Mülheim. Starker Vandalismus zeigt sich an der stillgelegten VHS. Wer Fraktionen zur Zukunft der Mülheimer Stätte fragt, stößt auf Wagenburgmentalität.
An der denkmalgeschützten Fassade macht sich schwarz-grüner Belag breit, an vielen Ecken haben Unbekannte sich mit Filz- und Lackstift schon ,verewigt’. Ein Kreis ist in eine Fensterfront geritzt, in die Scheibenmitte wurde mit etwas eingeschlagen, bis sie splitterte. Fast vier Jahre nach der Schließung – quasi über Nacht – ist das Denkmal „VHS“ zum Schandmal der Müga verkommen. Hat der Stillstand in Politik und Verwaltung seine Spuren hinterlassen?
Wen aber interessiert das noch? Den Immobilien-Service, dem das Gebäude unterstellt ist, allenfalls im Rahmen eines Verwaltungs-Notdienstes: „Alle Schäden, die die Bausubstanz beeinträchtigen oder gefährden, werden unverzüglich beseitigt. Alle anderen Schäden müssen sich einreihen in den durch die chronische Unterfinanzierung ausgelösten Sanierungsstau etwa an Schulen, Straßen, Kanälen“, teilt dieser auf Anfrage mit.
Immo-Service beseitigt Vandalismus nur, wenn Gebäudesubstanz geschädigt würde
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Und das setze Finanzierbarkeit voraus. Die Beschulung könne nicht „hinter der Renovierung einer höchst unwirtschaftlichen Immobilie für die Erwachsenenbildung zurückstehen“, schiebt der Immo-Service hinterher. Zumal es eine moderne Einrichtung für die Erwachsenenbildung – gemeint ist der als Übergang geplante Standort der VHS an der Aktienstraße – gebe. Alle drei Tage werde das Gebäude an der Bergstraße aber kontrolliert und derzeit zum Beispiel der Zustand des Daches geprüft.
Doch die Beseitigung der geschilderten Vandalismusschäden an einem Denkmal, das in fünf Jahren zwangsläufig im Kern der Internationalen Gartenschau (IGA 2027) stehen wird, gehört nicht zum Erhalt der Bausubstanz. So viel ist offenkundig.
2019: Große Fraktionen beauftragen Verwaltung mit Nachnutzungskonzept
Wen also interessiert noch die Zukunft der VHS an der Bergstraße? Dazu lohnt ein kurzer Rückblick. Zur Ratssitzung im Dezember 2019 einigten sich die drei großen Fraktionen angesichts des erfolgreichen Bürgerentscheids mit rund 18.000 Stimmen offenkundig auf eine Strategie: Sie enthielten sich bei allen Entscheidungen zur Umsetzung des Bürgerentscheids.
Wer die in der Niederschrift festgehaltenen zahlreichen Zwischenrufe liest, kann diesen Eindruck gewinnen: Die MBI sollte als Opposition vorgeführt werden. In einer Sache aber stimmten sie zu: dem Änderungsantrag zum Teilantrag d).
Darin wurde die Verwaltung beauftragt, „unter Beteiligung der Öffentlichkeit ein Nachnutzungskonzept für das VHS-Gebäude an der Bergstraße zu erstellen. Berücksichtigt werden soll das bereits vorhandene Flächennutzungskonzept der VHS als auch mögliche Nachnutzungen freier „Restgebäudeflächen“, die die VHS für ihren Betrieb nicht benötigt. Berücksichtigung finden sollen hier Nutzungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.“ Doch dieser Beauftragung ist die Verwaltung bis heute nicht nachgekommen.
2022: Fraktionen weichen Nachfragen zum Antrag aus
Wer die drei großen politischen Fraktionen heute nach der Zukunft der VHS an der Bergstraße fragt, macht verblüffende Beobachtungen. Elf spezifische Fragen dazu versendet die Redaktion getrennt an Grüne, CDU und SPD. Darunter Fragen, warum die Politik ihren eigenen Antrag seit mehr als zwei Jahren nicht nachverfolgt hat, welche Nachnutzungskonzepte sich die jeweilige Fraktion vorstellt, wann die Umsetzung zu erwarten sei, welchen Stellenwert man dem Bürgerentscheid beimisst, da man ihm nicht nachgekommen ist.
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Doch statt vieler Perspektiven und Antworten erhält die Redaktion eine gemeinsam abgestimmte Stellungnahme der drei Fraktionsvorstände, plus die eines weiteren, der gar nicht angefragt wurde: des FDP-Farktionsvorstands.
Auf die konkret gestellten Fragen geht man darin kaum ein, noch weniger auf den damaligen Antrag. Stattdessen viel Altbekanntes zur Finanzlage und einen Rundumschlag gegen die Opposition, die Initiative und die Presse: Erstere hätten sich „ihrer Verantwortung“ entzogen und den Verwaltungsvorschlag abgelehnt.
Politischer Rundumschlag gegen Opposition, Initiative und Medien
Die Initiative habe sich einen „Bärendienst“ erwiesen, indem sie den Denkmalschutz „forciert“ habe. Dieser stehe einer gemeinsamen Nutzung mit anderen Einrichtungen im Wege. Auch „das Schweigen“ des der Initiative nahestehenden Architekten Dietmar Teich ordnen die vier Fraktionen als „beredt und bezeichnend“ ein. Und nicht zuletzt hätten „die Medien“ die von der Initiative kolportierte „Unwahrheit“ über die Kosten der Sanierung „unwidersprochen“ wiedergegeben.
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Dass man der Umsetzung des Bürgerentscheids selbst nicht nachgekommen sei, weisen die Fraktionsspitzen als „falsch“ zurück. Nachfragen der Redaktion und die Bitte um konkrete Beantwortung der Fragen werden daraufhin ignoriert. Inoffiziell erfährt die Redaktion: Es gebe „keine weitere Antwort“.
Kritik und Scham in den eigenen Reihen
Wen interessiert noch die VHS an der Bergstraße? Wer in die Parteien schaut, trifft auf Fremdscham für die „Wagenburgmentalität“ der Fraktionsspitzen. „Das klingt, als hätte man damals einen Schaufensterantrag gestellt“, sagt ein Fraktionär kopfschüttelnd. Manche entschuldigen sich hastig. Es ist ihnen offenbar peinlich.
Einer, der öffentlich spricht, ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler. Seine Haltung ist klar: „Ich halte den Umgang der regierungstragenden Fraktionen mit dem Bürgerentscheid für schwierig bis rechtswidrig. Das Aussitzen würde ich für unzulässig halten. Unter demokratischen Gesichtspunkten ist das erst recht falsch.“
Damit nimmt Fiedler die Mülheimer SPD-Fraktion nicht aus: Er habe da eine völlig andere Einstellung zur VHS, macht er deutlich. „Die Handlungsnotwendigkeit liegt jetzt beim Oberbürgermeister und im Rat.“ Damit liegt Fiedler auf Parteilinie: „Der Bürgerentscheid muss umgesetzt werden“, forderte bereits der SPD-Parteivorsitzende und NRW-Landtagsmitglied Rodion Bakum.
Mülheimer VHS-Initiative schwebt zwischen Zorn und Optimismus
Wen interessiert noch die VHS an der Bergstraße? Bei der Initiative zum Erhalt der VHS sind Viele in der Schwebe zwischen Zorn und Optimismus. Rat hat man sich bei einem Experten für Bürgerentscheide geholt, Professor Andreas Kost von der Uni Essen-Duisburg. Kost befürwortet Maßnahmen direkter Demokratie: „Bürgerbegehren beleben und stärken die Demokratie. Sie entlasten auch die Politik bei Entscheidungen.“ Nur leider würden sie von Parlamenten eher ablehnend behandelt auch aus Sorge um den Machtverlust.
925 Bürgerbegehren sind in NRW seit 1994 gestartet worden. Etwas mehr als 30 Prozent waren davon im Sinne des Begehrens erfolgreich. Dass ein Rat einen Bürgerentscheid nicht trage oder gar aussitze, komme eher selten vor. Die Möglichkeit, den Entscheid einklagen zu können, hat das Land allerdings nicht beschlossen, sagt Kost – die Durchsetzung sei daher „ein dickes Brett“. Leuchtendes Beispiel für den Politikprofessor ist Remscheid: „Obwohl der Rat zu hundert Prozent gegen ein Parkkonzept gewesen ist, haben 90 Prozent der Stadtverordneten für den Bürgerentscheid gestimmt.“
Hoffnung auf einen gemeinsamen runden Tisch
Und dennoch: Der Optimismus hat in der Initiative die Überhand. „Natürlich ist die Finanzierung ein Problem. Es ist aber bedenklich, wenn man das aktive Denken einstellt. Wir müssen einen Weg finden, aus der aktuellen Mauer-Situation herauszukommen“, bekundet Mit-Initiativler Erich Bocklenberg, sich mit der Politik an einen Tisch setzen zu wollen. Auch mit Blick auf den Vandalismus am Gebäude.
Konkrete Vorschläge will man mit Hilfe von Architekten und Experten für Brandschutz einbringen. Dafür allerdings benötigte die Initiative nachwievor Zugang zu den Bauplänen und dem Gebäude.