Oberhausen. In „Kohlenstaub und Bühnennebel“ seziert Florian Fiedler ein Jahrhundert Theater, Oberhausen und Ruhrgebiet. Zu viel Fracht für 101 Minuten?

Einen drauf zu setzen, kann, salopp gesagt, manchmal nicht schaden. Erst recht, wenn es um 100 Jahre Theater Oberhausen geht - eigentlich im vergangenen Jahr fällig. Die Corona-Krise verschiebt aber Zeitzonen und runde Geburtstage. Und so blicken knapp 200 Zuschauer am Samstag bei der Premiere von „Kohlenstaub und Bühnennebel“ auf eine verspätete Retrospektive. Happy Birthday, 101 Jahre Theater! Dann eben nachträglich.

Der scheidende Intendant Florian Fiedler verwandelt seine Profis dafür in Amateure. Eine Gruppe von Laienschauspielern probt, wie man 100, pardon 101 Jahre Theater Oberhausen denn nun auf die Bühne bringen sollte und nimmt den Betrachter mit in die teils chaotisch verlaufenden Proben. Verloren in der Vergangenheit von Theater, Stadt und Revier - ganz schön viel Fracht für 101 Minuten.

Theater Oberhausen: Ganz schön viel Stoff für 101 Minuten

Die Aula des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums dient als Logenplatz für Theater-Geschichte. Autor Akın Emanuel Şipal - ja, ausgerechnet ein Gelsenkirchener - liefert den Stoff aus dem die Oberhausener Träume sind. Und die Balken der Dramaturgie biegen sich beachtlich, aber sie brechen nicht unter der Masse des Inhalts zusammen. „Kohlenstaub und Bühnennebel“ ist gnadenlos unvollständig - dafür aber äußerst witzig geraten.

Die Verführung ist groß, bei diesem Thema nur Theater fürs Theater zu zeigen. Und tatsächlich ist die turbulente Komödie gespickt mit Bühnen-Insidern, über die sich jedes Ensemble wahrscheinlich scheckig lacht. Doch den ewigen Konflikt zwischen Autoren und Mimen, den Richtungsstreit, die Zweifel, versteht auch jeder, der sich nur oberflächlich mit dem Bühnenhandwerk beschäftigt. Oder wie die fröhlich vor sich hin scheiternde Laiengruppe selbst feststellt: „Die Kunst kommt mit der Verzweiflung.“

Die Revier-Komödie thematisiert natürlich die erste Oberhausener Produktion überhaupt. Der Nukleus aller Theateranfänge. Franz Grillparzers Drama „Sappho“ im Jahr 1920. Sie zeigt die Schatten der Vergangenheit. Umkurvt zumindest verbal nicht die dunklen Jahre während des Nationalsozialismus. Reicht bis hin zu den Fantasien eines dauerhaften Musiktheaters. Und der Österreichische Schriftsteller Peter Handke (amüsant gespielt von Torsten Bauer), in Oberhausen mehrfach auf die Bühne gebracht, sitzt nicht als Publikumsbeschimpfer, sondern Schauspieler-Ankeifer im Sessel.

Theater Oberhausen: Ruhrgebiets-Komödie ohne bittere Note 

Aber es geht eben auch um Rassismus, Sexismus und Gendersternchen. Die Oberhausener Theater-Aufregerthemen der vergangenen Jahre sind vor allem in Anspielungen verpackt, mal mehr, mal weniger offensichtlich.   

Die Abrechnung mit dem Rathaus und langsam mahlenden Mühlen, irgendwann in der Vergangenheit verortet, fällt im Hasenkostüm mit baumelnder Krawatte laaange, viel zu lange und dadurch leider langweilig aus - ausgerechnet, wenn die Komödie zur Satire wird. Das verwässert einen giftig, pointierten Blick auf Reibungspunkte zwischen Kunst und Verwaltung. Schade!

Florian Fiedler hat sich vor seinem Abschied einiges von der Seele inszeniert. Doch „Kohlenstaub und Bühnennebel“ hat nichts Bitteres. Man merkt, dass die Macher lange im Stadtarchiv gestöbert haben. Fotografien vom zerbombten Oberhausen aus der Nachkriegszeit, historische Aufnahmen der Theaterfassade und Gastarbeiter vom Pütt schimmern vom Projektor.

Theater Oberhausen: Fiedler zeigt Fiedler wie eine Comic-Figur

Fiedler selbst erscheint dann auch. Mit der bekannt langen Mähne und dem blauen Sakko über dem Schlabbershirt - gespielt von Christian Bayer. Der Intendant zeigt sich wie eine Comic-Figur mit wohltuender Selbstironie, bei dem dauernd das Handy klingt („Da muss ich jetzt drangehen“) und die Laienschauspielgruppe ständig mit „Wir unterstützen euch, wo es nur geht“ verabschiedet, bevor er erst einmal nicht mehr gesehen wird. Ein Spruch, der vielen Arbeitnehmern wahrscheinlich bekannt vorkommt.

„Kohlenstaub und Bühnennebel“ ist einen Besuch wert. Das stützt das motivierte Ensemble, allen voran Anna Polke als verzweifelte Laien-Regisseurin Rita. Einzig, wenn das Finale einsetzt, lässt Fiedler den Zuschauer in der Vorführung-in-Vorführung-Geschichte etwas unbeholfen zurück. Ohne noch mehr zu verraten: Wenn die Schauspieler zur Pop-Musik anfangen einzeln auf einem Podest zu tanzen, darf geklatscht werden. Gerne auch etwas länger.

>>> Premiere zum Theaterwochenende der Ruhrbühnen

Die Uraufführung von „Kohlenstaub und Bühnennebel“ ist am Samstagabend im Rahmen des Theaterwochenendes „Zehn X Freiheit“ der Ruhrbühnen gelaufen.

Die Inszenierung können sich Interessierte für 20 Euro noch mindestens bis Ende Dezember in der Aula des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums an der Bismarckstraße 53 anschauen. Achtung: Der Eingang befindet sich auf dem Schulhof an der Goethestraße. Der nächste Termin: Mittwoch, 3. November, 19.30 Uhr.