Gelsenkirchen-Buer. Im Jahr 1852 legt die Gründung der „Groka“ in Buer den Grundstein für das jecke Treiben. Das ist die Geschichte des Gelsenkirchener Karnevals.

Buer ist eine Karnevalshochburg, die sich mit jenen am Rhein messen kann. Diese Aussage scheint heute vielleicht etwas verwegen, vielleicht sogar jeck. Einstmals aber gilt es umso mehr. So schreibt 1939 die „National Zeitung“, dass sich Buer als „Mittelpunkt westfälischen Frohsinns“ bezeichnen könne. Kein Wunder. Schon damals nämlich hat das närrische Treiben am Ort eine lange Tradition.

Bereits im Jahr 1852 wird in der Freiheit Buer eine Karnevalsgesellschaft registriert, die „Große Carnevals-Gesellschaft zu Buer“, kurz „Groka“. Nur wenig später finden erste „Maskenumzüge“ statt. „Anschließend gab es einen Festball“, weiß Hans-Georg Schweinsberg vom Festkomitee Gelsenkirchener Karneval, der sich der Aufarbeitung der närrischen Historie verschrieben hat. „Es war wohl eine regelrechte Galasitzung“, verweist er auf einen Zeitungsartikel aus seinem Archiv. Dort sei von „theatralischen Vorstellungen und Musik vom 56. Infanterieregiment“ die Rede.

„Ganz Buer macht voll und ganz mit“, schreibt die „Buersche Zeitung“ im Vorbericht zum Umzug 1939.
„Ganz Buer macht voll und ganz mit“, schreibt die „Buersche Zeitung“ im Vorbericht zum Umzug 1939. © Unbekannt | Stadtarchiv Gelsenkirchen

„Taugetrockene“ beleben den Karneval in Gelsenkirchen-Buer neu

Fortan etabliert sich der Karneval in Buer. So viel sei bekannt. Doch die Quellen seien spärlich. Zumindest bis zum Ersten Weltkrieg, der jeglichem Frohsinn zunächst ein jähes Ende bereitet. Danach jedoch erlebt das jecke Treiben eine echte Renaissance. Denn die Narretei wird auch durch zugewanderte Neu-Bueraner beflügelt. „Vor allem durch zugezogene Rheinländer.“ Sie erwecken, gemeinsam mit buerschen Pohlbürgern, als „Taugetrockene“ („Zugezogene“) die „Groka“ zu neuem Leben.

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Ende der 1930er Jahre findet der Karneval in Buer zu seiner bisherigen Bestform. Nach rheinischem Vorbild werden große Umzüge auf die Beine gestellt. Allerdings am „Rosensonntag“. Aus Rücksicht auf den Bergbau, der am Montag alle seine Arbeitskräfte braucht. Die „Parade westfälischer Karnevalsfreude“, wie die „National-Zeitung“ es beschreibt, kann sich sehen lassen. Neben dreißig Wagen sind ebenso viele Fußgruppen auf der Strecke, dazu Kapellen. Sie ziehen, ausgehend von der Lindenstraße, über die kleinen Straßen der Innenstadt zum Rathaus, wo ein großer Rathaussturm stattfindet. Danach geht es weiter durch Buer, über die Hagenstraße zur Kirche St. Urbanus, die Hochstraße entlang, wo der Zug zur ausgelassenen Party wird, und Stunden später wieder zurück zum Ausgangspunkt.

Für Karnevalsmuffel ist in Buer kein Platz

Besonders beachtlich: Weil der buersche Karneval ein Aushängeschild der Stadt Gelsenkirchen ist, kommt es elf Jahre nach der Gemeindereform zu einer beachtlichen Geste. So „habe Gelsenkirchen Buer das Recht eingeräumt, für diese drei Tage den Titel ,Buer i. W., d. h. Buer in Wonne‘ führen zu dürfen“, berichtet die „National-Zeitung“ am Montag, 20. Februar.

Ende der 30er-Jahre ist für Karnevalsmuffel keinen Platz: Die „letzten Meckerer“ von Buer sorgen für Überraschungen.
Ende der 30er-Jahre ist für Karnevalsmuffel keinen Platz: Die „letzten Meckerer“ von Buer sorgen für Überraschungen. © Unbekannt | Stadtarchiv Gelsenkirchen

Auch vom Umzug selbst ist das Blatt begeistert: Er habe „Überraschungen auf Überraschungen“ geboten. Gelobt werden nicht nur die Wagen und die Fußgruppen, auch die frohen Bilder, die mitziehen, von den „letzten Meckerer von Buer“ bis hin zum „Großreinemachen in Buer“. Für Karnevalsmuffel ist da kein Platz. Darauf weist schon die „Buersche Zeitung“ im Vorbericht am Samstag, 19. Februar 1939, hin: „Noch einmal ergeht die Mahnung an die Bueraner, durch Luftschlangen und Papierschmuck die Straßen auszuschmücken, damit auswärtige Gäste sofort den Eindruck gewinnen: Ganz Buer macht voll und ganz mit.“

Karneval in Buer: Die Herren mit Hut, die Damen mit Hütchen

Nach dem Zweiten Weltkrieg dauert es einige Jahre, bis den Jecken in der Stadt wieder zum Feiern zumute ist. Doch in den ausgehenden 1940er-Jahren gründen sich neue Gesellschaften, die dann auch kräftig feiern. „Ich kann mich erinnern, als ich ein kleiner Junge war, sind meine Eltern mit mir in die Stadt gefahren, da fand am Rosenmontag auf dem Platz vor der Sparkasse die Schlüsselübergabe statt. Der Platz war schwarz vor Menschen – aber alle Männer kamen im Mantel mit Hut und die Damen im Mantel mit Hütchen. Das hat sich, im Vergleich zu heute, sehr verändert.“

Jeckes Treiben 1939
Jeckes Treiben 1939 © Unbekannt | Stadtarchiv Gelsenkirchen

Erst 1970 findet wieder ein großer Umzug statt, der sogleich über 100.000 Jecken anzieht und begeistert. Zumal es in den kommenden Jahren echte Sensationen zu erleben gibt. „In den 1970er- und 80er-Jahren waren immer wieder Tiere mit dabei. Graf Egon hatte mal einen Wagen, da war ein Löwe im Käfig aus seinem Löwenpark drauf. Und der Ruhrzoo war mit dabei, lief zum Beispiel einmal mit Kamelen mit.“ Und auch die Reiterstaffel der Polizei sei stets mit dabei gewesen, erinnert sich Hans-Georg Schweinsberg.

Der Traum: Eine jecke Schaltzentrale des Gelsenkirchener Karnevals

Ob der Umzug in diesen Jahren auch mal politisch gewesen sei? „Das gab es in den 70er-Jahren. Ich habe zum Beispiel Bilder von sogenannten Schwellköpfen von Politikern. Der Bund-Ruhr-Karneval hat damals entsprechende Kurse angeboten für die Wagenbauer.“ Solche auch künftig einmal wieder einzubinden in den Rosenmontagszug, das sei zwar durchaus wünschenswert, aber logistisch schwierig. Heute sei es ja schon ein Problem, für jeden Verein einen Ort für den Wagenbau zu finden. So ist eine Art „Schaltzentrale des Gelsenkirchener Karnevals“ ein Wunsch für die Zukunft. Ein Ort mit ausreichend Platz für die ganzjährige Brauchtumspflege, für ein Karnevalsmuseum, für die Wagenbauer. Damit die jecke Tradition in Gelsenkirchen eine gute Zukunft hat.

Festkomitee Gelsenkirchen: Zugführer Robert Kemski ist seit zehn Jahren im Amt

So viel zur Zukunft und Vergangenheit. Und die Gegenwart? Vor zehn Jahren übernimmt Robert Kemski die Aufgabe des Zugführers des Festkomitees Gelsenkirchener Karneval. Wie sich bald zeigt, liegen hier Jubel und Trauer nah beieinander. Von neun möglichen Umzügen unter seiner Leitung finden nur sechs überhaupt statt. Einer fällt einem Sturm zum Opfer, die letzten zwei können coronabedingt nicht starten. Für den Vollblut-Jecken ist das eine herbe Enttäuschung.

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Zum Karnevalisten ist er erst durch den Umzug 1993 nach Erle geworden. „Ich komme gebürtig aus Heßler. Da hatten wir mit Karneval nichts zu tun.“ In Erle aber werde man schnell mit dem närrischen Virus infiziert. „2000 bin ich bei den Erler Funken eingetreten, wurde Wagenbauer, kam in den Elferrat, habe Vorstandsarbeit gemacht. 2012 wurde ich dann als Zugführer vorgeschlagen.“

Absage nach Absage: Gelsenkirchener Zugführer ist zur Untätigkeit gezwungen

Was der so macht? „Er kümmert sich darum, dass der Zug auf die Straße kommt. Das beginnt mit dem Erstellen des Sicherheitskonzeptes in Zusammenarbeit mit dem Präsidenten des Festkomitees, dem Bestellen der Toilette, dem Aufbau der Tribüne.“

In Erle mit dem närrischen Virus infiziert: Wagenbauer Robert Kemski im Jahr 2016.
In Erle mit dem närrischen Virus infiziert: Wagenbauer Robert Kemski im Jahr 2016. © FUNKE Foto Services | Joachim Kleine-B ning

Der Rosenmontag beginne recht früh. Ab 7 Uhr morgens sei er in Rufbereitschaft. Dann gelte es, an den richtigen Orten die Toiletten aufzustellen und die Sperrung der Seitenstraßen vorzubereiten. Um 13 Uhr wird auf der Willy-Brandt-Straße die Aufstellung des Zuges betreut. Jener setzt sich gegen 14.30 Uhr in Bewegung. „Eine Zeitvorgabe haben wird nicht. Der Zug sollte einfach nicht zu schnell und nicht zu langsam sein.“

Das Tollste am Job: Robert Kemski ist auf dem ersten Wagen mit dabei. Umso schmerzlicher, dass er einmal mehr zur Untätigkeit gezwungen ist. „Was will man machen? Die Sicherheit geht immer vor.“ Ob er davon ausgeht, seine Aufgabe im nächsten Jahr wieder ausüben zu können? „Wir haben keine Glaskugel.“