Mülheim. In Mülheim fehlt bezahlbarer Wohnraum. Doch MWB und SWB ächzen unter immer neuen Bauauflagen. Was Landtagskandidaten dagegen unternehmen wollen.

Da gibt es diesen Moment, an dem man eine Stecknadel fallen hört: „Regelungen und Vorschriften sind ein gefundenes Fressen für die Verhinderer in den öffentlichen Verwaltungen. Solche gibt es leider, und davon nicht zu wenige“, schießt Frank Esser, Vorstandsvorsitzender der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft (MWB), zur Debatte über den Wohnungsmarkt gegen die Stadt und sorgt für plötzliche Stille. Die Diskussion mit Mülheimer Landtagskandidaten hatte aber noch anderes zu bieten.

Den Debattenort an der Scheffelstraße wählte der MWB-Chef mit Bedacht: Hier soll ein ambitioniertes Wohnkonzept umgesetzt werden. Verhindert die Stadt selbst den notwendigen sozialen Wohnungsbau? „Ihnen gegenüber stehen die Ermöglicher“, schiebt Esser gleich lobend nach. Doch wie drastisch sich die Situation auch auf dem Mülheimer Wohnungsmarkt verschärft hat – gerade in der Frage des bezahlbaren Wohnraums – , macht der MWB-Chef in der wohnungspolitischen Runde mit Rodion Bakum (SPD), Heiko Hendriks (CDU), Kathrin Rose (Die Grünen) und Christian Mangen (FDP) deutlich. Und fordert: „Die Kompassnadel zeigt keinen klaren Kurs.“ Die Politik müsse endlich die Richtung vorgeben.

2500 Mülheimer Haushalte geben mehr als 40 Prozent allein für Miete aus

Aber wohin geht diese Reise? Die Wohnungsbaugenossenschaften nicht nur in Mülheim sehen sich als jene kommunalen Institutionen, die aus dem Genossenschaftsgedanken die sozialpolitische Forderung nach günstigem Wohnraum erfüllen können. SPD-Landtagskandidat Rodion Bakum – für den der Auftritt beim Genossen Esser quasi ein Heimspiel war – skizziert die malade Lage: „Wir haben rund 2500 Haushalte in Mülheim, die mehr als 40 Prozent allein für die Miete ausgeben müssen.“

Mülheimer mit geringem Einkommen konkurrieren um günstigen Wohnraum. Viele müssen mehr als ein Drittel ihres Einkommens für die Miete ausgeben.
Mülheimer mit geringem Einkommen konkurrieren um günstigen Wohnraum. Viele müssen mehr als ein Drittel ihres Einkommens für die Miete ausgeben. © funkegrafik nrw | Anda Sinn

Bekanntgeworden ist die prekäre Situation für einkommensschwache Mülheimer Singles und Familien bereits 2018 durch eine von der Stadt selbst aufgegebene Studie. „Für diese Haushalte fehlt in Mülheim trotz eines rechnerischen Wohnungsleerstands von rund 2400 Mietwohnungen bezahlbarer Wohnraum“, stellte die beauftragte „InWIS Forschung & Beratung GmbH“ fest.

So konkurrieren Geringverdiener um die wenigen kleinen und erschwinglichen Wohnungen und müssen in der Regel bis zu 400 Euro bei einem Einkommen von maximal 1100 Euro investieren (siehe Grafik).

Kritik: Stadt Mülheim habe Hausaufgaben beim Wohnen nicht gemacht

Im April 2019 hatte eine Mehrheit für den Antrag der SPD die Stadt damit beauftragt, ein „Bündnis für Wohnen“ zu gründen – gegen die Stimmen der CDU. „Gibt es den Runden Tisch noch?“, stichelte Bakum und kritisierte, die Verwaltung habe ihre Hausaufgaben nicht gemacht.

Doch die inzwischen hohen Kosten für den Kauf von Baugrundstücken – hier konkurrieren MWB wie SWB mit deutlich renditeorientierten Investoren –, die stetig steigenden Baukosten, die Anforderungen an energetisches Bauen und Sanieren im Altbestand machen günstiges Bauen auch für Genossenschaften kaum noch möglich. Wie sie beim Wettbewerb um die wenigen Grundstücke noch mithalten können, ist zudem fraglich.

Eine lebendige Debatte um Wohnungsnot und -bau lieferten Alexander Rychter (VdW), Frank Esser (MWB), Rodion Bakum (SPD), Christian Mangen (FDP), Heiko Hendriks (CDU) und Kathrin Rose (Grüne) zum „Wohnungspolitischen Gespräch
Eine lebendige Debatte um Wohnungsnot und -bau lieferten Alexander Rychter (VdW), Frank Esser (MWB), Rodion Bakum (SPD), Christian Mangen (FDP), Heiko Hendriks (CDU) und Kathrin Rose (Grüne) zum „Wohnungspolitischen Gespräch" im Zelt an der Scheffelstraße. © Unbekannt | Oliver Mueller

Kritik an Vergabe von Baugrundstücken: Es zählt hauptsächlich der Kaufpreis

Auch Esser kann ein Beispiel aus Holthausen liefern. Dort bewarb sich die MWB um ein Grundstück. Der Preis für das Gebiet im städtischen Besitz jedoch stieg so an, dass ein sozialer Wohnungsbau dort selbst in der üblichen Ein-Drittel-Mischung unwirtschaftlich geworden wäre. Noch immer sei die Höhe des Kaufpreises bei der Vergabe von Grundstücken maßgeblich – zu 60 Prozent schlage sie in der Bewertung zu Buche, kritisierte Esser die städtische Strategie. Und eben nicht Konzepte zum Klima oder bezahlbarer Wohnraum.

Gilt also das vermeintlich einfache Mantra „Bauen-bauen-bauen“ bei dieser Lage noch, wie FDP-Landtagsmitglied Christian Mangen betont? In der Runde sind sich alle Landtagskandidaten offenbar in diesem Punkt einig. Wären da nicht die Details um das ,Wie’: Mangen kontert klar gegen die Mietpreisbremse – „sie bringt nichts“ – und verspricht, die FDP werde weiter Erleichterungen bei den Bauvorschriften schaffen.

„CDU ist ja grüner als die Grünen“ – feixte das Publikum

Landtagskandidatin und Ratsmitglied Kathrin Rose (Die Grünen) spricht sich dafür aus, Wohnungsbaugenossenschaften bei der Vergabe von Bauland zu bevorzugen, statt nur auf den Gewinn für den Haushalt zu achten. Rodion Bakum macht sich für die Förderung von gemeinwohlorientiertem Wohnungsbau stark und brachte eine Grundsteuererstattung für Familien ins Spiel.

Heiko Hendriks (CDU) stimmt in einem Punkt zu: „Wir müssen Wohnraum schaffen, der erschwinglich ist.“ Doch gleichzeitig sei es geboten, Mülheim als „die grüne Lunge des Reviers“ zu erhalten. „Der ist ja grüner als die Grünen“, feixen Stimmen aus dem Publikum. Hendriks lässt sich nicht beirren und schlägt mehr Lückenschlüsse beim Schaffen von Wohnraum vor. Zu überlegen sei auch, so der CDU-Landtagskandidat und ebenfalls Ratsmitglied, in die Höhe zu denken und Wohnhäuser und sogar Parkhäuser mit Wohnetagen aufzustocken – mit Grün auf dem Dach und an Fassaden.

Vorschusslorbeeren für das Scheffelviertel

Die Eindämmung von Baukosten, um bezahlbaren Wohnraum trotz Mietendeckel und klimagerechtem Bauen möglich zu machen, forderte Alexander Rychter als Direktor des Verbands für Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen (VdW) für etliche Verbandsmitglieder.Vorschusslorbeeren gab es von Rychter für das MWB-Konzept des „Scheffelviertels“. Das Quartier am Dichterviertel (Scheffelstraße) will 40 Eigenheime mit Mietwohnungen und einem Mehrgenerationen-Projekt („Raumteiler“) verknüpfen. Gemischte Quartiere sind aus Sicht des VdW ein Mittel, um Innenstädte lebenswert zu gestalten. Apropos: Zwar musste die MWB den Baubeginn mehrfach verschieben, doch im Sommer 2022 soll es tatsächlich starten.