Gelsenkirchen. Riesen-Problem und „großes Ärgernis“: In Gelsenkirchen häufen sich in die Ecke geschmissene Einkaufswagen. Was nun Abhilfe schaffen könnte.

Es scheint, als entwickelten sie sich zu einem Ärgernis auf einigen von Gelsenkirchens Straßen: Einkaufswagen, die weit weg von ihrem Stamm-Supermarkt einfach irgendwo irgendwie stehen- und zurückgelassen werden. „Ich habe das Gefühl, es wird immer schlimmer“ – mit diesen Worten beschreibt eine WAZ-Leserin ihre Beobachtungen, wenn sie in ihrem Quartier in Bulmke-Hüllen unterwegs ist. Auch für Anne Schürmann, langjähriges Mitglied der Bezirksvertretung Nord, sind die Wagen ein, wie sie es nennt, „Dorn im Auge“.

Gelsenkirchen: Die Stadt der abgestellten Einkaufswagen

Jüngst brachte die FDP-Politikerin eine Anfrage in die BV ein und bat um Stellungnahme der Verwaltung. „Wir wissen doch, wie wichtig es ist, eine saubere Stadt vorzufinden“, sagt Anne Schürmann, die in ihrer Anfrage feststellt, dass im „Bezirk Nord vermehrt Einkaufswagen unterschiedlicher Discounter von Kunden wahllos abgestellt werden“. Die verwaisten Einkaufshelfer hätten Anteil daran, dass Gelsenkirchen auch über die Stadtgrenzen hinaus kein gutes Gesamtbild hinterlasse. „Man ist doch so bemüht, die Stadt vom Müll zu befreien“, sagt sie auch, merklich angefasst von der „Sorglosigkeit und Gedankenlosigkeit“, die vielfach hinter dem Problem steckt.

Und etwas, dass für Anne Schürmann eben in diesem Zusammenhang noch wichtiger ist: Die Wagen könnten zur Gefahrenquelle werden, auf den Straßen, Gehwegen, Parks und Spielplätzen dieser Stadt. Auch dafür müsse ein Bewusstsein geschaffen werden, wie auch dafür, Ordnung zu halten – und die Wagen nach Gebrauch eben wieder an den Ort zurückzubringen, wo sie hingehören: vor den Supermarkt.

Geparkt an der Hauswand, wie hier an der Wanner Straße: In Gelsenkirchen entdecken die Teams von Gelsendienste pro Woche durchschnittlich 40 abgestellte Einkaufswagen – auf öffentlichen Flächen. Gelsendienste betrachtet die Situation als „sehr unbefriedigend“.
Geparkt an der Hauswand, wie hier an der Wanner Straße: In Gelsenkirchen entdecken die Teams von Gelsendienste pro Woche durchschnittlich 40 abgestellte Einkaufswagen – auf öffentlichen Flächen. Gelsendienste betrachtet die Situation als „sehr unbefriedigend“. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

„Auch unserer Beobachtung nach hat die Anzahl wild abgestellter Einkaufswagen zugenommen“, bestätigt Tobias Heyne, Sprecher der Gelsendienste. Um diesen Eindruck mit Zahlen zu belegen, hätten die Teams aus dem Bereich Straßenreinigung seit Anfang des Jahres eine Statistik geführt. Im Durchschnitt seien pro Woche rund 40 Wagen im gesamten Stadtgebiet gezählt worden. Die genaue Zahl schwanke zwischen „15 bis 57 Exemplaren pro Woche“, Hotspots seien die Stadtteile Bismarck und Bulmke-Hüllen.

„Wie zu erwarten sind insbesondere Märkte in Gegenden betroffen, in denen viel zu Fuß eingekauft wird“, so Heyne weiter. Wohlgemerkt: Bei den Gelsendienste-Zahlen handelt es sich nur um eine Erfassung innerhalb der öffentlichen Flächen. Wie viele der Wagen auf privatem Grund stehen – Zahlen darüber gibt es nicht.

Die liefern auch die großen Lebensmittelhändler nicht – wie überhaupt wenig Zahlenwerk, verbunden mit der Bitte um Verständnis. „Der Verlust von Einkaufswagen in Gelsenkirchen ist für uns nicht flächendeckend, sondern eher punktuell ein Thema“, so ein Unternehmenssprecher von Aldi Nord. Zahlen und konkrete Standorte wolle man nicht nennen.

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Die Anschaffungskosten für Einkaufswagen seien sehr hoch, heißt es bei Aldi Nord. „Daher versuchen wir, Verluste möglichst in Grenzen zu halten. Konkrete Verlustzahlen und Kosten pro Einkaufswagen kommunizieren wir aber grundsätzlich nicht“, so der Sprecher auf Nachfrage der WAZ. Sollte Aldi Nord Hinweise erhalten, dass Wagen außerhalb des Betriebsgeländes abgestellt seien, würde man diese umgehend abholen.

Dasselbe Verfahren bei Lidl: Gibt es Meldungen von Kunden oder eigene Beobachtungen in Sachen vergessener Einkaufswagen, „sorgen wir dafür, diese schnell und unbürokratisch zurückzuführen“, so eine Lidl-Sprecherin. Ein wenig konkreter wird einer der größten Discounter Deutschlands dann doch: „Um zu verhindern, dass Einkaufswagen von unseren Grundstücken gefahren werden, setzen wir an vereinzelten Filialen eine Einkaufswagensperre ein.“ Dabei blockiere eine Magnet- oder Induktionsschleife beim Verlassen eines festgelegten Bereichs die Räder an den Einkaufswagen. Geplant sei nach Auskunft der Sprecherin der Einsatz solcher Sperren an den Filialen in der Bokermühlstraße 9 und im Festweg 1a.

Abgestellte Einkaufswagen: Rewe und Penny führen keine Statistik

Rewe und die Discounter-Tochter Penny berichten, dass Vandalismus und Diebstahl keine nennenswerte Rolle oder gar Probleme darstellen würden. Eine gesonderte Erfassung oder Auswertung der tatsächlichen „Diebstähle“ finde bei Rewe nicht statt, so eine Sprecherin. Bei Penny heißt es: „Pro Jahr tauschen wir einige Zehntausend Einkaufswagen aus. Das Gros turnusmäßig wegen Abnutzung.“ Gesonderte Statistiken würden auch bei Penny nicht geführt. Beide Unternehmen geben an, dass die herrenlosen Wagen auch wieder abgeholt würden, wenn es die entsprechenden Hinweise gibt.

Wie viel ein solcher Wagen wert ist, darauf gibt nur Penny eine klare Antwort: „Je nach Ausstattung kann ein Einkaufswagen bis zu 150 Euro kosten.“

„Die entwendeten Einkaufswagen beeinträchtigen nicht nur das Stadtbild, sondern stellen häufig auch eine Verkehrsgefährdung dar und/oder werden als Papierkörbe zweckentfremdet“, so Tobias Heyne, der damit die Beobachtungen von Anne Schürmann und unserer Leserin teilt. Die Mitarbeiter würden die abgestellten Wagen in der Regel aktuell zurück schieben, wenn sie sich noch in der Nähe zum Laden befinden. Wagen, die fernab von jeglichen Märkten stehen, müssen die Gelsendienste-Teams einsammeln und entsorgen, berichtet Tobias Heyne weiter.

Abgestellte Einkaufswagen: „sehr unbefriedigende Situation“ in Gelsenkirchen

„Insgesamt erachten wir diese Situation als sehr unbefriedigend. Zumal sich der eigentliche Konflikt ja zwischen den Händlern und ihren die Einkaufswagen entwendenden Kunden abspielt und wir dennoch notgedrungen bei der Beseitigung der Folgen aktiv werden müssen“, wird Heyne deutlich. Seitens der Unternehmen sei bislang niemand an Gelsendienste herangetreten – „auch wenn man dies vielleicht anders erwarten könnte“, so Heyne.

Daher hätten Gelsendienste Anfang März Kontakt zu verschiedenen Handelsketten und einzelnen Händlern aufgenommen, um eine gemeinsame Strategie abzustimmen. Die Resonanz sei recht gut gewesen, berichtet Heyne, zuletzt gab es persönliche Gespräche man mit Vertretern von drei Discounterketten (Aldi, Lidl und Netto). Ein weiterer Discounter (Penny) habe sich per E-Mail zurückgemeldet.

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Der allgemeine Tenor, so Heyne, sei, „dass die Problematik auch für die Unternehmen ein großes Ärgernis darstellt und man gerne gemeinsam mit uns an einer Lösung arbeiten möchte.“ Die sieht zunächst so aus: Gelsendienste meldet seit dem 7. April 2022 den Zentralen die auf städtischen Flächen abgestellten Einkaufswagen per E-Mail, die Händler kümmern sich dann um Abholung und Rücktransport. „Insbesondere bei Verkehrsgefährdungen wurde uns eine Reaktionszeit von einem auf den nächsten Tag zugesagt“, so der Gelsendienste-Sprecher.

Rechtsanwalt erklärt: Das sind die Strafen

„Einkaufshilfsmittel“, wie beispielsweise den Einkaufswagen, den Korb oder Tüten, dürfe man – vertraglich geregelt – in den Läden benutzen, aber nicht mit nach Hause nehmen. Das sagt der Gelsenkirchener Rechtsanwalt Arndt Kempgens. Allerdings ist der Sachverhalt etwas komplizierter und muss differenziert betrachtet werden: „Wer einen Einkaufswagen mitnimmt, weil er ihn zu Hause als Deko oder für andere Transportfahrten behalten will, macht sich wegen Unterschlagung strafbar“, führt Arndt Kempgens aus. Dann drohen bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder auch eine Geldstrafe.„Wer einen Einkaufswagen mitnimmt, weil Waren zu schwer zum Tragen sind und dann einfach in den Graben wirft, beschädigt und entsorgt, macht sich wegen Sachbeschädigung strafbar“, erläutert Kempgens. Das Strafmaß hier: bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe.„Wer einen Einkaufswagen mitnimmt, weil Waren zu schwer zum Tragen sind, dann aber so abstellt, dass der Wagen in den Laden – auf anderem Wege – zurückkehrt, macht sich nicht strafbar“, erklärt der Rechtsanwalt.Wichtig für alle Fallgestaltungen sei: Wenn eine Kundin oder ein Kunde einen Einkaufswagen nutzt, müsse er dafür sorgen, dass der Wagen – ohne weitere über Nutzung hinausgehende Schäden – zum Geschäft zurückkehrt, so der Jurist. „Mache ich das nicht, muss ich – zivilrechtlich – Schadenersatz für Kosten der Rückführung, Reparatur oder Neubeschaffung übernehmen… Wenn ich erwischt werde.“