Mülheim. Corona setzt ihr hohe Auflagen, dennoch will die Mülheimer Ruhr Gallery den Duisburger Chinmayo ehren. Der Erlös soll Künstler unterstützen.
Der Hut, die Violine, das Schneckenhaus – überzogen mit einer braunen Kruste. Wie Lehm. Als hätte sie ein Archäologe soeben einer Jahrhunderte alten Krypta entrissen. Der Künstler Chinmayo, der in seinem Leben so ziemlich alles gemacht hat (außer vielleicht Grabkammern zu räubern), hat diese Artefakte geschaffen. Und sie zu einem „Raum der beruhigten Objekte“ zusammengestellt.
Zu sehen ist dieser in Weiß getauchte und damit fast sakral wirkende Raum
ab Sonntag in der Mülheimer Ruhr Gallery
. Dort lassen sich die Artefakte in ihrer Formsprache erst recht entdecken, weil ihnen diese besondere „Patina“ jedwede ablenkende Farbigkeit und Individualität geraubt hat.
„Das Jetzt vergeht nie“
Das Spirituelle und Archaische scheint Chinmayo zu liegen: Stäbe und Speere hat der Duisburger Künstler an einer Wand aufgereiht wie die Hinterlassenschaften indigener Stämme. „Das Jetzt vergeht nie“ hat die Ruhr Gallery diese Lebens-Werkschau des nunmehr 84-Jährigen getauft.
Ein passender Titel nicht nur im Sinne einer spirituellen Botschaft, im Hier und Jetzt zu leben, sondern auch angesichts der Materialien,
die Chinmayo, der bürgerlich Hermann Joseph Schmitz heißt, in seine Kunst einbindet
: Bibelseiten, Zeitungsschnipsel von Charlie Hebdo, und auch solche aus „Mein Kampf“. Oder so: Einen wie in Kalk getauchten leeren Setzkasten beschriftet der Künstler in ascheschwarzer Schrift mit nur einem Wort: Shoa. Und löst damit eine Kette von Assoziationen aus, die dem Betrachter entsetzte Schauer über die Haut jagen.
Denn hier geht es nicht nur um vermeintlich „Bewahrendes“ – sondern um die kritische Auseinandersetzung mit Religiösem, Nazismus und Narzissmus, kurzum: die ständige Rückkehr des Verdrängten an die aktuelle gesellschaftliche und individuelle Oberfläche. „Das Jetzt vergeht nie.“ Psychologisch und hochpolitisch sind Chinmayos Bild-Collagen, Stelen, Installationen und Skulpturen also auch zu werten.
Mit einfachen Kompositionen zur Spiritualität
Und dann gibt es noch den anderen „Chinmayo“, der mit abstrakten Formen und Farbkompositionen Emotionen schafft. Vier Jahreszeiten stellt er jeweils hochformatig in zwei gleich großen farbigen Quadraten dar, die kulturell leicht zu dekodieren sind: Grün-weiß für den Frühling, rot-blau den Sommer, gelb-braun den Herbst und schwarz-weiß den Winter. Konventionell? Ja, doch so braucht der Kopf nicht lang, bis Auge und Gefühl sich in den Farben verlieren können. Spiritualität durch einfache Geometrie.
Für die Duisburger ist Chinmayos Kunst eine Art ständiger Begleiter.
In den 1970er Jahren gründete der Meidericher hier die Galerie 77, die der Kulturwerkstatt voraus ging.
Im Stadtpark verhalf er morschen Bäumen als Kunstwerken zu neuem Leben. Seine „Sonnenhand“ im Park, die er mit Roger Löcherbach kreierte,
zählte zu den größten und sicher prominentesten Exponaten
im öffentlichen Raum. Sie ist in Teilen noch im Botanischen Garten in Hamborn zu sehen.
Zusammengestellt wurde „Das Jetzt vergeht nie“ von Ute Nowak, die mit dem Künstler seit 30 Jahren befreundet ist. Die Ausstellung soll übrigens auch das kommende Beuys-Jubiläumsjahr 2021 einleiten. Die Ruhr Gallery will Beuys dann zu ihrem Schwerpunkt machen.