Oberhausen. Den Übergriff eines 13-Jährigen auf seine Lehrerin stufen einige als Einzelfall ein. Doch die Zahl der Straftaten im Jahr zeigt ein anderes Bild.
Ein 13-jähriger Schüler greift Mitte Mai seine 38-jährige Lehrerin an – schnell sind Außenstehende dabei, die ganze Schule, an der der Übergriff stattgefunden hat, zu verurteilen: die Gesamtschule Osterfeld, die mit über 1400 Schülerinnen und Schülern größte Schule in Oberhausen ist. Dabei hat die Schulleitung hier konsequent gehandelt: Anzeige bei der Polizei – und der Schüler darf dort nicht mehr zum Unterricht gehen, muss die Schule wechseln.
Tatsächlich aber ist das Problem von Körperverletzungen, Beleidigungen, Drohungen, Mobbing an praktisch allen Oberhausener Schulen gegenwärtig. Das zeigt eine neue Auswertung der polizeilichen Kriminalstatistik des Oberhausener Polizeipräsidiums, die die Redaktion angefragt hat. Dieses Zahlenwerk wertet nicht die Anzeigen aus, sondern viel genauer die Ergebnisse nach den Ermittlungen, die dann der Staatsanwaltschaft Duisburg zugeleitet werden. Das sind die Fälle, die sich nach den Anzeigen und Ermittlungen als tatsächliche Straftaten entpuppten.
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Nach dieser Statistik schalteten Lehrer, Schüler oder Eltern die Polizei im Jahr 2020 bei immerhin 193 Straftaten in der Schule, auf dem Schulhof oder in der direkten Umgebung ein. Im zweiten Pandemiejahr 2021 waren es trotz des angeordneten Verbots von Präsenzunterricht sogar knapp 200 Fälle. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres kamen bereits 141 Straftaten zusammen. Zum Vergleich: Für die Gesamtschule Osterfeld ermittelte die Polizei nach intensiver und langwieriger Auswertung der tatsächlichen Anzeigen 27 Straftaten von Januar bis Mai 2022.
Den Wunsch der Redaktion, für jede weiterführende Oberhausener Schule eine Statistik über die Zahl der Anzeigen in den Jahren 2022, 2021 und 2020 zu erhalten, konnte die Polizei allerdings nicht erfüllen: Die Auswertung der Fälle müsste weitgehend händisch erfolgen, das sei viel zu zeitaufwendig, gab die Behörde an. Für die Gesamtschule Osterfeld habe man dies ausnahmsweise gemacht, weil es hier im Polizei-Interesse gelegen habe, mal genau zu ermitteln, wie groß das Problem von verbalen oder körperlichen Übergriffen an dieser Schule sei.
Oberhausener Lehrerinnen und Lehrer erleben Straftaten – auch als Opfer
Die meisten Straftaten sind Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und Diebstähle, die an Schulen vor Ort passieren. Dabei müssen die Vergehen an den Schulen nicht unbedingt etwas mit dem Verhalten von Schülern und Lehrern dieser Schule zu tun haben – man denke etwa an eine Einbruchsserie von Fremden an einer Schule, die auch als Straftaten an Schulen erfasst werden.
Lehrerinnen und Lehrer zählen nach der Oberhausener Polizeistatistik nicht häufig zu den Opfern von Straftaten, aber immer wieder. So wurden Lehrkräfte in diesem Jahr bereits vier Mal durch Straftaten geschädigt – entweder körperlich durch Angriffe, seelisch durch Beleidigungen oder Eigentum der Pädagoginnen wurde gestohlen. Acht Mal wurden Lehrer 2021 Opfer in der Schule, nur einmal im Jahre 2020.
Tatverdächtig sind in den meisten Fällen, die an Schulen passieren, Jugendliche oder Kinder. In 107 Fällen in diesem Jahr standen unter 18-Jährige für die Polizei auf der Liste der mutmaßlichen Täter. Nur in 18 Fällen wurden Erwachsene als mögliche Verursacher der Straftat gesehen.
Die Polizei Oberhausen weiß aus ihrer Erfahrung, dass ihr nicht die ganze Realität von Straftaten an Schulen bekanntwird. Sowohl die Schulleitungen als auch die einzelnen Lehrer handeln nach Beobachtung der Ordnungshüter höchst unterschiedlich bei ähnlich gelagerten Fällen: Die einen erstatten sofort Anzeige, die anderen verzichten auf die Einschaltung der Polizei, wollen das Problem rein pädagogisch lösen.
Polizei: Bei Gewaltausübung von Kindern und Jugendlichen Ordnungshüter einschalten
Ohnehin befürchtet man an vielen Schulen, dass solche Geschehnisse den Ruf der Schule beeinträchtigen, wenn sie öffentlich bekanntwerden – und man damit in Konkurrenz der Schulen zu neuen Schülern und frischen Lehrkräften schlecht abschneidet. Trotzdem rät Polizeisprecher Maik Podlech eindringlich: „Aus polizeilicher Sicht sollten Erziehungsberechtigte oder Lehrkräfte sofort eingreifen, wenn ein verändertes Verhalten in Richtung Gewaltausübung bei Kindern und Jugendlichen festgestellt wird. Dabei können die Polizei oder Fachleute aus Beratungsstellen zur Seite stehen.“