Mülheim. Sie ritten nur einen Sommer: Vor 50 Jahren waren die Mülheimer Karl-May-Festspiele in der Freilichtbühne ein Publikumserfolg. Eine Rückschau.
Elspe und Bad Segeberg. Diese beiden Namen sind mit den Karl-May-Festspielen verbunden. Doch vor 50 Jahren, vom 25. Juni bis zum 31. Juli 1971, ritten Winnetou, Old Shatterhand und Co. durch die Freilichtbühne an der Dimbeck.
Damals konnte die Stadt noch aus dem Vollen schöpfen, um nicht nur Mülheimer Karl-May-Fans einen Ausflug in den Wilden Westen zu ermöglichen. 40.000 Menschen, zwei Drittel davon Mülheimer, sahen 37 Mal „Das Geheimnis der Bonanza.“
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Schlagzeile in der Zeitung: „Indianer holten Blutsbruder am Düsseldorfer Flughafen ab“
Je nach Sitzplatz war man als kleiner Winnetou-Fan für vier oder fünf Mark und als großer Karl-May-Fan für sechs oder acht Mark mit von der abenteuerlichen Partie. 20.000 Programmhefte, 14.000 Einladungskarten, 6000 Plakate und 100 lokale Hinweisschilder wiesen den Karl-May-Fans den Weg in den Wilden Westen an der Dimbeck.
Am Tag des ersten Karl-May-Spiels titelte diese Zeitung: „Indianer holten Blutsbruder am Düsseldorfer Flughafen ab.“ Denn die Veranstalter hatten Film-Winnetou Pierre Brice als Ehrengast zur Premiere eingeladen. Sein Mülheim-Besuch begann mit einer Autogrammstunde im Kaufhof.
Der Mülheimer Peter Michael Schüttler war als 17-Jähriger Statist bei den Festspielen
50 Darsteller, einer von ihnen ein echter Indianer (Silkirtis Nichols vom Stamm der Cherokesen) und 50 Backstage-Mitarbeiter ließen in der Freilichtbühne mit ihren Felsen ein Stück vom Wilden Westen lebendig werden.
„Wir mussten, mal als Apachen und mal als Komantschen, die Felswand hoch und runter kraxeln oder in bestimmten Szenen dort einfach stehen bleiben“, erinnert sich der damals 17-jährige Peter Michael Schüttler. Er war einer von 40 jungen Statisten, die für ihren theatralischen Einsatz zwölf Mark pro Stunde bekamen. Das läpperte sich. Denn während der ersten und einzigen Mülheimer Karl-May-Festspiele mussten Statisten und Darsteller jeweils zwischen 14 und 22 Uhr proben und spielen.
Für die Proben: „Manchmal habe ich die letzte Schulstunde blau gemacht“
„Manchmal habe ich die letzte Schulstunde blau gemacht, damit ich pünktlich zu den Proben kam“, erinnert sich der heute in der Regler-Produktion für die Freilichtbühne aktive Peter Michael Schüttler. Das Geld, das er als Indianer im Wilden Westen an der Dimbeck verdient hatte, investierte er wenig später in seinen Führerschein.
Die Karl-May-Darsteller Heinz Ingo Hilgers (Winnetou) und Manfred Petersen (Old Shatterhand) ritten nicht nur durch die Freilichtbühne. Auch auf der Schloßstraße und in den Ruhranlagen ließen sie sich werbewirksam sehen. Der Menschenauflauf war programmiert.
Winnetou und Old Shatterhand ritten durch Mülheims Ruhranlagen
„Ich erinnere mich daran, dass damals in den Ruhranlagen eine Zillertalbahn mit Dampflok fuhr. Und eines Tages, wir wohnten gleich in der Nähe an der Friedrichstraße, kamen auch Winnetou und Old Shatterhand vorbei. Und Winnetou gab mir sogar ein Autogramm“, erinnert sich der Architekt Stefan Frank.
Natürlich schauten seine Eltern und der damals sechsjährige Stefan auch das „Geheimnis der Bonanza“ in der Freilichtbühne an. „Ich habe später als Kinder auch viele Karl-May-Bücher gelesen. Die Geschichten rund um Abenteuer, Pferde, Brüderlichkeit, Ruhm und Ehre fand ich als Junge einfach spannend“, berichtet Frank.
Und später ritt das Pferd auch mal alleine durch Mülheim – unfreiwillig
„Ich war damals 11 Jahre alt und habe mit meiner Schwester und meiner Mutter eine Aufführung in der Freilichtbühne besucht. Zuvor hatte ich schon miterlebt, wie die Darsteller über die Schlossstraße geritten waren und mit dem damaligen Oberbürgermeister Heinz Hager eine Friedenspfeife geraucht hatten. Von der Aufführung ist mir vor allem in Erinnerung geblieben, wie aufsehenerregend die Reit- und Kampfszenen waren. Ich erinnere mich, wie Indianer plötzlich von der Felswand der Freilichtbühne gefallen sind“, berichtet der Vorsitzende der Regler-Produktion Hans-Uwe Koch.
Seinem Mitstreiter in Sachen Freilichtbühne, Peter Michael Schüttler fällt noch ein: „Eines Tages ist ein Pferd, das an der Freilichtbühne angebunden war, entlaufen und erst am Bismarckturm von einem Anwohner eingefangen und zurückgebracht worden.“
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Die Aufmerksamkeit war maximal – die Einnahmen eher nicht
Die Werbewirkung der Mülheimer Karl-May-Festspiele war enorm. Hörfunk und Presse berichteten bundesweit. Doch nach der letzten Aufführung zogen die Hamburger Veranstalter Hans-Werner Funcke und Wilfried Achterfeld ein finanziell fatales Resümee. Sie hatten 220.000 Mark investiert und standen nach dem letzten Karl-May-Spiel in der Freilichtbühne mit 60.000 Mark in der Kreide.
Obwohl der Wunsch nach einer Fortsetzung der Mülheimer Karl-May-Festspiele in der Bürgerschaft weit verbreitet war, „Mülheimer hoffen: Winnetou kommt bald wieder“ titelte die Lokalpresse am 31. Juli 1971, wurde Mülheim kein zweites Elspe oder Bad Segeberg. Denn die Hamburger Veranstalter wollten sich nur dann auf eine Wiederauflage der Mülheimer Karl-May-Festspiele einlassen, wenn die Stadt eine Ausfallbürgschaft übernehme.
„Wassergott besiegte Winnetou“, titelte die Mülheimer Presse
Von einer Summe zwischen 100.000 und 250.000 Mark war die Rede. Doch dazu waren Oberbürgermeister Heinz Hager, Oberstadtdirektor Heinz Heiderhoff und der Rat der Stadt nicht bereit. Auch eine in der Folge diskutierte Überdachung der Freilichtbühne, die vor den Karl-May-Festspielen vom Sommer 1971 über Jahre brach gelegen hatte, kam aus finanziellen Gründen nicht zustande.
Hätte die Freilichtbühne 1971 ein Dach gehabt, hätte die Premiere der Karl-May-Festspiele nicht Regen bedingt abgebrochen und insgesamt drei Aufführungen aus dem gleichen Grund abgesagt werden müssen. So aber hatte die Lokalpresse nach der ersten Aufführung getitelt: „Wassergott besiegte Winnetou!“