Gelsenkirchen-Buer. Warum zwei Gelsenkirchener Falkner mit ihren Vögeln etwa depressive Patienten der Kinderklinik besuchen. Und was die Nähe zu den Tieren bewirkt.

Nein, sie überbrachte keine Briefe aus Harry Potters Hogwarts-Welt; auch einen magischen Rennbesen hatte sie nicht im Gepäck. Trotzdem faszinierte Waldohreule Woody in der Kinder- und Jugendklinik genauso wie ihre berühmte schneeweiße Fantasy-Verwandte Hedwig. Auf die mitunter depressiven, ängstlichen Patientinnen und Patienten der Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie wirkte der Vogel von „Eulenbann und Federspiel“, als hätte er tatsächlich Zauberkräfte.

Dabei gab’s erstmal ein paar Warnungen für die 16 Mädchen und Jungen im Alter zwischen fünf und 18 Jahren, die sich da im Gruppenraum nahe des Gartens eingefunden hatten: „Das sind keine Kuscheltiere“, schärfte ihnen Falkner Michael Kasperski ein, der mit der Wald- und Wildnispädagogin Claudia Walter aus Horst angereist war, um ihnen das Abenteuer Falknerei näherzubringen – und im Umgang mit den eigenen Ängsten zu helfen.

Gelsenkirchener Falkner mahnt Kinder und Jugendliche zu Respekt und Vorsicht

Falken wie Kyra sind Bisstöter: Mit ihrem charakteristisch gebogenen Schnabel beißen sie ihre Beute tot. Der Umgang mit ihnen erfordert daher viel Wissen – und gegenseitiges Vertrauen.
Falken wie Kyra sind Bisstöter: Mit ihrem charakteristisch gebogenen Schnabel beißen sie ihre Beute tot. Der Umgang mit ihnen erfordert daher viel Wissen – und gegenseitiges Vertrauen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„So ein Sakerfalke wie unsere Kyra schießt in freier Wildbahn von hinten auf ein Kaninchen zu und beißt ihm den Hals durch“, mahnte Kasperski und zeigte auf den typischen gebogenen Schnabel eines Falken, zunächst noch auf einem Foto. „Bevor wir Menschen sehen, dass so ein Tier nach uns schlägt, tut es schon weh. Da haben wir mit unserer vergleichsweise verzögerten Reaktionsfähigkeit keine Chance.“

Was angesichts seines jungen Publikums etwa mit Bindungs- oder Angststörungen, ADHS oder Depressionen auf den ersten Blick kontraproduktiv scheint, ist nicht nur für den umsichtigen Fachmann grundlegendes Handwerkszeug beim Kontakt mit den Greifvögeln und Eulen: Respekt und Vorsicht können Finger retten.

Kleine Patientin der Gelsenkirchener Tagesklinik fürchtet sich vor Plüsch-Vogel

Waldohreule Woody wiegt nur rund 250 Gramm. Trotzdem wurde einem kleinen Patienten der Arm schwer, als er das Tier über eine Viertelstunde auf der mit Leder geschützten Hand trug.
Waldohreule Woody wiegt nur rund 250 Gramm. Trotzdem wurde einem kleinen Patienten der Arm schwer, als er das Tier über eine Viertelstunde auf der mit Leder geschützten Hand trug. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Angst hingegen spüren sie. Solche Gefühle können sie in den Augen lesen und an Stirnrunzeln und Stimme erkennen. Und wenn der Mensch sich nicht traut, traut sich der Vogel auch nicht“, ermutigte Kasperski, ihnen mit der richtigen Körpersprache entgegenzutreten. Schließlich stand ihnen das Falkner-Duo unmittelbar zur Seite und beobachtete jede Regung der Tiere, um Anzeichen für Stress auszumachen.

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Als Claudia Walter dann einem Mädchen auf Nachfrage einen Lederhandschuh überstülpte, wie Falkner sie zum Schutz vor den Krallen tragen, und dort einen Plüschvogel platzierte, wurde die kleine Patientin nach wenigen Minuten erst unruhig, dann fast panisch. „Ich habe Angst“, rief sie und atmete erst auf, nachdem die Falknerin ihr das Stofftier abgenommen hatte.

Bewunderung, Faszination und Grusel bei kleinen Gelsenkirchener Patienten

Dann wurde es still: Mit Turmfalke Bella durfte ein echtes Tier seine schwarze Transportbox verlassen. „Voll schön!“, entschlüpfte es einem Mädchen – bis der Vogel auf dem behandschuhten Arm der Falknerin „Kaka machte“, wie es ein Kind grinsend auf den Punkt brachte. Claudia Walter lachte und korrigierte sanft: „Wir nennen das Schmelz, eine Mischung aus Urin und Kot, den die Tiere immer abgeben, wenn sie aus der Box kommen; denn die wollen sie nicht beschmutzen.“

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Auch Wüstenbussard Jesse schlug die Kinder und Jugendlichen in seinen Bann, als er Flügel schlagend seine Spannweite von 1,50 Meter andeutete. Die Mischung aus Faszination und leichtem Grusel, sie stand ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben.

Überwindung der Ängste hilft, Selbstwertgefühl aufzubauen

Und genau darauf kommt es sowohl den Falknern als auch den Ärzten an. „Es geht darum, mit den Tieren in Interaktion zu treten und sich selbst dabei zurückzunehmen. Dabei trainieren wir auch, Ängste zu bewältigen“, erläuterte Dr. Marion Kolb, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie / Psychotherapie sowie Leiterin der Abteilung in der Tagesklinik.

Zwar ist die Begegnung mit den Greifen und Eulen nicht elementarer Teil des Therapie-Konzepts, sondern ein etwa einmal im Jahr vom Förderverein der Kinderklinik finanziertes Angebot. Das Ziel allerdings, Achtsamkeit zu üben, Selbstwertgefühl und Verantwortungsbewusstsein zu steigern, ist auch den Verantwortlichen der Tagesklinik ein Anliegen.

Dickes Lob von der Falknerin für elfjährigen Luis

Nach der Theorie ging’s dann gruppenweise raus: Tuch-, Verzeihung, Federfühlung aufnehmen mit Waldohreule Woody, Turmfalke Bella, Wüstenbussard Jesse und Sakerfalke Kyra. Einer, der sich sofort freiwillig meldete, war Luis (11): „Fühlt sich cool an“, meinte er, als er das 250-Gramm-Leichtgewicht Woody auf dem behandschuhten Unterarm präsentierte.

Angst, nein, die hatte er nicht. Nur der Arm wurde nach ein paar Minuten schwer, wie er zugab. Selbst als die Eule mit den Flügeln schlug, geriet er nicht in Panik. „Ich hab das schon kommen sehen“, teilte er fast schon routiniert mit. Kein Wunder, dass Falknerin Walter ihn lobte: „Du machst das total super. Woody fühlt sich richtig wohl bei Dir!“

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Dieses Kompliment auch Kindern machen zu können, die anfangs noch panische Angst vor den Greifvögeln hatten, bedeutet ihr besonders viel. „Es ist ein tolles Gefühl, wenn sich jemand doch noch überwindet, etwa unseren Wüstenbussard auf die Hand zu nehmen und dann über sich hinauswächst. Die Kinder und Jugendlichen sind dann unglaublich stolz auf sich. Und das ist den ganzen Aufwand wert!“

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