Oberhausen. Petra Jochheim, Kämpferin für die Rechte der Frauen im Rotlichtmilieu, legt ihre Arbeit nieder. Sie macht der Stadt Oberhausen große Vorwürfe.

Sechseinhalb Jahre lang hat Petra Jochheim die Oberhausener Beratungsstelle von Solwodi (Solidarity with Women in Distress, Solidarität mit Frauen in Not) geleitet. Als Streetworkerin war sie unermüdlich an der Flaßhofstraße unterwegs, half den Frauen dort in sozialen, psychischen und medizinischen Nöten. Immer wieder rückte sie dabei die Schicksale zwangsprostituierter Mädchen ins Licht der Öffentlichkeit. Sie konfrontierte die Stadt und auch die Polizei mit den Zuständen, die in dem Gewerbe herrschen, das sie selbst stets als Menschenhandel bezeichnet. Ende April ist Schluss damit. „Ich will kein Alibi mehr sein“, sagt sie zur kurzfristigen Kündigung ihres Honorarvertrages. Von der Stadt Oberhausen habe sie stets viel zu wenig Unterstützung erfahren, sagt die Sozialarbeiterin, die im Hauptberuf als Rechtsanwältin in Essen arbeitet. „Ich bin sehr enttäuscht.“

Petra Jochheim verlässt die Oberhausener Beratungsstelle von Solwodi.
Petra Jochheim verlässt die Oberhausener Beratungsstelle von Solwodi. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Auf ihre Zeit in Oberhausen, in welcher sie mit viel Herzblut Frauen im Rotlichtmilieu beratend zur Seite gestanden hat, blickt Petra Jochheim mit gemischten Gefühlen zurück. Sie habe dafür gesorgt, dass es einigen besserging, sagt sie. Besonders in Erinnerung bleibt zum Beispiel die Frau, die sie nach einer Abtreibung nicht gleich wieder ins Bordell, sondern zunächst ins Hotel brachte. Aber auch Kaffeetrinken, Varieté- und Kinobesuche, bei denen die Frauen kurzzeitig in ein normales Leben eintauchen konnten, gehörten dazu. Die Begleitung zu Terminen beim Gynäkologen, Weihnachtsgeschenke und Blumen zum Weltfrauentag. Alles finanziert aus Spendengeldern für Solwodi, die Petra Jochheim durch ihre vielfältigen Kontakte zur Stadtgesellschaft einwerben konnte.

„Strukturelles Desinteresse“ bei der Stadt?

Jedoch sei ihr eines in den vergangenen sechseinhalb Jahren nicht gelungen, sagt die praktizierende Juristin: das „strukturelle Desinteresse“ der Stadt am Thema Prostitution zu verändern. „Solange in der Flaßhofstraße keiner dem anderen ein Messer in den Bauch rammt, ist alles okay“, sagt sie. Hinzuschauen jedoch und das Treiben dort als Menschenhandel zu benennen, dies sei niemals von öffentlichen Stellen geschehen. „Für die Frauen wird so gut wie nichts bewegt“, beklagt sie. „Die finden nicht das Interesse, das sie verdienen.“

Von Anfang an habe sie sich mehr Aufmerksamkeit für die Zustände im Sex-Milieu gewünscht, sagt Petra Jochheim. Mehr Vernetzung, mehr Einsatz – zum Beispiel von der Polizei. Auch in Gesprächen mit unserer Redaktion forderte sie immer wieder, dass Beamte in die Bordelle gehen und dort vertrauensvolle Beziehungen zu den Frauen aufbauen sollen. Denn diese stammten aus Ländern mit viel Korruption und seien deshalb staatlichen Institutionen gegenüber sehr skeptisch. Die Polizei habe diesen Vorschlag stets abgelehnt. Jochheim: „Es ist politisch nicht gewollt, dass die Öffentlichkeit erfährt, was da los ist und wie groß der Menschenhandel auch bei uns ist.“

Bordelle in Oberhausen: Das Leid der Bulgarinnen und Rumäninnen

Auch, dass sich von allen Seiten nun um die geflüchteten ukrainischen Frauen gesorgt werde, überzeugt die Aktivistin nicht. Dass bisher kein Fall von Menschenhandel in Oberhausen bekanntgeworden ist, sei der hohen Sensibilisierung in allen beteiligten Stellen zu verdanken, von Notunterkünften bis hin zur Wohnungsvermittlung. Dies hatte Britta Costecki lobend im jüngsten Gleichstellungsausschuss erwähnt. Doch Petra Jochheim empfindet dies als kurzsichtig: „Die Mädchen aus Bulgarien und Rumänien, die seit Jahren hier sind, haben wir nie gesehen. Wir haben diesen Menschenhandel immer akzeptiert.“

Unter all diesen Umständen, die sie stets angeprangert habe, wolle sie nicht weiter für die Stadt Oberhausen tätig sein, sagt Petra Jochheim. Denn ihre Arbeit, die 20 Stunden pro Woche beträgt, wird aus der Stadtkasse finanziert. Dies sieht ein Kooperationsvertrag mit dem Verein Solwodi vor, der bundesweit mit 19 Fachberatungsstellen und sieben Schutzeinrichtungen vertreten ist. Für Oberhausen ist eigentlich noch eine weitere 20-Stunden-Stelle vereinbart, die jedoch immer wieder und seit Beginn der Pandemie dauerhaft unbesetzt sei, wie Jochheim erklärt. Es sei schwierig, geeignete Mitarbeiterinnen zu finden. Sie selbst war mit ihrem Fachwissen, ihrem offensiven öffentlichen Eintreten für die Rechte der Frauen und den mitunter auch persönlichen Kontakten zum Beispiel zu Richtern, die Solwodi-Spenden als Auflagen vergaben, eine Idealbesetzung an dieser Stelle. Es dürfte schwierig werden, adäquaten Ersatz zu finden.

Nachfolge wird an Solwodi Duisburg angeschlossen sein

An einer Neubesetzung der Solwodi-Stelle in Oberhausen werde nun mit Hochdruck gearbeitet, versprach Gleichstellungsbeauftragte Britta Costecki im Gleichstellungsausschuss. Petra Jochheim weiß zu berichten, dass ihre Nachfolgerin an die Schwester-Beratungsstelle in Duisburg angedockt sein wird. Dabei mache sie sich Sorgen, ob es weiterhin genügend Ansprechpersonen für die Frauen geben wird – „Ich stand immer von 8 bis 18 Uhr zur Verfügung und bin auch am Wochenende ans Telefon gegangen“. Auch treibe sie um, was mit dem prall gefüllten Solwodi-Spendenkonto geschehen wird. Rund 10.000 Euro stünden dort bereit – ausschließlich für die Frauen in Not. „Davon kaufe ich noch nicht mal einen Kugelschreiber“, sagt Petra Jochheim über das Geld, das sie oft nach öffentlichen Vorträgen erhalten hat. Ihr großer Wunsch sei es, dass dieses Geld in Oberhausen bleibe und hier weiter den hiesigen Frauen zur Verfügung stehe.