Mülheim. Für 14 Geflüchtete aus zehn Nationen ist der Deutschkurs an der Mülheimer Aktienstraße mehr als nur Sprache büffeln: Er ist ein Zuhause geworden.

Das rollende „R“ geht mancher noch schwerer von den Lippen und auch die Umlaute im Deutschen sind noch gewöhnungsbedürftig. Denn die 14 Frauen, die sich regelmäßig zum Deutschlernen in der Altentagesstätte an der Aktienstraße treffen, kommen ursprünglich von weit her: aus China, dem Libanon, Peru oder Syrien. „Allein zuhause ist es langweilig“, sagt Rosa. Doch der Corona-Blues ist nicht der einzige Grund, die fremde Sprache zu beherrschen. Sie träumen von einem besseren Leben – in Mülheim.

Zehn verschiedene Nationalitäten haben sich am Freitagmorgen mit Abstand, Maske und 3G-Regel in einen Halbkreis gesetzt: „Gu-ten-Mor-gen.“ So weit, so typisch Schule. Der pensionierte Lehrer Hermann Baus, die ehemalige Bankkauffrau Marlies Schröder und Lehrerin Nora Bonn haben einen Sack Übungen zum Zuhören, Verstehen und Miteinanderreden mitgebracht.

Alles folgt einem Konzept, das die Drei beschlossen haben und das die Sprachkompetenzen der Geflüchteten stärken soll. Und das wird genaustens protokolliert. Denn alle Teilnehmerinnen wollen vorankommen, ihren Zielen näherkommen.

Beim Deutschlernen ziehen die Mülheimerinnen an einem Strang

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Baus, der mit dem Beginn der Geflüchteten-Bewegungen 2015 ehrenamtlich zurück ,in den Dienst’ gekehrt ist, ist von den motivierten Frauen schwer begeistert: „Es sind sehr unterschiedliche Menschen, auch vom Alter her, zwischen 20 und 80 Jahren. Aber sie verstehen sich untereinander und helfen sich gegenseitig.“ So meistern die Frauen gemeinsam tapfer die deutsche Fallgrammatik, das „Ä“, „Ü“ und „Ö“ und die Artikel, die längst nicht in jeder Sprache vertreten sind.

Warum das alles? Die Gründe sind so unterschiedlich wie die Menschen. Rosa, die seit 2000 in Mülheim lebt, sucht wieder Anschluss an das soziale Leben. Als ihr Mann vor zwei Jahren verstarb und auch noch Corona hinzukam, war es für die gelernte Krankenschwester aus Peru zuhause einsam. Zuhause wurde oft Spanisch gesprochen – Zeit also, das Deutsch aufzupolieren, um wieder Kontakte zu knüpfen.

Lernen und Kennenlernen: Der Deutschkurs für Geflüchtete an der Aktienstraße erfüllt viele Bedürfnisse und Träume der 14 Mülheimerinnen aus zehn Nationen.
Lernen und Kennenlernen: Der Deutschkurs für Geflüchtete an der Aktienstraße erfüllt viele Bedürfnisse und Träume der 14 Mülheimerinnen aus zehn Nationen. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Ähnlich geht es der 69-jährigen Lehrerin Halimeh aus dem Iran. Ihren Sohn hat sie an Corona verloren, „ich will nicht nur zuhause bleiben“, sagt sie. In ihrer früheren Heimat unterrichtete sie persische Literatur. Der Kursus ist auch ein wichtiger sozialer Kontakt geworden.

Das Deutschbüffeln ist ein Sprungbrett, berufliche Träume erfüllen zu können

Für nicht wenige aber ist das Deutschbüffeln an der Aktienstraße auch das Sprungbrett, um sich hohe berufliche Träume erfüllen zu können. Tamam (44) kam vor etwa vier Jahren aus dem krisengeschüttelten Libanon. Ihr Hobby - das Backen – würde sie gerne zum Beruf machen und in einer Bäckerei oder im Restaurant arbeiten. Und Ruquia aus Afghanistan träumt davon, ihr Medizinstudium in Deutschland praktisch anwenden zu können – und wenn auch als Krankenschwester.

Doch Corona und die Sprachhürden haben für viele von ihnen die Kontakte in die erhoffte Ausbildung und den Traumberuf erschwert. Das gilt auch für Soltana aus Syrien. Die erfahrene Friseurin (45) findet just noch keine Stelle, „aber ich will arbeiten und zurück in meinen Beruf“, sagt sie. Aktuell hilft sie als Köchin bei der Awo, wo sie den Gästen regelmäßig die arabische Küche näherbringt. Die Sprache ist auch hier ein Schlüssel, hofft Soltana. „Deutsch ist nicht so schwer“, winkt sie ab, „es macht sogar Spaß.“

Hanan (26), die vor sechs Jahren ebenfalls aus dem Libanon nach Mülheim kam, hat sich schon einen Traum erfüllen können: den Führerschein. Vor allem die harte theoretische Prüfung mit allen sprachlichen Feinheiten des deutschen Verkehrsrechts hat die 26-Jährige gemeistert. Daran scheitern noch manche Muttersprachler. Jetzt hat die verheiratete Mutter von drei Kindern ein neues Ziel anvisiert: eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich.

Organisatorin: „Frauen werden selbstständiger im Denken und Handeln“

Wie alles begann

Angefangen hat der Deutschkursus während der großen Geflüchteten-Bewegung um 2015 herum bei der Vereinigten Evangelischen Kirchengemeinde (VEK) im Pastor-Jakobs-Haus. Weil jedoch das Projekt dort auslief, sprang ab 2017 die Caritas ein und bot zum Kursus dann in den Flüchtlingsunterkünften im Klöttschen zusätzlich Kinderbetreuung an.Doch während der strengen Corona-Auflagen wurden die Räume dort zu klein. Die Gruppe wechselte an die Aktienstraße. Dort startet der Kursus immer freitags von 11 bis 12.30 Uhr. Dienstags gibt es zusätzlich einen Vertiefungskursus.

Unterschiedliche Frauen, viele Träume: Marlies Schröder, die den Deutschkurs für Geflüchtete von Anfang an begleitet hat, aber sieht eine gemeinsame Entwicklung bei den Teilnehmerinnen. „Sie werden immer selbstständiger in ihrem Denken und in ihrem Handeln.“ Das ist letztendlich auch die Motivation von Schröder, Baus und Bonn.

Das Menschliche soll dabei nicht zu kurz kommen, betont Schröder: „Ich habe erfahren, dass die geflüchteten Frauen sehr höfliche und herzliche Menschen sind. Wenn man sich selbst öffnet, dann bekommt man eine große Portion Dankbarkeit zurück.“ Ein Kursus zum Deutschlernen? Für viele der Frauen, die einmal aus allen Himmelsrichtungen kamen, ist er auch ein Stück Zuhause geworden.