Gelsenkirchen. Die Linken fordern angesichts steigender Strom- und Heizkosten mehr Einsatz gegen Energiearmut. Wie oft der Strom in Gelsenkirchen gesperrt wird.

Die steigenden Energiepreise beobachten viele Verbraucherinnen und Verbraucher mit Sorge: Was ist, wenn im schlimmsten Fall Nachzahlungen in nicht (sofort) zu begleichenden Höhen anfallen? Insbesondere für die überdurchschnittlich vielen Arbeitslosen und geringfügig Beschäftigten in Gelsenkirchen könnten finanzielle Überbelastungen drohen. Die Gelsenkirchener Linksfraktion verlangt deshalb, dass die Stadt ein Konzept gegen Energiearmut entwickelt. Von Gas- und Stromsperren soll in Härtefällen künftig abgesehen werden, abgesichert werden sollen Zahlungsunfähige über einen Härtefall-Fonds. „Menschen im Dunkeln bzw. im Kalten sitzen zu lassen, ist in der heutigen Gesellschaft unwürdig, unzumutbar und ein gesellschaftspolitischer Skandal“, heißt es in einem entsprechen Antrag.

ELE: Aktuell rund 250 Sperrungen in Gelsenkirchen

Doch wie oft kommt es überhaupt zu solchen Sperrungen? Und ist die Zahl in Gelsenkirchen durch die finanziellen Einbußen, die viele durch die Corona-Einschränkungen hinnehmen mussten, gestiegen? Die zweite Frage beantwortet man bei Gelsenkirchens Grundversorger, der Emscher Lippe Energie (ELE), überraschenderweise mit einem „eindeutigen Nein“.

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2020 habe es 2500 Liefersperren in Gelsenkirchen gegeben, 2021 seien es rund 3000 gewesen „Das sind deutlich weniger als im Durchschnitt der Vorjahre“, sagt ELE-Sprecher Peter Efing, der von zuvor rund 4000 Fällen im Jahr spricht. „Und aktuell sind in Gelsenkirchen lediglich 251 Verbrauchsstellen gesperrt.“

Gelsenkirchener Linke: Viele Nachzahlungen kommen erst noch

Gibt es dennoch Handlungsbedarf? Die Linken finden: Ja. Sie fordern einen Notfallfonds, der in sozialen Härtefällen helfen soll, Energierechnungen zu begleichen. Und sie halten in ihrem Antrag einen „Runden Tisch gegen Energiearmut“ zur Verhinderung von Sperren für notwendig. Ein solches Format gibt es laut Efing allerdings bereits, man schalte sich regelmäßig mit Vertretern der Stadt, der Verbraucherzentrale, dem Jobcenter und der Caritas zusammen, um Liefersperren abzuwenden. Die aus seiner Sicht geringen Zahlen an Sperrungen wertet Efing als Zeichen dafür, dass dieses Netzwerk gut funktioniert.

„Wir sind ja noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen“, sagt hingegen Martin Gatzemeier, Fraktionschef der Linken. „Viele Leute haben ihre Abrechnungen noch nicht erhalten.“ Bei der ELE werden sie in einem rollierenden Verfahren verschickt – wer sie etwa erstmals im Mai bekam, bekommt sie immer im Mai. Gatzemeier befürchtet, dass viele Menschen noch eine böse Überraschung erleben werden.

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Die Kosten fürs Heizen haben sich laut Verbraucherportal „Check24.de“ im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt, die Strompreise seien um 41 Prozent gestiegen. Dass deutlich mehr ELE-Kunden in Zahlungsverzug geraten, glaubt Peter Efing allerdings nicht. Schließlich habe sein Unternehmen zum Jahreswechsel weder die Preise für Strom noch für Erdgas erhöht. Wenn man die Rechnung im vergangenen Jahr bezahlen konnte, werde man es also sehr wahrscheinlich auch in diesem Jahr können.

Linke Gelsenkirchen: Nicht für steigende Heizkosten rechtfertigen

Bei der Linkspartei fragt man sich: Was aber ist mit den Einzelhändlern, Gastronomen oder Künstlern, die aufgrund des schlechten Corona-Geschäfts viel weniger in der Tasche haben? Was ist mit den Menschen, die ebenfalls coronabedingt vor allem zu Hause arbeiten und viel mehr verbrauchen? Und was ist mit den Kunden, die von der Pleitewelle bei zahlreichen Billiganbietern betroffen sind, und nun in die für sie wesentlich teure Grundversorgung gefallen sind? Laut Peter Efing sind im gesamten ELE-Versorgungsgebiet (Gelsenkirchen, Bottrop, Gladbeck) seit Dezember über 7000 Verbraucher auf diese Weise ELE-Neukunden geworden. Er betont allerdings: Teurer als für die Bestandskunden werde es für sie nicht. Anders ist das zum Beispiel bei den Stadtwerken in Essen.

Gelsenkirchens Linken-Fraktionschef Martin Gatzemeier: „Die Stadt sollte die Nichtprüfungsgrenze für Heizkosten anheben.“
Gelsenkirchens Linken-Fraktionschef Martin Gatzemeier: „Die Stadt sollte die Nichtprüfungsgrenze für Heizkosten anheben.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Gatzemeier hofft, dass das zumindest bei der ELE so bleibt – und sieht auch die Stadtverwaltung in der Verantwortung, ihr Mögliches gegen Energiearmut zu tun. Dass Hartz-IV-Empfänger mit dem Jahreswechsel drei Euro mehr erhalten, werde durch die Inflation aufgefressen – und stelle erst recht keine auskömmliche Hilfe für höhere Stromrechnungen dar. Die Strompauschale im Hatz-IV-Satz von 36,42 Euro für eine Einzelperson reiche absolut nicht aus. „Auf städtischer Ebene kann beispielsweise die Nichtprüfungsgrenze für Heizkosten so angehoben werden, dass sie mit den steigenden Preisen mithalten kann“, heißt es im Linken-Antrag. So könne verhindert werden, dass sich immer mehr Hartz-IV-Empfänger für ihre steigenden Heizkosten rechtfertigen müssen.