Oberhausen. Der Angriff auf eine Lehrerin an der Oberhausener Gesamtschule Osterfeld alarmiert die Politik. Eskaliert die Gewalt gegen Pädagoginnen?
Sie wurde mit dem Rücken gegen die Tafel geknallt, das Kleid wurde dabei zerrissen, die Lehrerin stand entblößt vor der Klasse – und das von einem Sechstklässler, der ihr auch noch an die Brust gefasst haben soll. Der schlimme Gewaltvorfall an der Oberhausener Gesamtschule Osterfeld empört natürlich nicht nur die Oberhausener Politik. Doch die Politiker sind diejenigen, die gesellschaftliche Folgen analysieren und Lösungsvorschläge erarbeiten können – und müssen. Wie kann man Schüler und Lehrer besser schützen? Hat die Gesamtschule Osterfeld mit ihren über 1400 Schülern ein besonderes Gewaltproblem?
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Fragt man Fraktionen im Rat der Stadt, dann loben diese die konsequente Reaktion der Schulleitung: Der Fall wurde zur Anzeige gebracht, der Schüler wurde der Schule verwiesen, geht nach den Sommerferien auf eine Förderschule. Die Aggressivität gegenüber Lehrern ist allerdings mittlerweile Alltag – das zeigt eine Studie des Lehrerverbandes VEB: Jede vierte Schulleitung von 1200 befragten Schulleiterinnen und Schulleitern berichtet von körperlichen Gewalttaten gegen Lehrkräfte innerhalb der vergangenen fünf Jahre an ihrer Schule – das Phänomen zeigt sich auch schon an Grundschulen. Direkt beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurden zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer – an der Hälfte der befragten NRW-Schulen gab es solche Vorfälle.
Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer ist ein wachsendes Problem
„Das ist ein wachsendes Problem, die Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer steigt“, berichtet das Oberhausener Schulausschuss-Mitglied Angelika Glauch (Linke). Die Vertreterin der Lehrergewerkschaft NRW-GEW erfährt immer wieder, wie sehr diese Fälle die Bezirksregierung Düsseldorf beschäftigen. „Die Hemmschwellen sind gesunken – wohl auch durch Soziale Medien und die Zeit der Isolation in der Pandemie.“
Aus eigener Erfahrung aus seiner Zeit als Schüler weiß Max Baum, Vorsitzender der Oberhausener Jungliberalen: „Es geht schon an den Grundschulen los, der Respekt gegenüber Lehrerinnen und Lehrern ist geringer geworden. Gerade junge Lehrer und vor allem Lehrerinnen erleben das, sie werden öfter beleidigt.“ Es gebe mehr Schüler als früher, die Probleme mit Autoritäten haben. „Wer sehr kumpelig und auf Augenhöhe auftritt, läuft eher Gefahr, beleidigt zu werden, als Lehrer, vor denen Schüler Angst haben. Aber Letzteres ist ja kein gutes pädagogisches Konzept.“ Vielmehr müsse man Fehlverhalten hart und konsequent ahnden.
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In der Praxis geschieht dies auch – wie man in Osterfeld sieht. Grünen-Ratsherr Norbert Axt, früherer Lehrer am Gymnasium Duisburg-Marxloh: „Wenn ein Schüler so aggressiv auftritt, dann kann er nicht mehr auf der Schule bleiben. Da gibt es Absprachen der Schulen vor Ort untereinander.“
Schuldezernent: Absoluter Einzelfall an der Gesamtschule Osterfeld
Der Oberhausener Schuldezernent Jürgen Schmidt versichert, dass es sich bei dieser Gewalttat gegen die Lehrerin um einen absoluten Einzelfall an der Gesamtschule Osterfeld handelt. „Dieser Schüler kam an der größten Schule in unserer Stadt mit großen Klassen nicht zurecht; er ist besser in enger Betreuung in kleinen Klassen an einer Förderschule aufgehoben.“
Der Sozialdemokrat befürchtet einen Imageschaden für die Gesamtschule Osterfeld, der äußerst ungerecht sei. „Die Gesamtschule hat kein grundsätzliches Gewaltproblem, sondern bringt viele Schülerinnen und Schüler erfolgreich zu guten Abschlüssen.“ Und das trotz einer herausfordernden und heterogenen Schülerschaft. Für Oberhausen ist die Gesamtschule Osterfeld extrem wichtig, da sie viele Klassenzüge hat, um Schüler unterzubringen: Ukrainer oder von Gymnasien abgeschulte Schüler.
SPD: Wir erleben Enthemmungen
Dass Probleme benannt werden müssen, um Lösungen zu erreichen, findet SPD-Ratsfraktionschefin Sonja Bongers. „Wir erleben Enthemmungen. Angriffe und Respektlosigkeiten gegenüber Lehrkräften dürfen nicht totgeschwiegen werden. Wir müssen noch stärker sehr früh anfangen, mit Schülern zu arbeiten, wie man Konflikte löst, wie unsere Demokratie funktioniert.“
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Was kann man sonst noch tun? Linken-Fraktionsmitarbeiter Henning von Stoltzenberg will die bisherigen Hilfen für die Gesamtschule überprüfen lassen, ob diese ausreichen. „Wir benötigen eine bessere Betreuung, kleinere Klassen, mehr Personal, mehr Platz.“ Insgesamt müsse die Lebenswirklichkeit armer Familien verbessert werden; soziale Not sorge oft für mehr Konflikte.
Und die Stadt? Sie will nach den Sommerferien Akteure im Stadtbezirk Osterfeld mit den Schulfachleuten stärker verzahnen – durch einen runden Tisch. Dies sei aber schon vorher geplant gewesen, so Schmidt.