Oberhausen. Luise und Heinrich Rüdiger sind seit 65 Jahren verheiratet. Hier erzählen sie von ihrem ersten Kuss – und dem Geheimnis einer langen Beziehung.
Luise und und Heinrich Rüdiger haben mitten in der Pandemie Eiserne Hochzeit gefeiert, sie sind seit 65 Jahren verheiratet, am 30. Juni 1956 gaben sie sich das Ja-Wort. Während ein Großteil der Oberhausener Corona wohl als Katastrophe in Erinnerung behalten wird, verbindet das Ehepaar mit der Coronakrise somit einen Meilenstein ihres Lebens. Heinrich, 86, war Bergmann auf der Zeche Alstaden, bis sie 1972 geschlossen wurde, danach arbeitete er als Funk- und Fernsehtechniker. Luise, 85, ist in einer Familie mit acht Geschwistern (vier Jungs, fünf Mädchen) aufgewachsen. Sie hat 20 Jahre lang in Haushalten in der Nachbarschaft geputzt. Wir haben mit den Beiden ein getrenntes Interview geführt – mit den gleichen Fragen. Als Heinrich antwortet, bereitet Luise das Mittagessen vor. Als Luise mit dem Reporter spricht, schaut Heinrich Fernsehen.
Wie schafft man es, so viele Jahre zusammenzubleiben?
Er: Luise und ich sind von unserem Wesen her sehr ähnliche Menschen. Ich glaube, wenn man zu verschieden ist, kann man nicht lange zusammenleben. Für mich ist Ehrlichkeit das Wichtigste in der Beziehung. Man sollte niemals fremdgehen. Passiert es doch, muss man sich aus meiner Sicht trennen.
Sie: Ich habe zu Heini gesagt, wenn er jemals fremdgehen sollte, lasse ich mich scheiden. Den Partner zu betrügen, ist unnatürlich. Ich selbst bin in all den Jahren nie in Versuchung gekommen. Allein die Vorstellung, einem fremden Körper zu nah zu kommen, finde ich ekelig. Einmal bei einem Abendessen mit Heinis Bruder und vielen Freunden, haben wir gewettet, ob ich mit Heinis Bruder Robert in einen Schlafsack passe. Der Reißverschluss musste zu bleiben, sonst hätte es nicht gegolten. Ich habe mich also eng an seinen Körper geschmiegt. Noch weiter würde ich aber niemals gehen.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
Er: Luise wohnte in einem Haus, in dem ein guter Freund von mir lebte. Als ich ihn besuchte, habe ich sie rein zufällig auf der Straße vor seinem Haus getroffen. Ab dann haben wir uns regelmäßiger gesehen. An einem Wintertag habe ich sie gefragt, ob sie sich auch mal mit mir allein treffen möchte. Sie hat Ja gesagt
Sie: Ein Freund von Heini lebte einige Häuser von unserem Elternhaus entfernt. Wir lebten in der Landwehr, der Freund in der Sophienstraße. Die Jungs müssen wohl Wind davon bekommen haben, dass in unserem Haus mehrere Mädchen wohnten. Auf jeden Fall kam er mit drei anderen immer wieder zu uns. Wir haben dann eine Schneeballschlacht gemacht, da sind Heini und ich uns nähergekommen. Ich habe die Jungs zu meinem Geburtstag eingeladen. Danach hat mein Vater gefragt: Für welchen hast du dich entschieden? Und ich habe gesagt, für den Großen mit den blonden Locken. Also für Heini.
Wann haben Sie sich das erste Mal geküsst?
Er: Das war unter der Brücke an der Hiberniastraße, es lag noch Schnee. Erst haben wir nur geredet und dann haben wir, ich sag mal, Zärtlichkeiten ausgetauscht. In der Zeit danach sind wir viel zusammen Fahrrad gefahren an der Ruhr. Erst einige Wochen später habe ich sie gefragt, ob sie meine Freundin sein möchte.
Sie: Heini hat mich gefragt, ob wir uns auch mal zu zweit unter einer Brücke in der Nähe der Landwehrschule treffen wollen. Natürlich wollte ich. Er hat Bienenstich mitgebracht. Mein Vater hat mir leider nur erlaubt, mich eine Stunde mit ihm zu treffen. Es hat gereicht, damit wir knutschen konnten – gut versteckt in einem Knick der Brücke.
War es schwierig die Eltern, von sich zu überzeugen?
Er: Nein, gar nicht. Ich glaube, Luises Eltern haben mich ab dem ersten Tag akzeptiert.
Sie: Als Heinis Eltern in den Urlaub gefahren sind, habe ich sie einmal vertreten. Heinis Oma und seinen Brüdern habe ich morgens Butterbrote geschmiert und mittags für sie gekocht. Als die Eltern aus dem Urlaub wiedergekommen sind, habe ich Kaninchen mit Rotkohl und selbst gemachten Klößen vorbereitet. Mein Schwiegervater meinte beim Essen dann: Heini, die darfst du heiraten. Heinrichs Mutter wollte gerne eine Tochter. In die Rolle bin ich geschlüpft.
Wissen Sie noch, warum Sie sich verliebt haben?
Er: Luise hat damals in einer Schokoladenfabrik bei Tengelmann gearbeitet. Immer wenn wir uns gesehen haben, hat sie mir Pralinen mitgebracht. Mir gefiel, dass sie so lieb und häuslich war, sie konnte schon früh richtig anpacken und kochen.
Sie: Heini hatte kaum Geld, er konnte mir selten Geschenke kaufen. Ich fand ihn einfach toll: Von den vier Jungs, die immer wieder vor unser Haus gekommen sind, war Heini der Schönste. Seine blonden Locken waren so hübsch und er war groß und gepflegt. Die anderen Jungs haben mir nicht so gefallen: Einer hatte dreckige Fingernägel, der andere war zu klein, einer war dick.
Was haben Sie für Erinnerungen an Ihre Hochzeit?
Er: Das war für mich ein sehr aufregender Tag, ich war gerade erst 21 Jahre alt. Wir haben in einer Gaststätte in der Sophienstraße gefeiert. Meine Eltern haben die Getränke bezahlt. Es wurde sehr viel Escorial Grün getrunken, das ist ein Likör mit ganz schön Alkohol drin. Ich hab den aber nicht angerührt.
Sie: Wir mussten nicht heiraten. Das hatte der Pastor vermutet. Er wollte von mir wissen, ob wir heiraten, weil ich in Umständen bin. Die Frage war mir so peinlich. Nein, wir wollten heiraten. Damals mussten meine Eltern ja noch die Einwilligung dafür geben, ich war erst 20 Jahre alt. Vor der Hochzeit hat meine Schwester mir die Haare aufgedreht, so konnten wir den Friseur sparen. Das Brautkleid hatte ich von meiner Tante. War etwas zu kurz, aber ging. 30 Gäste kamen. Zum Abendessen gab es Würstchen mit Kartoffelsalat, zum Nachtisch Erdbeertorte. Wir haben getanzt, obwohl es keiner so wirklich konnte. Die Musik kam von einem Plattenspieler. Es war eine tolle Hochzeit.
Wie war es, als Sie zusammengezogen sind?
Er: Das war ja genau an dem Tag, an dem wir geheiratet haben. Nach der Hochzeit sind wir in die Wohnung nach Obermeiderich gefahren. Die hatte nur ein Zimmer. Ich war glücklich, als ich von zu Hause ausgezogen bin.
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Sie: Für mich war das eine Erlösung. Ich wurde von meinen Eltern oft ausgenutzt. Während die anderen gelesen haben, musste ich die Küche schrubben. Ich habe meine Eltern als einziges Kind gesiezt. Ich kam mir immer fremd vor zu Hause. Am Sterbebett hat sich mein Vater dafür entschuldigt. Ich habe ihm das verziehen. Die Wohnung in Obermeiderich hatte nur ein Zimmer und war primitiv. Ich habe zwei Bananenkisten übereinandergestapelt, ein Brett drauf, das war meine Spüle. Wasser mussten wir immer von unten holen.
Hat sich mit der Geburt ihrer Tochter Petra etwas an Ihrer Beziehung verändert?
Er: Es hat sich praktisch nichts verändert.
Sie: Nein, dadurch hat sich unsere Beziehung nicht verändert.
Wer hat sich mehr um das Baby gekümmert?
Er: Meine Frau. Sie hat die Windeln gewechselt, gestillt, getröstet, eingekauft. Alles. Ich musste ja arbeiten. Wenn ich Frühschicht hatte, musste ich um 5 Uhr aufstehen, um zu arbeiten. Nach der Schicht konnte ich nur noch essen, dann bin ich schon eingeschlafen.
Sie: Ich war immer für Petra da. Bin nur putzen gegangen, wenn Petra gut versorgt war.
Haben Sie sich manchmal gestritten?
Er: Wir haben nur wenig gestritten. Wenn, dann haben wir uns schnell wieder vertragen. Es ist nicht gut, im Streit auseinanderzugehen.
Sie: Wir hatten nie eine Ehekrise oder sowas. Viele haben zu mir gesagt, mit Heini hätte ich den besten Mann abgekriegt – und damit hatten sie recht. Streitereien gab es schon. Heini hat mir manchmal vorgeworfen, dass ich zu großzügig bin. Er hat mir ja ab dem ersten Tag sein ganzes Geld anvertraut. Bei der Bank kannten die meinen Mann gar nicht. Als wir dringend ein Auto brauchten, konnte Heini es auch nicht glauben, dass ich nebenbei 4000 Euro angespart hatte. War aber so. Ich habe immer versucht, den Kindern und Enkeln Geschenke zu machen. Heini war dann manchmal skeptisch, ob wir uns das leisten können. Aber ich kann sehr gut sparen. Konnte ich aber auch nur, weil er mir immer die volle Lohntüte nach Hause gebracht hat.
Wie sieht Ihr Alltag heute aus?
Er: Wenn man so alt ist, hat man nicht mehr auf vieles Lust. Ich schaue gerne fern, Luise bastelt und häkelt, kümmert sich um die Pflanzen auf dem Balkon. Wir können nicht mehr verreisen oder so. Ich muss alle drei Tage zur Dialyse – meine Niere funktioniert nicht mehr richtig. Da muss ich schon um 6 Uhr aufstehen. Was mir schwerfällt, weil ich gerne lange schlafe.
Sie: Ich kümmere mich mit einer Hilfe um den Haushalt. Mein Körper macht auch nicht mehr so mit. Wenn ich vom Stuhl aufstehe, fühlt es sich an, als hätte ich Steine im Rücken. Morgens ziehe ich Heini an, wasche ihn, mache Essen, räume auf. Er sagt dann, dass es Wahnsinn ist, dass ich ihn pflege, ohne zu mucken. Aber die Pflege des Partners gehört zu einer Ehe nun mal dazu.
So feiert die Stadt Oberhausen Ehejubiläen ihrer Bürger
Wer von der Stadt zu seinen Ehejubiläen beglückwünscht werden möchte, muss – wie sollte es anders sein – einen Antrag stellen. Die Stadt verschickt dann zur Goldenen Hochzeit, 50 Jahre, ein Glückwunschschreiben, ein Jahrbuch und eine Flasche Sekt; zur Diamantenen Hochzeit, 60 Jahre, zusätzlich ein Schreiben vom Land NRW. Die Rüdigers haben zu ihrer Eisernen Hochzeit obendrein noch Glückwünsche von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erhalten.Bei allen Hochzeiten gratuliert ein Mitglied des Rates persönlich, falls dies gewünscht wird. Der Name „Eiserne Hochzeit“ leitet sich laut Volksmund davon ab, dass man einen eisernen Willen braucht, um so viele Ehejahre durchzustehen. Tatsächlich steht der Name sinnbildlich für die Stärke und Standhaftigkeit der Ehe.
Was erwarten Sie von der Zukunft?
Er: Viel Zukunft haben wir ja nicht mehr, über die man sich Gedanken machen könnte. Wir haben so viel erlebt, jetzt ist auch gut, dass es vorbei ist. Ich bin sehr froh, dass ich noch einigermaßen auf den Beinen bin. Ich hoffe, das bleibt noch so. Jetzt schon kann ich nur noch mit dem Rollator laufen. Ohne Luise könnte ich hier nicht leben.
Sie: Heini ist mein Goldstück. Ich hoffe, dass er nicht noch kränker wird. Wenn er zur Dialyse fährt, tut mir das sehr weh. Zum Glück habe ich ihn noch. Es macht mich glücklich, wenn ich morgens aufstehe, in sein Zimmer gehe und dann liegt er brav da. Ein tolles Gefühl. Auch beim Essen ist es schön, sein Gesicht zu sehen.