgenommene Hörzeitung Echo Mülheim oder mein sprechendes Farberkennungsgerät.