Oberhausen. Im Norden Oberhausens nutzen Logistiker 70 Fußballfelder, um ihre Dienste zu erledigen. Hätte man das Riesenareal nicht besser verwenden können?

Wenn man die Luftaufnahmen der Gewerbeflächen rechts und links der Autobahn A3 im Oberhausener Norden betrachtet, dann kann nicht nur dem Laien mulmig werden: So viele wertvolle Flächen für mögliche breitgefächerte Unternehmensansiedlungen opfert Oberhausen ausschließlich der Logistik-Branche – hat sich hier die Stadt richtig entschieden?

Nördlich vom Logistik-Lager des Süßwarenherstellers Lekkerland baut der britische Gewerbeimmobilien-Konzern Segro seit 2018 den „Logistics Park Oberhausen“ und vermietet ihn an Logistik-Dienstleister wie die französische Geodis; östlich davon ist das beeindruckend große Edeka-Logistik-Zentrum fürs Rheinland und Ruhrgebiet entstanden. Segro errichtet die Hallen auf einem 21-Hektar-Areal (29 Fußballfelder), Edeka auf einer Fläche von 29 Hektar (40 Fußballfelder). Alleine Edeka verursacht damit ab Sommer 2022 täglich 1000 Lkw-Fahrten zusätzlich im Norden der Stadt – dafür wurde bekanntlich sogar in Rekordzeit eine neue Straße zur nächsten Autobahn-Ausfahrt gebaut. Immerhin gewinnt Oberhausenauf der einen Seite – addiert – 700 Arbeitsplätze, auf der anderen Seite (Edeka) 1000 bis 1500.

SPD: Hier wird eine Gewerbefläche verscherbelt

Zugleich aber kritisiert die für Oberhausen zuständige IHK Essen, dass in der Region der zunehmende Mangel an Gewerbeflächen das Wachstum der Wirtschaft und Arbeitsplätze behindert. „Die MEO-Region ist mit Abstand am schlechtesten aufgestellt: So steht hier in den kommenden 15 Jahren von den benötigten zusätzlichen Flächen (rund 600 Hektar) weniger als ein Drittel zur Verfügung. Davon weist mehr als die Hälfte der Flächen Restriktionen, wie etwa schlechte Verkehrsanbindung oder Altlasten, auf“, hieß es im IHK-Handlungsprogramm „MEO 2030“.

200 Millionen Euro Investition

Edeka-Rhein-Ruhr hat von 2019 bis 2021 auf dem Gelände der ehemaligen Kohlereservehalde sein mit 90.000 Quadratmetern Lagerfläche größtes Logistikzentrum für Lebensmittel und sonstige Waren gebaut, die bei Edeka-Händlern in der Region verkauft werden. Mit 200 Millionen Euro Investitionssumme ist es das größte Immobilienprojekt in der über hundertjährigen Geschichte des genossenschaftlich organisierten Lebensmittelhändlers.Von Oberhausen aus werden ab Mitte 2022 rund tausend Lkw-Fahrten pro Tag dafür sorgen, dass Menschen genug Lebensmittel in 320 Edeka-Filialen finden und kaufen können. Von den durchschnittlich 25.000 bis 30.000 Artikeln in einem Edeka-Supermarkt werden 20.000 Artikel in Oberhausen umgeschlagen.

Bei den politischen Parteien im Oberhausener Rat sind in den vergangenen Jahren die Zweifel an der Konzentration auf die viele Flächen verbrauchenden Logistiker durchaus gewachsen: Zwar hatten im Herbst 2018 bis auf die Linken und die Bürgerliste alle Ratsmitglieder dem Bebauungsplan Nr. 642 und damit dem Edeka-Logistikzentrum zugestimmt, doch schon im Sommer 2020 mitten im Kommunalwahlkampf nahmen die Bedenken bei SPD und Grünen zu. „Hier wird eine Gewerbefläche verscherbelt. In wenigen Jahren läuft die Logistik dort vollautomatisch. Da arbeitet dann kaum noch jemand, aber der Lkw-Verkehr nervt die Anwohner“, schimpfte der damalige SPD-OB-Kandidat Thorsten Berg.

Und die Grünen blickten kritisch auf den zunehmenden Verkehr, vermissen Grün- und Solarflächen auf dem Riesendach des Logistikzentrums. Und: Hätten nicht viele kleinere innovative Handwerks-, Handels- und Produktionsfirmen mehr Arbeitsplätze auf der Fläche geschaffen?

Der Oberhausener Oberbürgermeister Daniel Schranz im Video-Pressegespräch mit der Redaktion.
Der Oberhausener Oberbürgermeister Daniel Schranz im Video-Pressegespräch mit der Redaktion. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU) lässt sich davon nicht beirren. Oberhausen achte ganz genau darauf, dass die Flächen an wertschöpfende, arbeitsintensive Logistiker vergeben werden. „Wir wollen keine leeren Logistik-Hallen, wo kaum einer arbeitet. Das haben wir auch erreicht: Edeka bringt 400 tarifgebundene Arbeitsplätze mit und schafft aufwachsend 600 neue, die wir dringend hier benötigen. Hätten wir die Fläche aufgeteilt für mehrere Kleinunternehmen, wären wir mit Sicherheit nicht auf diese hohe Zahl an Arbeitsplätzen gekommen.“

Oberhausener Oberbürgermeister: Wir wollen einen guten Branchenmix

Mitnichten setze die Stadtführung vor allem auf Logistiker: Der Anteil dieser Branche ist in Oberhausen trotz des Ausbaus im Norden mit 5,0 Prozent niedriger als im ganzen Ruhrgebiet (5,8 Prozent) und in NRW (5,6 Prozent). „Wir wollen einen guten Branchenmix. Aus unserer wirtschaftlichen Erfahrung mit dem Verlust von 57.000 Arbeitsplätzen bei Kohle und Stahl wissen wir, wie risikoreich Monopolstrukturen sind. Je differenzierter die Wirtschaft, desto besser für die Wirtschaftskraft vor Ort“, sagt das Stadtoberhaupt im Gespräch mit der Redaktion.

Wie groß das Edeka-Logistikzentrum ist, erkennt man erst, wenn man die wie kleine Spielzeugautos wirkenden Laster betrachtet. An 220 Türen holen die Lkw Ladung ab oder bringen Lebensmittel ins Logistikzentrum.
Wie groß das Edeka-Logistikzentrum ist, erkennt man erst, wenn man die wie kleine Spielzeugautos wirkenden Laster betrachtet. An 220 Türen holen die Lkw Ladung ab oder bringen Lebensmittel ins Logistikzentrum. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Gerade die Pandemie zeige, wie sinnvoll dies sei: Während die Touristikbranche schwächelt, boomt der Online-Handel und damit die Dienste der Logistikbranche. Wer die Logistiker kritisiere, müsse auch sein eigenes Einkaufshandeln reflektieren. „Die Logistikbranche benötigt nun einmal zusätzliche Flächen, weil immer mehr Menschen online einkaufen. Dafür ist eine gute Infrastruktur Voraussetzung.“

Im gesamten Ruhrgebiet gebe es deshalb eine hohe Nachfrage nach Flächen für Logistiker. „Natürlich würden wir gerne Hightech-Unternehmen hierhin holen, aber Apple, Google oder Biontech stehen hier nicht Schlange“, räumt Schranz ein. Und er verspricht: Auf dem nahen Gelände der früheren Zeche Sterkrade im Norden entstehen in Zukunft keine Logistikhallen, sondern Wohnungen und eine kleinteilige Gewerbefläche.