Mülheim. Ein besonderes Werk von Hannah Höch, Grande Dame des Dadaismus, hängt nun im Kunstmuseum Mülheim. Was ihr Großneffe über die Künstlerin erzählt.
Mit der Schenkung der in Spritztechnik ausgeführten Zeichnung ‘Abgesplittert‘ (1957) kann das Kunstmuseum Mülheim jetzt mit gleich drei Werken der umtriebigen Künstlerin Hannah Höch (1889-1978) auftrumpfen. Höch wies Etiketten Feministin von sich, lebte aber längst ihre Freiheit als Frau aus, erzählte ihr Großneffe in Mülheim.
Der Förderkreis legte mit seinen beiden bisherigen Ankäufen 2013 und 2015 quasi den Grundstock für diese großzügige Schenkung, führt Museumsleiterin Dr. Beate Reese aus. Zusammen mit der großen Hannah-Höch-Ausstellung und dem Symposium im Jahre 2016 hätte das Museum so sein Engagement unter Beweis gestellt, sich auch herausragenden Künstlerinnen der klassischen Moderne zu widmen. Die Zeichnung sei eine „absolute Bereicherung“, versichern Reese und Dr. Carsten Küpper, 1. Vorsitzender des Förderkreises, der sich „überglücklich“ über diese Schenkung zeigte.
Künstlerin Höch bediente sich unterschiedlichsten Stilen
Reese würdigte Höch als Künstlerin mit vielschichtigem Werk, was Mülheims drei Kunstwerke auch belegten: Das Ölgemälde „Die schönen Reusen“ (1932) zeigt Höchs Hinwendung zum Abstrakten sowie ihre Faszination des Weltraums. Elemente, die auch in der 1949 entstandenen Fotomontage „Erinnerungen an Volterra“ erkennbar sind. „Abgesplittert“ (1957) zeigt, dass Höch selbst im Alter von 68 Jahren noch immer darauf aus war, sich in den unterschiedlichsten Stilen zu tummeln.
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Collage-Technik sei erkennbar, erklärt die Kunsthistorikerin und Kuratorin der Höch-Ausstellung 2016, Dr. Karoline Hille, schließlich seien Schablonen erst ausgeschnitten und hinzugefügt, später wieder weggenommen worden. Die Spritztechnik sei mit Tusche und Sieb erfolgt, Deckweiß wurde bei den unvollständigen Kreisen aufgetragen. „Ornamente seien ins Abstrakte gekehrt, eine Fassade oder Regal“, wirft Reese fragend ein, „definitiv Geometrie“. Eine gewisse Dreidimensionalität sei dadurch entstanden, die erneut an Kosmos und Weltraum erinnere, bringen Reese und Hille zum Ausdruck. „Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt“, sagt Hille zum Abschluss der Bildbetrachtung. „Entgrenzt quasi.“
Nicht ganz Dada, teilweise Surrealismus, teilweise Neue Sachlichkeit
„Nicht ganz Dada, teilweise Surrealismus, teilweise Neue Sachlichkeit“, führt Reese aus, all das belege Höchs Pluralismus. „Das war ihre persönliche Handschrift.“ Höchs Großneffe und Nachlassverwalter, der Rechtsanwalt Helmut Rössner ergänzt: „Kalkuliertes Vagabundentum.“
Dabei wies Höch Etiketten wie Dadaistin oder Feministin stets von sich, sie fühlte sich damit eingeengt, erläutert Helmut Rössner. Seiner Meinung nach nahm sie sich ihre Freiheiten, lebte sie längst ihre Freiheit als Frau aus.
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Rössner bestätigt Reeses Eindruck von einer „resoluten, aber publikumsscheuen Künstlerin“, auch ihm sind viele gegensätzliche Wesensarten seiner Großtante gegenwärtig, scheu sei sie gewesen, dann aber auch offenherzig, dickköpfig und liebevoll. Nähe und Distanz, Protest und Toleranz, all das sei seiner Großtante eigen gewesen.
„Damen ohne Herrengesellschaft ist das Rauchen hier nicht gestattet!“
Auf künstlerischen Erfolg musste Höch lange Zeit warten: Erst Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre zahlte ihr die Berlinische Galerie 100.000 DM für einige Werke. Bis dahin verkaufte sie Blumensträuße aus dem eigenen Garten oder ’bezahlte‘ mit einem kleinen Blumenbild in einer Gaststätte ihre Zeche.
Apropos Gaststätte: Bei einer Zugreise wollte sich Höch bei einem Zwischenaufenthalt in Frankfurt am Main in ein Café setzen, doch die Bedienung wies sie ab: „Damen ohne Herrengesellschaft ist das Rauchen hier nicht gestattet!“, zitiert Rössner aus Höchs Aufzeichnungen. „O du gräuliches Vaterland!“, notierte Höch trefflich.
Erfinderin der Collage
Hannah Höch gilt als Erfinderin der Collage, war die einzige Frau der Berliner Dada-Bewegung, schrieb damit nicht nur Kunstgeschichte, sondern erhielt – wie ihre männlichen Kollegen auch – von den Nationalsozialisten das Etikett „entartete Kunst“.
Die Kunstwerke der mit ihr befreundeten und emigrierten Künstler versteckte Höch in ihrem Garten in Berlin Heiligensee, eigentlich eine Datscha, und gab sie später zurück. Darunter auch Zeichnungen des Mülheimer Werner Graeff, den sie aus den 1920er Jahren kannte. Höchs „Herzliche Glückwünsche“ zur Vermählung Graeffs mit der Künstlerin Ursula Hirsch gehört übrigens auch zum Bestand des Mülheimer Kunstmuseums, wie Reese stolz erklärt.