Gelsenkirchen-Buer. Die Rückgabe eines Einkaufswagens brauchte in Gelsenkirchen Wochen, dazu Mails, Telefonate und starke Nerven. Jochen Zgmunt hat’s erlebt.
Alles auf Anfang: Genau das ist die Prämisse in Zeitschleifenfilmen à la „Und täglich grüßt das Murmeltier“ oder „Déjà Vu“. Ein solch seltsames Gefühl, eine Situation schon einmal erlebt zu haben, beschlich den Gelsenkirchener Jochen Zygmunt, als er erneut auf einen herrenlosen Einkaufswagen stieß und beschloss, sich um die Rückgabe zu kümmern. Seine Erfahrung damals vor wie heute: Wo ein guter Wille ist, braucht es oftmals einen sehr langen Weg. Und Nerven aus Stahl.
Jochen Zygmunt ist ein Mann mit eisernen Prinzipien. Das hat viel damit zu tun, dass der heute 67-jährige Bueraner 35 Jahre lang als Ausbildungsleiter im Gelsenkirchener Bildungszentrum des Handels dem kaufmännischen Nachwuchs das Rüstzeug mitgegeben hat. Und auch einen sozialen Kompass, in dem „persönliches Engagement, Ehrlichkeit und der Schutz des Eigentums“ Teil des Wertekanons sind. Etwas, das ihn noch heute als selbstständiger Fachdozent der IHK für Arbeitsrecht beschäftigt.
Antrieb: Unnötige Abschreibungen vermeiden, denn der Kunde zahlt drauf
Zygmunts Déjà Vu begann am 4. Mai dieses Jahres, als auf dem Bürgersteig vor seiner Wohnung an der Bärenkampstraße ein herrenloser Netto-Einkaufswagen mit Leergut stand. Ein Anruf bei der Firmen-Hotline ließ den Senior dann freudig hoffen. „Der Wagen sollte innerhalb der nächsten drei bis vier Stunden abgeholt werden“, erinnert sich Zygmunt. Doch nichts geschah.
Zwei Tage später, so erzählt der passionierte Kampfsportler, ist er bei der Netto-Filiale an der Polsumer Straße vorstellig geworden. „Dort begegnete man mir eher unwillig als interessiert“, berichtet der 67-Jährige. Das ärgerte ihn. „Denn so ein Wagen kostet gut 350 Euro und wenn man dazu noch weiß, dass die Diebstahlquote im Handel bei vier Prozent liegt und am Ende der Kunde für Verluste tiefer ins Portemonnaie greifen muss, dann sollte es doch ein Interesse daran geben, die eigenen Vermögenswerte“ und damit Betrieb und Arbeitsplätze zu schützen. Denn unter dem Strich machen sich auch kleine Summen unnötiger Abschreibungen bemerkbar.
Netto bedauert die verzögerte Kommunikation
Netto hat sich auf Anfrage dieser Zeitung zu dem Fall geäußert: „Wir möchten uns ausdrücklich für das gezeigte Engagement von Herrn Zygmunt bedanken und bedauern es sehr, dass sich die Kommunikation verzögert hat. Wir bitten dies aufgrund der aktuellen Situation zu entschuldigen.
Weiter heißt es in dem Schreiben: „Gerne möchten wir uns für den Hinweis zu dem herrenlosen Einkaufswagen bedanken und lassen Herrn Zygmunt daher einen Einkaufsgutschein zukommen. Dieser ist in allen 4270 Netto-Filialen einlösbar.“
Also startete der 67-Jährige den nächsten Versuch, diesmal über die Bereichsleitung. „Auch von dieser Seite wurde mir versprochen, dass der Wagen abgeholt wird“, sagt Jochen Zygmunt. Das war am 8. Mai. Zurück aus dem Urlaub, stand der mobile Warenkorb am 18. Mai allerdings immer noch unangetastet auf dem Gehweg. Selber zurückbringen? Nein, allein aus Prinzip nicht, denn für Zygmunt ist jeder Kunde ist ein Multiplikator. Und um die muss man sich kümmern. Unternehmerische Ignoranz, damit kann der Gelsenkirchener so gar nichts anfangen.
Gleicher Fall vor 18 Jahren: Theo Albrecht Senior schreibt einen persönlichen Dankesbrief
Bewegung in den Wagen und damit in den Fall kam erst, „als ich die Unternehmenszentrale in Mülheim per Mail angeschrieben habe“, erzählt Zygmunt. In dem Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt, brachte er die Öffentlichkeit ins Spiel. Und siehe da, am Freitag (22. Mai) nach Christi Himmelfahrt ist auch der Wagen heimgekehrt. Auf eine Reaktion von Netto für sein Engagement, wartet Jochen Zygmunt allerdings bis heute vergeblich.
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Das war vor 18 Jahren anders. Damals sandte kein Geringerer als Theo Albrecht Senior, der mit seinem Bruder Karl das Aldi-Imperium leitete, Jochen Zygmunt höchst persönlich einen Dankesbrief nebst einer Flasche Champagner. Im Frühjahr 2002 hatte sich der Gelsenkirchener erstmals um die Rückgabe eines Einkaufswagens bemüht, scheiterte aber zunächst ebenso wie heute und wandte sich dann an die Konzernleitung. „Es war ein Dankesbrief auf feinem Büttenpapier“, erinnert sich Zygmunt, der eine Kopie noch heute aufbewahrt. Der jüngere der beiden Aldi-Brüder galt als Ausbund der Sparsamkeit, als penibler Kümmer. „Das sind Werte und Charaktereigenschaften“, so Zygmunt abschließend, „die heute vielen abhanden gekommen sind.“